Süddeutsche Zeitung

Französische EU-Kommissarin:Sylvie Goulard, die Über-Europäerin

Die europapolitischen Positionen, für die Frankreichs Präsident heute steht, vertritt Goulard seit Jahrzehnten. Nun will sie EU-Kommissarin werden. Doch ein Makel klebt an ihr.

Von Nadia Pantel

Wer eine Podiumsdiskussion besucht, bei der Sylvie Goulard auf der Bühne sitzt, kann sicher sein, sich nicht zu langweilen. Die Französin spricht pointiert, argumentiert schnell, manchmal auch konfrontativ. Sie kennt sich in Finanz- und Europapolitik gut genug aus, um sperrige Fachbegriffe hinter sich lassen zu können. Als am Mittwoch offiziell wurde, dass Goulard vom Élysée-Palast für den französischen Sitz in der EU-Kommission vorgeschlagen wird, war das ein Zeichen: Nun kommt die Fachfrau.

Der Job in der EU-Kommission käme für Goulard einem Heimspiel gleich. Von 2001 bis 2004 war die studierte Juristin Beraterin des damaligen Präsidenten der EU-Kommission, Romano Prodi. 2009 wurde sie für die zentristische Partei MoDem als Abgeordnete ins Europaparlament gewählt. Sie blieb dort bis 2017 und arbeitete im Parlamentsausschuss für Wirtschaft und Währung. Als Emmanuel Macron 2017 die französische Präsidentschaftswahl gewann, begann auch für Goulard eine neue Ära.

Sie hatte Macrons Kandidatur nicht nur von Anfang an unterstützt, sondern auch sein außenpolitisches Programm geprägt. Gilt Macron als Europäer aus Leidenschaft, dann muss man in Goulard die Über-Europäerin sehen: Sie spricht, neben Französisch, fließend Deutsch, Italienisch und Englisch. Ihr Weg in die deutsche Gesellschaft begann als Schülerin mit einer Brieffreundschaft nach Bielefeld und führte sie später so weit, dass sie zur Beerdigung von Richard von Weizsäcker eingeladen wurde, als Freundin der Familie.

Die europapolitischen Positionen, für die Macron heute steht, vertritt Goulard seit Jahrzehnten. Erstens: Die Europäische Union muss vertieft werden, um zu bestehen. Zweitens: Von den Nationalisten und Souveränisten geht die größte Gefahr für die EU aus. Drittens: Das beste Instrument, um die EU-Staaten aneinander zu binden, ist eine gemeinsame Finanzpolitik.

Goulard betonte, dass sie "reinen Gewissens" sei

In den Tagen, die zwischen Macrons Wahlsieg und der Vorstellung seiner Regierungsmannschaft vergingen, stand Goulard im Zentrum der Spekulationen. Könnte sie sogar Premierministerin werden? Sie wurde es nicht. Für Goulard war stattdessen das Verteidigungsministerium vorgesehen. Auch wenn sie nur einen Monat an der Spitze der Streitkräfte stand: Die kurze Episode könnte ihr nun nützen. Ihre damalige Amtskollegin Ursula von der Leyen wird darüber entscheiden, ob sie Goulards Kandidatur annimmt, bevor Goulard dann um die Zustimmung der Parlamentarier kämpfen muss.

Die Zeit in der Regierung stellt in der Biografie der Südfranzösin jedoch nicht den Höhepunkt ihrer Laufbahn dar, sondern markiert ihre erste öffentliche Niederlage. Bereits im Juni 2017 bat sie Macron darum, zurücktreten zu dürfen. Gegen ihre Partei MoDem begannen Ermittlungen wegen möglicher Scheinbeschäftigungen im EU-Parlament. Goulard betonte, dass sie "reinen Gewissens" sei und nur deshalb auf ihr Amt verzichtet habe, um die Regierungsarbeit nicht zu belasten. Bis heute wurde gegen Goulard selbst kein Verfahren eröffnet.

Doch im Laufe der Affäre enthüllte die Wochenzeitung Canard enchaîné, dass Goulard von 2013 bis 2016 monatlich 10 000 Euro Beraterhonorar von einer privaten Denkfabrik bezogen hat. Eine Summe, die Goulard als "Nicht-Thema" bezeichnete, schließlich habe sie die Einnahmen immer deklariert. Nach einem halben Jahr politischer Pause wurde Goulard 2018 Vizegouverneurin der französischen Zentralbank.

Der Berggruen-Vertrag klebt nun als Makel an Goulards EU-Bewerbung. Auch innerhalb des Élysées soll über ihre Kandidatur gestritten worden sein. Schließlich trat Emmanuel Macron mit dem Versprechen an, das laxe Vorbeimanövrieren an Regeln zu beenden. Zumal Macron davon profitierte, dass seinem konservativen Herausforderer François Fillon nicht verziehen wurde, wie er sich teure Anzüge schenken ließ.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir fälschlicherweise über Goulard als mögliche erste Premierministerin Frankreichs geschrieben. Korrekt ist, dass Édith Cresson unter François Mitterrand bereits 1991/92 als erste Frau dieses Amt innehatte.

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SZ vom 29.08.2019/dayk/cat
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