Frankreich:Strompreis außer Kontrolle

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Das Atomkraftwerk in Cattenom, rund zwölf Kilometer entfernt von der deutschen Grenze, ist nur eines, in dem wegen Rissen an sicherheitskritischen Leitungen derzeit Reaktoren stillstehen. (Foto: Sebastien Berda/AFP)

In Frankreich kostet die Megawattstunde 1000 statt 85 Euro. Das hat mit fehlendem russischen Gas zu tun, aber auch mit dem schlechten Zustand der Atomkraftwerke. 32 von 56 stehen derzeit still. Kein Wunder, dass Macron einen Krisenstab einberuft.

Von Kathrin Müller-Lancé, Paris

Eigentlich tritt der Verteidigungsrat in Frankreich zusammen, um, wie es der Name vermuten lässt, sicherheits- und verteidigungspolitische Angelegenheiten zu besprechen. Wenn andere Themen vordrängen, kann Präsident Emmanuel Macron das Gremium aber schon mal zweckentfremden. So war es der Fall in der Corona-Krise, so ist es jetzt in der Energiekrise. An diesem Freitag organisierte Macron zum ersten Mal einen Verteidigungsrat zum Thema Energie, um mit der Premierministerin Élisabeth Borne und anderen Regierungsvertretern mögliche Szenarien für den Herbst und Winter zu besprechen. Die Lage ist also: ernst.

Vor wenigen Tagen hat Gazprom seine Gaslieferungen an den französischen Energiekonzern Engie gestoppt. "Es ist schon gerechtfertigt, wenn Macron nun einen Verteidigungsrat ausruft", sagt der Energieexperte Thierry Bros von der Hochschule Sciences Po Paris. "Putin führt nicht nur einen militärischen Krieg gegen die Ukraine, sondern auch einen Energiekrieg gegen die EU."

Frankreich habe bereits zwei Monate früher als geplant 92 Prozent der Gasspeicher gefüllt, versuchte Energieministerin Angès Pannier-Runacher am Freitag im Anschluss an den Verteidigungsrat zu beruhigen. Trotzdem sei es das erklärte Ziel, den französischen Energieverbrauch um zehn Prozent zu reduzieren, dafür brauche es die Anstrengung aller.

Auch wenn Frankreich als Atomland generell weniger abhängig von russischem Gas ist als zum Beispiel Deutschland, beschäftigt die Energiekrise das Land intensiv. Mit Blick auf den Herbst hatte Macron schon in der vergangenen Woche ein "Ende des Überflusses" ausgerufen und damit eine Debatte ausgelöst. Man teile diese Form der Panikmache nicht, entgegnete etwa Jean-Luc Mélenchon von der linken Oppositionspartei La France insoumise. Premierministerin Élisabeth Borne hingegen spricht inzwischen von einer "echten Gefahr der Gasknappheit", versichert aber, dass eine mögliche Abschaltung von Gas nicht die Haushalte, sondern zuerst die Industrie treffen würde.

Im Großhandel hat der Strompreis einen Rekord erreicht

Zur Sorge um das knappe Gas gesellt sich in Frankreich die Sorge um den knappen Strom. Viele Haushalte haben elektrische Heizungen, Atomstrom galt bisher als günstige Energiequelle. Das ist nun anders. In der vergangenen Woche ist der Strompreis im Großhandel auf einen Rekordwert von mehr als 1000 Euro pro Megawattstunde geklettert - gegenüber 85 Euro im Vorjahr. "Das hat nicht nur mit dem gestiegenen Gaspreis zu tun", sagt Energieexperte Thierry Bros, "sondern auch mit dem schlechten Zustand unserer Atomkraftwerke." Von 56 Atomreaktoren in Frankreich sind im Moment nur 24 in Betrieb, der Rest steht still. Das liegt zum Teil an Wartungsarbeiten, die wegen der Corona-Krise verschoben wurden, aber auch an schweren Korrosionsschäden. Viele der französischen Atomanlagen sind in die Jahre gekommen. Die Trockenheit der vergangenen Monate erschwert den Betrieb zusätzlich. Weil die Flüsse nicht genügend Wasser führen, um den Kühlkreislauf aufrechtzuerhalten, mussten einige Reaktoren ihre Leistung herunterfahren. "Die Politik hat dieses Problem lange Zeit ignoriert", sagt Thierry Bros, "jetzt wacht man langsam auf."

Erst kürzlich hat der Energiekonzern EDF angekündigt, dass die Wartungsarbeiten an vieren der Meiler bis zum Jahresende und damit länger als geplant dauern. Nach Angaben des Unternehmens werden in diesem Jahr voraussichtlich etwa 280 bis 300 Terawattstunden Strom produziert. Wenn alle Kraftwerke laufen, liegt die Kapazität bei 430 Terawattstunden. Um den Engpass auszugleichen, musste Frankreich, traditionell eigentlich Nettostrom-Exporteur, in diesem Sommer viel Strom aus anderen Ländern importieren. Auch aus Deutschland kaufte es mehr Strom ein, als es umgekehrt in das Nachbarland exportierte. Der Strommangel in Frankreich treibt die Preise auf dem ganzen europäischen Markt nach oben.

Die Regierung hat die Verbrauchspreise für Strom gedeckelt

Die französischen Verbraucherinnen und Verbraucher bekommen die gestiegenen Preise bislang nicht zu spüren. Schon seit Ende des vergangenen Jahres hat die Regierung die Strompreise gedeckelt, für Privathaushalte darf die Stromrechnung nur um vier Prozent steigen. Die Maßnahme kostet den französischen Staat mehrere Milliarden Euro. Das neue Kaufkraftgesetz, das das Parlament noch vor der Sommerpause verabschiedet hat, verlängert den Strompreisdeckel bis zum Ende des Jahres. Für Haushalte sollen auch die Preise für Gas bis zum Ende des Jahres auf dem Niveau von Oktober 2021 eingefroren bleiben. Energieministerin Pannier-Runacher kündigte nach dem Verteidigungsrat am Freitag an, dass es auch nach dem Jahresende weiter Maßnahmen geben soll, um die Energiepreise abzufedern. Welche, konkretisierte sie nicht.

Um die Französinnen und Franzosen angesichts der Energiekrise finanziell zu entlasten, sieht das Gesetz zur Kaufkraft noch weitere Schritte vor. Während in Deutschland der Tankrabatt ausgelaufen ist, wurde der Tankrabatt in Frankreich in dieser Woche erhöht, zumindest vorübergehend. Statt bisher 18 Cent gibt es künftig 30 Cent Preiserlass pro Liter Benzin oder Diesel. Von November an soll der Rabatt dann auf zehn Prozent verringert werden und zum Jahresende ganz auslaufen. Das Gesetz sieht auch vor, dass von Mitte September an die Renten um vier Prozent steigen. Außerdem sollen Mieterhöhungen auf maximal 3,5 Prozent begrenzt werden.

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