Süddeutsche Zeitung

Nach den Anschlägen in Paris:Frankreich rüstet gegen den Terror auf

Präsident Hollande präsentiert Vorschläge, wie sein Land auf die Angriffe reagieren soll. Juristen warnen vor einem "französischen Guantanamo".

Von Christian Wernicke, Paris

Das Staatstheater im Schloss von Versailles ging feierlich zu Ende. Stramm wie ein Soldat stand François Hollande hinter dem Rednerpult, als sich die mehr als 1000 Abgeordneten und Senatoren des französischen Kongresses zur Hymne erhoben: "Zu den Waffen, Brüder, formt eure Truppen", sangen Sozialisten wie Liberale und Republikaner, "Marchons, marchons!"

Der Präsident hatte am Montagabend eine staatstragende Rede gehalten, mit einem Schlusswort voller Pathos: "Der Terrorismus wird nicht die Republik vernichten - sondern es wird die Republik sein, die ihn vernichtet!" Aber Hollande bewies auch, dass er geblieben ist, was er immer war: ein flinker, clever abwägender Taktiker. Er präsentierte vor Frankreichs verfassungsgebender Versammlung Vorschläge, mit denen er seine Nation aufrüsten will. "Le tournant securitaire" nennen Élysée-Berater die politische Wende nach rechts, hin zu mehr Sicherheit und Härte. Der Sozialist griff sogar Vorschläge auf, die vor dem Horror des 13. November nur Republikaner oder Vertreter des rechtsextremen Front National (FN) äußerten.

Aberkennung Staatsbürgerschaft

Diese Idee, seit Jahren von FN-Chefin Marine Le Pen propagiert, ist ein eher symbolischer Akt: Franzosen, die als Gotteskrieger zu Feinden des Vaterlandes werden, sollen nicht länger Bürger der Republik sein dürfen. Nun wird die Ausbürgerung erleichtert. Doch diese Ächtung kann nur Franzosen treffen, die noch eine zweite Staatsangehörigkeit haben. Menschenrechtsnormen verbieten es, Staatenlose zu schaffen. Zugleich sollen Doppelstaatler, die als Terrorverdächtige zurück nach Frankreich wollen, an der Grenze abgewiesen werden.

Umgang mit Flüchtlingen

Eher gemäßigte Töne schlug Hollande zum Umgang mit Flüchtlingen an. Führende Republikaner und der FN fordern, vorläufig oder völlig die Aufnahme von Asylbewerbern zu stoppen. Oppositionsführer Nicolas Sarkozy, potenzieller Präsidentschaftskandidat und Mann von "law and order", verlangt jede Woche, das Schengen-Abkommen aufzukündigen. Hollande betonte hingegen, die Zuwanderer aus dem Irak und Syrien seien "Opfer desselben Terrorsystems" wie die Toten von Paris. Strenger denn je verlangte der Präsident jedoch, Europas Außengrenzen zu schützen. Dies sei derzeit nicht der Fall. Falls das nicht endlich gelinge, drohten Mauern "und der Zerfall Europas".

Notstand in der Verfassung

Zur Überraschung der Opposition schlug Hollande vor, die Verfassung um eine Notstands-Klausel zu ergänzen. Bisher kennt die Verfassung nur zwei Kriegs- und Krisen-Artikel, die als Antwort auf die Terrorgefahr wenig taugen. Der aktuelle Notstand wurde vom Ministerrat nur dekretiert. Bis Ende dieser Woche soll das Parlament per Gesetz den "état d'urgence" um drei Monate verlängern und so ermöglichen, Hausarreste und Hausdurchsuchungen ohne richterliche Kontrolle zu verfügen. Liberale und linke Kritiker fordern, derartige Beschränkungen der Freiheiten sauber in der Verfassung zu verankern. Oppositionschef Sarkozy lehnt eine solche Reform als symbolisches Manöver ab. Er verdächtigt Hollande, mit einer aufwendigen Verfassungsänderung nur seinen Status als Krisen-Präsident verlängern zu wollen.

Mehr Überwachung

Die Notstands-Klausel und ein neues Notstandsgesetz will Hollande auch nutzen, um die Überwachung seiner Landsleute in Krisenzeiten zu verschärfen. Welche Mittel er dabei wie einsetzen möchte, ließ er offen. Nur: Auch im notstandsfreien Alltag möchte Hollande dem Inlandsgeheimdienst und der Polizei die Arbeit erleichtern. Die Anti-Terror-Ermittler müssten "auf alle Mittel neuer Technologien zurückgreifen können", sagte der Präsident. Wieder fehlten Details, aber Experten erwarten, dass etwa ein im Sommer beschlossenes Geheimdienstgesetz zum Einsatz von Abhörelektronik und Internet-Überwachung großzügiger denn je ausgelegt wird.

Fußfesseln für Verdächtige

Frankreichs Geheimdienste haben offiziell mindestens 5000, nach neueren Schätzungen sogar über 11 000 Menschen als Gefahr für die Staatssicherheit erfasst. Nach Terroranschlägen ist es fast zum Ritual geworden, dass der Inlandsgeheimdienst mitteilt, ein Täter sei in einer S-Akte ("Fiche S") erfasst gewesen. Oppositionsführer Sarkozy fordert deshalb, sämtliche Verdächtige mit einem "Fiche S" mit einer elektronischen Fußfessel zu versehen und unter Hausarrest zu stellen. Sein Parteifreund Laurent Wauquiez ging nun noch einen Schritt weiter: Der Generalsekretär der Republikaner will mindestens 5000 "Fiche S"-Fälle präventiv in Internierungslager stecken - ohne eine richterliche Anordnung.

Hollande hat diese Forderung nicht rundweg abgelehnt - sondern vertagt: Der französische Staatsrat soll prüfen, ob ein solches Vorgehen rechtens wäre. Nicht nur Verfassungsrechtler hegen daran große Zweifel. Der Anti-Terror-Richter Marc Trévidic sagte, er wolle kein "französisches Guantanamo". Auch Mitarbeiter der Geheimdienste warnen, ihre S-Akten enthielten meist "keine Beweise", sondern nur Indizien. Das Zeichen "Fiche S" solle etwa Polizisten bei Personenkontrollen anhalten, neue Erkenntnisse zu gewinnen - zur Festnahme genüge es allein nicht.

Mehr Personal, mehr Geld

Hollande rüstet auch personell auf. 5000 neue Polizisten, 1000 Zöllner, 2500 Gefängniswärter sollen bis 2017 hinzukommen, um Staat und Bevölkerung zu schützen. Zudem stoppt Hollande den bisher geplanten Personalabbau bei der Armee. Das rettet weitere 10 000 Planstellen. Der erneute Zuwachs bei der Polizei bedeutet, dass während Hollandes Präsidentschaft mindestens 10 000 zusätzliche Polizisten eingestellt werden. Das ist auch ein politisches Signal: Der Sozialist erwähnte in Versailles fast genüsslich, dass damit jene Staatsstärke wieder hergestellt werde, wie sie bis 2007 gegolten habe - vor dem Amtsantritt seines konservativen Konkurrenten Sarkozy.

Mehr Sicherheit kostet mehr Geld, wohl mindestens 500 Millionen Euro allein im nächsten Jahr. Hollande sagte, sein neuer "Sicherheitspakt" sei wichtiger als sein bisheriger "Stabilitätspakt", der den Staat zum Sparen erziehen und helfen soll, endlich wieder Europas Defizitregeln zu respektieren. Die genaue Rechnung ist noch offen. Denn niemand weiß, wie lang Frankreich im Krieg sein wird.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2741190
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.11.2015/pamu
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.