Süddeutsche Zeitung

Frankreich:Europa wäre verblendet, sollte es Macron unterschätzen

Lesezeit: 3 min

Die hochfliegenden Pläne des französischen Präsidenten sollte die EU ernst nehmen. Erstens meint Macron, was er sagt. Und zweitens sind sie für Europa überlebenswichtig.

Kommentar von Stefan Ulrich

Kann man Emmanuel Macron trauen? Meint er es ernst mit dem Versprechen, Europa neu zu gründen und den Menschen nahezubringen? Oder trägt er unter dem blauen Mantel mit den goldenen Sternen ein blau-weiß-rotes Hemd, weil es ihm doch nur um Frankreich geht? Ist er gar ein nackter Kaiser, den Pathos und Utopien mehr entblößen als bedecken? Soll man ihm also applaudieren - oder ihn freundlich ignorieren?

Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten sich diesen Fragen zu stellen, als sie am Donnerstag in Estland zusammenkamen, zum ersten Treffen nach der Bundestagswahl und Macrons Europarede an der Sorbonne. Sie müssen Antworten darauf finden, genauso wie der ganze Kontinent. Denn der junge Präsident im Élysée-Palast ist von virtuoser Beharrlichkeit. Er sagt, was er will, und er tut, was er sagt. Dabei scheint er einem Ausspruch zu folgen, der gern Napoleon zugeschrieben wird: "Unmöglich ist kein französisches Wort."

Als der politische Außenseiter Emmanuel Macron ohne Rückhalt einer Partei Präsident werden wollte, hieß es: unmöglich. Er gewann die Wahlen klar. Dann versicherten Politikbeobachter, seine Bewegung En Marche werde nie die Mehrheit in der Nationalversammlung bekommen. Sie schaffte das leicht. Später wurde prophezeit, Macron werde schon mit seinen ersten Reformen am Aufstand der Straße scheitern. Er zieht sie gerade durch.

Kanzlerin Merkel hat endlich wieder einen Partner in der Führung Europas

Europa wäre verblendet, sollte es diesen Mann unterschätzen. Hinter seinen pompösen Auftritten, schicken Anzügen und geschliffenen Reden verbergen sich ein klarer Blick und ein eiserner Wille. Frankreich ist mit Aplomb in der Europapolitik zurück, was noch vor einem Jahr so niemand erwartet hätte. Kanzlerin Angela Merkel hat endlich wieder einen Partner in der Führung. Sie muss Europa nicht mehr alleine retten. Doch sie muss sich auf diesen Partner einlassen.

Ein anspruchsvoller Partner ist er. Macron wird sich nicht damit abfinden, dass seine Ideen in den Konsensmühlen der EU-Gipfel und der Brüsseler Bürokratie zu Staub zermahlen werden, der dann den Bürgern als Gold serviert wird. Notfalls wird er seine Kollegen mit Vorschlägen vor sich hertreiben und sich über deren Köpfe hinweg an die Völker wenden.

Macron hat an der Sorbonne vor Studenten gesprochen, und zugleich zu allen Europäern. Seine Rede ist Zäsur, Weckruf, Programm, Manifest. Sie beendet den europapolitischen Kleinmut und die Angststarre angesichts der Nationalisten. Sie ist - auch wenn nicht alles schon heute realistisch erscheint - ein Füllhorn von Ideen, um das Europaparlament mächtiger, das Steuerrecht gerechter, die Verteidigung schlagkräftiger und die EU-Kommission tatkräftiger zu machen. Sie ist ein Plan für das Europa der Zukunft, das gebaut werden muss, damit Franzosen und Deutsche, Luxemburger, Polen, Spanier oder Finnen den Großmächten der Erde auf Augenhöhe begegnen und so ihre Freiheit, Sicherheit, Kultur und Lebensweise bewahren können.

Frankreich hängt sehr an seiner Souveränität - Macron bietet Einschnitte an

Lange wurde geklagt, Frankreich bringe keine großen Europäer mehr hervor, keinen Schuman, Mitterrand oder Delors, die kühn über den nationalen Schatten sprangen, um mit ähnlich weitblickenden Politikern in Deutschland, Italien und anderen Ländern zu schaffen, was nach den Weltkriegen unmöglich zu sein schien: ein gemeinsames Europa, das sein Friedensversprechen ganz und sein Wohlstandsversprechen oft und in weiten Teilen eingelöst hat.

Europa braucht Realisten wie Angela Merkel, die die EU in Krisen stabilisieren und bedächtig durch die Mühen der Ebene steuern. Aber es braucht auch Gipfelstürmer, die scheinbar Unmögliches wagen und die Menschen begeistern. Ob Macron so ein großer Europäer ist, muss er noch beweisen. Das Potenzial dazu hat er. Denn er gewann seine Wahlen gegen das Lager der Nationalreaktionäre nicht durch Anbiederung und Nachäffung, wie es die einstige Europapartei CSU gerade versucht, sondern durch einen offensiven Pro-Europa-Kurs. Auch das hielten viele zunächst für unmöglich.

Die frühere Weltmacht Frankreich hängt sehr an ihrer Souveränität. Sie tritt traditionell lieber für ein Europa der Nationen ein als für einen europäischen Bundesstaat. Macron aber bietet an, Souveränität abzugeben, wo es wehtut: Er wirbt für europäische Streitkräfte und zeigt sich sogar bereit,auf einen französischen Kommissar in der EU-Kommission zu verzichten. Das spricht dafür, dass er es ernst meint. Er hat - trotz legitimer Meinungsunterschiede bei der Reform des Euro-Raums, trotz anstehender Koalitionsverhandlungen, trotz CSU und FDP - eine bessere Antwort aus Deutschland verdient als ein gequältes "Ja, aber".

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SZ vom 29.09.2017
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