Frankreich:Ein Symbol namens Fillon

Muss der einstige konservative Hoffnungsträger ins Gefängnis? Der Prozess zeigt, wie groß der Graben zwischen den Mächtigen in Paris und dem Rest des Landes geworden ist.

Von Nadia Pantel

Frankreich kann sehr nachsichtig sein. Als Jacques Chirac vergangenen Herbst beerdigt wurde, wollte sich niemand mehr daran erinnern, dass er wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder zu zwei Jahren Haft verurteilt worden war. Stattdessen wirkte er in den Tagen nach seinem Tod wie eine nationale Vaterfigur. Auf einmal schienen ihn alle zu lieben. Und sei es nur, weil eine ganze Generation mit Chirac alt geworden war und sich die Trauer um den verstorbenen Präsidenten mit der Sehnsucht nach der eigenen Jugend vermischte.

François Fillon wird nicht einmal ein Funke der Zuneigung zuteil, mit der sein einstiger konservativer Parteifreund posthum überschüttet wurde. 2017 sahen alle Meinungsforschungsinstitute den Republikaner Fillon sicher im Präsidentenamt. Bis bekannt wurde, dass Fillon seine Ehefrau aus der Staatskasse versorgte: Veruntreuung öffentlicher Gelder, Fillon steht seit Mittwoch vor Gericht, ihm drohen bis zu zehn Jahren Haft. Selbst bei den Konservativen rührt sich kaum einer, der das bedauern würde. Der nach seinem Tod nostalgisch verklärte Präsident Chirac steht für die Blütezeit der Konservativen, Fillon im Hier und Jetzt für ihren Untergang. Verlierern verzeiht man ungern. Hinzu kommt, dass die Franzosen im Vergleich zur Ära Chirac strenger mit ihren Politikern geworden sind - ein Mentalitätswandel, der sich bei den Wählern schneller vollzog als bei den zu Wählenden.

Seit Fillon vor drei Jahren erst seine Würde und dann die Wahl verlor, haben die Republikaner drei Viertel ihrer Parteimitglieder verloren. 2015 waren es knapp 240 000, 2019 zählte man noch knapp 60 000. Der Großteil der Austritte erfolgte nach der Niederlage Fillons. Es wäre falsch, ihn persönlich für diesen Niedergang verantwortlich zu machen. Eher wurde er zum Symbol einer Mischung aus Abgehobenheit und Selbstbedienungsmentalität, die sich die Wähler nicht länger bieten lassen wollen, und die Frankreichs Politik seit Jahrzehnten auszeichnet.

Emmanuel Macron spürte diesen Frust genau. Er versprach eine saubere neue Welt, in der dieselben Regeln für alle gelten. Im Jahr drei der Ära Macron ist dieses Versprechen nur noch wenig wert. Auf dem Höhepunkt der Proteste gegen die Rentenreform musste der Mann zurücktreten, der von Macron mit der Durchführung der Reform beauftragt worden war. Er hatte "vergessen", Monatseinkünfte im fünfstelligen Bereich zu deklarieren.

Alles beim Alten also? Es ist schlimmer geworden. Nicht nur, dass die Bevölkerung immer noch das Gefühl hat, es gehöre zum Berufsbild des Politikers, sich auf Kosten der Allgemeinheit zu bereichern. Die Menschen spüren zudem, wie der Graben zwischen den Mächtigen in Paris und dem Rest des Landes tiefer wird. Im März werden in allen französischen Gemeinden neue Bürgermeister gewählt. Macrons Partei führt in keiner der großen Metropolen die Umfragen an. In der Mehrheit der Städte und Dörfer ist es ihr nicht einmal gelungen, einen Kandidaten aufzustellen.

Der Zerfall von Republikanern und Sozialisten hinterließ ein Machtvakuum, das Macron 2017 für seinen Einzug in den Élysée-Palast nutzte. Nun, drei Jahre später, klafft die Leerstelle immer noch. Das Misstrauen gegenüber den Politikern ist gewachsen. Gerade weil Macron einen Neuanfang versprach, den er dann nicht einlöste, wuchert der Zynismus.

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