Frankreich:Familienstreit um Islam-Kurs des Front National

Marine Le Pen (C), France's National Front political party leader, and French National Front party deputy Marion Marechal-Le Pen attend the far-right party's congress in Lyon

Wie kann der Front National von der Terrorangst der Franzosen profitieren? Parteichefin Marine Le Pen und ihre Nichte Marion Maréchal-Le Pen (l.) sind sich darüber uneins.

(Foto: REUTERS)
  • Nach den Attentaten in Paris ringt die Führungsspitze des rechtsextremen Front National darum, wie sie mit den französischen Muslimen umgehen will.
  • Parteichefin Marine Le Pen hofft auf Wählerstimmen von Muslimen und gibt sich vergleichsweise gemäßigt. Parteigründer Jean-Marie Le Pen und Marion Maréchal-Le Pen vertreten radikalere Ansichten.
  • Wenn am Sonntag im ostfranzösischen Doubs ein Nachrücker für die Nationalversammlung gewählt wird, wird sich zeigen, ob der Front National von der Terrorangst der Franzosen profitiert. Der FN-Kandidatin werden gute Chancen eingeräumt.

Von Lilith Volkert

Dem Schock über das Massaker in der Redaktion von Charlie Hebdo folgte für viele Franzosen ein zweiter schrecklicher Gedanke: Was für ein Geschenk für den Front National. Ein Anschlag von Islamisten, mitten in Paris - das wird die islamfeindliche Partei nach allen Regeln der Kunst für sich auszuschlachten wissen.

In den vergangenen drei Wochen konnte der Front National (FN) allerdings noch nicht von der Terrorangst profitieren. Angesichts der von Präsident Hollande ausgerufenen "nationalen Einheit" und des enormen Solidaritätsgefühls der Franzosen stand Parteichefin Marine Le Pen mit ihrem Anspruch, nicht zum "System" der etablierten Parteien zu gehören, auf einmal ziemlich alleine da.

Während der sonst stets zaudernde Hollande die Franzosen als entschlossener Krisenmanager beeindruckte, stagnieren Le Pens Beliebtheitswerte. Es kam nicht gut an, dass die FN-Chefin am Sonntag nach den Anschlägen nicht an der großen Demonstration in Paris teilgenommen hat, sondern lieber mit ihren Anhängern in einer südfranzösischen Kleinstadt auf die Straße ging.

Aus Angst, die Franzosen mit einer allzu offenkundigen Instrumentalisierung der Ereignisse zu verärgern, haben sich die meisten FN-Politiker mit Äußerungen, die über bekannte Forderungen hinausgehen, weitgehend zurückgehalten. Diese Schamfrist ist nun offenbar vorbei. Am kommenden Sonntag wird im ostfranzösischen Departement Doubs der Nachfolger des bisherigen sozialistischen Abgeordneten Pierre Moscovici gewählt, der seit vergangenem Herbst EU-Kommissar ist. Bei einem Wahlsieg würde der FN zu einem dritten Sitz in der Nationalversammlung kommen.

Gegen "staatlich finanzierte" Moscheen und Halal-Burger

Die Kandidatin der Rechtsextremen geht als Favoritin in den ersten Wahlgang. Sie hat ihren Wahlkampf mit den Problemen von Arbeitslosigkeit und Deindustrialisierung begonnen, konzentriert sich nun aber auf die Themen innere Sicherheit und Immigration. "Der FN hat immer vor den Risiken massiver Einwanderung gewarnt", sagte Sophie Montel am Wochenende bei einer Pressekonferenz mit der Parteichefin. "Wir werfen nicht gemäßigten und radikalen Islam in einen Topf, aber wir stecken auch nicht den Kopf in den Sand." Auf einem Flugblatt warnt Montel vor der "islamistischen Gefahr", Frankreich ist darauf von schwer bewaffneten Dschihadisten umzingelt zu sehen.

Die Wahl in Doubs wird zeigen, ob es dem Front National doch noch gelingt, von der Terrorangst der Franzosen zu profitieren. Auch deshalb ringt die Partei gerade um ihren Islam-Kurs. Beim Familienunternehmen Front National heißt das: Nicht die Parteimitglieder streiten sich über das Ausmaß der Islamfeindlichkeit, sondern die in wichtigen Ämtern sitzenden Le Pens.

Marine Le Pen macht seit einigen Jahren verstärkt Stimmung gegen Muslime. Sie kritisierte mit staatlicher Unterstützung gebaute Moscheen und nach islamischem Ritus produziertes Fleisch in Läden und Fastfood-Restaurants. 2010 wurde gegen Le Pen ermittelt, weil sie Straßengebete von Muslimen mit der Besatzung durch die Nazis verglichen hatte. Inzwischen spekuliert die Parteichefin allerdings auch auf Stimmen von Muslimen, die unter der hohen Arbeitslosigkeit und der schlechten Wirtschaftslage leiden und von der sozialistischen Regierung enttäuscht sind. Deshalb hält sie sich derzeit vergleichsweise zurück.

In einem Video heißt es, Frankreich befinde sich im Krieg gegen Muslime

Ganz anders ihre Nichte Marion Maréchal-Le Pen, Abgeordnete in der Nationalversammlung und Mitglied im Zentralkomitee des FN. Die 25-Jährige verbreitete Mitte Januar auf Twitter das Video eines FN-Europaabgeordneten, von dem sich ihre Tante explizit distanziert hatte. Aymeric Chauprade erklärt in dem zehnminütigen Clip, dass sich Frankreich im Krieg gegen Angehörige des Islam befinde. Etwa eine Million französische Muslime seien potenziell gefährlich, sie lebten als "fünfte Kolonne" mitten unter den Franzosen.

Auch Parteigründer Jean-Marie Le Pen verbreitete das Video. Nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt war der "Ehrenpräsident" der einzige hochrangige FN-Politiker, der die Regierung mit ihrer laxen Sicherheitspolitik für die Anschläge verantwortlich machte und krude Verschwörungstheorien verbreitete. Dem beliebten Solidaritätsslogan "Je suis Charlie" widersprach er mit den Worten, er sei nicht Charlie, sondern Karl Martell - ein Feldherr, der im 8. Jahrhundert den Vormarsch muslimischer Mauren nach Frankreich stoppte.

Der 86-Jährige Parteigründer fährt seiner um ein salonfähiges Image bemühten Tochter regelmäßig an den Karren. Doch auch diesmal hat sich Marine Le Pen durchgesetzt. Aymeric Chauprade ist seine Aufgaben als persönlicher Berater der Parteichefin und als Chef der FN-Delegation im Europaparlament inzwischen los.

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