Frankreich:Die Terrorstrategie des IS

Frankreich: Einer der Terroristen des Olympia-Attentats von München 1972

Einer der Terroristen des Olympia-Attentats von München 1972

(Foto: dpa)
  • Außer beispielloser Brutalität fällt den Kämpfern des IS nicht viel Neues ein.
  • Sie tragen ihren Kampf in andere Länder - wie jetzt bei den Terroranschlägen von Paris.
  • Das Grundmuster erinnert an den Palästinenserkonflikt. Auch dort verlagerten Terroristen ihren Kampf für lange Jahre auf Ziele außerhalb Palästinas.

Von Tomas Avenarius

Dass der Islamische Staat für sich in Anspruch nehmen kann, mit seinem Kalifat in Syrien und im Irak das Zukunftsmodell für ein muslimisches Gemeinwesen zu leben, glauben bestenfalls die Internet-Propagandisten der Organisation.

Der am 29. Juni 2014 vom selbsternannten Kalifen Ibrahim ausgerufene Gottesstaat zwischen der nordirakischen Stadt Mossul und dem syrischen Rakka steht für alles mögliche - für Terror, Unterdrückung, Erpressung, Geiselnahme und eine vom Ölschmuggel, Menschenhandel und Schutzgelderpressung betriebene Mafia-Ökonomie. Für eines aber steht er ganz sicher nicht: Für ein halbwegs zivilisiertes, funktionierendes Gemeinwesen.

Warum der IS den Terror in die Welt trägt

Auch beim Terror fällt den Kämpfern des Kalifen außer ihrer beispiellosen Brutalität nichts wirklich Neues ein. Zum altbekannten Instrumentarium gehört es, den eigenen Kampf gezielt nach außen zu tragen, weil man auf heimischem Boden politisch und militärisch unter Druck gerät.

Unmissverständlich ausgedrückt hat dies im Internet nach den Anschlägen von Paris mit ihren 129 Toten und 350 Verletzen ein bekannter holländischer Dschihadist und IS-Gefolgsmann. Der ehemalige holländische Soldat Israfil Yilmaz schreibt: "So, wie die französische Regierung das Bombardieren und Terrorisieren von unschuldigen Muslimen im Irak und Syrien befürwortet, befürworte ich die Angriffe in Frankreich." Yilmaz weiter: "Macht es Sinn, dass muslimisches Blut seit Jahrzehnten wie Wasser fließt und sich keiner darum schert?"

Wie die Palästinenser in den siebziger Jahren argumentiert haben

Ähnlich haben - am Ende vollkommen erfolglos - in den frühen siebziger Jahren die Palästinenser argumentiert und vor allem gehandelt. Mit dem "Schwarzen September", der den angeblich von der Welt unbeachteten Palästina-Konflikt aus dem Nahen Osten nach Europa und nach Deutschland trug: 1972, mit dem Olympia-Attentat von München. Palästinenserchef Jassir Arafat, der mit mit seinen gut 100.000 Bewaffneten über Jahre hinweg in den palästinensischen Flüchtlingslagern in Jordanien gelebt hatte, wollte 1970 nicht mehr nur gegen Israel kämpfen, sondern zugleich nach der Macht in dem kleinen arabischen Land greifen: Er forderte das jordanische Herrscherhaus heraus.

König Hussein schickte seine Armee gegen die Arafat-Kämpfer. Der darauf entstehende Bürgerkrieg in Jordanien dauerte ein Jahr, arabische Nachbarstaaten mischten sich ein. Am Ende aber musste der geschlagene Palästinenserführer nach Kairo fliehen. Zehntausende Kämpfer schickte er in den Libanon, wo sie den nächsten, weit folgenreicheren Bürgerkrieg auslösten.

Wie der "Schwarze September" weltweit auf sich aufmerksam machen wollte

Vor allem aber gründete die Palästinenserführung nach der Niederlage die Terrororganisation "Schwarzer September". Der Begriff vom schwarzen Monat September steht im Sprachgebrauch der Palästinenser für die Schlappe in Jordanien. Also ermordete die Untergrundorganisation zuerst einmal einige Jordanier in Deutschland, kurz darauf folgte dann das spektakulärste Attentat: Am 5. September 1972 stürmten acht Terroristen das Olympiadorf, nahmen elf Mitglieder der israelischen Mannschaft als Geiseln.

Sie wollten nicht nur gefangene Gesinnunsgenossen freipressen, sondern zudem angeblich weltweite Aufmerksamkeit für das palästinensische Leiden in Jordanien und den von den Israelis besetzen Palästinensergebieten erwecken. Der Rest ist bekannt: Der Befreiungsversuch durch die völlig überforderte deutsche Polizei am Flughafen Fürstenfeldbruck endete im Desaster, alle israelischen Geisel starben. Der Palästinenserkonflikt aber verlagerte sich für lange Jahre öffentlichkeitswirksam auf die Ebene von Flugzeugentführungen, Geiselnahmen und Terror außerhalb Palästinas - und in europäischen Staaten.

Welche Parallele es zum IS gibt

Nach einem vergleichbaren Grundmuster handelt jetzt der Islamische Staat. Weil Frankreichs Präsident Francois Hollande sich der westlich-arabischen Anti-IS-Koalition angeschlossen hat und seine Luftwaffe Angriffe im Irak und vor allem seit Ende September auch in Syrien bombardiert, bringt Kalif Ibrahim seinen nahöstlichen Konflikt nach Paris und setzt so die dortige Regierung unter innenpolitischen Druck. Nach dem Motto: Ihr interessiert euch nicht für den Krieg bei uns - aber der Krieg interessiert sich sehr für Euch.

Seine Logik ist einfach: Französische Flugzeuge hatten jüngst die vom IS ausgebeuteten Ölanlagen bei Rakka bombardiert, zudem einen gesuchten französischen Dschihadisten, Salim Bengalim, attackiert. Dass man sich nach den Terroranschlägen vom Freitag nun in einem Krieg befindet, der nicht nur in der Levante, sondern auch im eigenen Land geführt wird, erkennt inzwischen auch Präsident Hollande an: "Das war ein Angriff einer Terrorarmee gegen Frankreich, ein Angriff der Dschihadistenarmee Islamischer Staat."

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