Französische Schüler, die sich um den Zustand des Planeten sorgen, sollen doch freitags von 16 Uhr an mit ihren Lehrern über Umweltschutz diskutieren. So sieht das Bildungsminister Jean-Michel Blanquer, der ankündigt, sich "an der Seite der Schüler für den Kampf gegen den Klimawandel einzusetzen". Die Idee erntet bislang eher Augenrollen als Begeisterung. An den Schulen werden gerade Probeklausuren fürs Abitur geschrieben. Die Schnittmenge junger Menschen, die der Klimawandel mehr bedrängt als die Abiturnote, und derer, die lieber mit Lehrern ihren Nachmittag verbringen, statt auf der Straße Lärm für ihre Überzeugungen zu machen, dürfte klein ausfallen.
Der Vorstoß des Bildungsministers ist zunächst der ungeschickte Versuch, sich an die junge Bewegung heranzuwanzen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron möchte sich als Anführer einer klimafreundlichen Politik positionieren, doch der Ökoaktivist Nicolas Hulot ist als Umweltminister zurückgetreten, weil er sich mit den nötigen Reformen nicht durchsetzen konnte. Die "Fridays for future"-Schüler sind nun ein willkommener Anlass für Macron, grünes Engagement zu zeigen. Nichts spricht dafür, dass diejenigen, die sich da gerade politisieren, Lust haben, sich in eine staatlich organisierte Debatte einhegen zu lassen. Doch Blanquers Diskussionsangebot an die Schüler steht für mehr als den Wunsch der Regierung nach einem guten ökologischen Gewissen. Und vor allem teilen Macron und sein Bildungsminister eine Überzeugung: Die Republik erzieht ihre Kinder.
Der Blick aufs Nachbarland bringt es mit sich, dass man dort oft findet, was einem zu Hause fehlt. So gelingt es Macron, in Deutschland der zu sein, als den ihn in Frankreich nur noch wenige wahrnehmen: ein gefeierter Erneuerer. Und in der französischen Bildungs- und Familienpolitik sehen deutsche Frauen ein System, das schon die Kleinsten selbstverständlich betreut und daher Müttern Freiräume verschafft, die in Deutschland hart erstritten werden müssen.
Dabei wird nicht nur zu selten erwähnt, dass Kindererziehung mehr bedeutet, als zwischen den Optionen Kita oder Mutter zu wählen, dass zum Beispiel auch Väter Verantwortung übernehmen könnten. Es wird auch kaum wahrgenommen, dass das französische System auf einer sehr selbstverständlichen Anerkennung staatlicher Autorität und Zuständigkeit beruht.
Seit Macron Präsident ist, stärkt er die Schule als strenge Mutter der Republik. Obwohl mehr als 90 Prozent der Eltern ihr Kind freiwillig in die Vorschule schicken, hat er den Besuch der École maternelle vom dritten Lebensjahr an zur Pflicht erklärt. An Schulen wurde ein Handyverbot erlassen; von diesem Jahr an durchlaufen die ersten Jugendlichen den neuen Service National Universel: Spätestens von 2026 an sollen alle 16-Jährigen mindestens einen Monat lang eine Mischung aus Zivil- und Militärdienst ableisten, inklusive Uniform und Wehrübungen.
Das obligatorische Jugendcamp und die frühe Schulpflicht sind Reaktionen auf die von vielen Franzosen geteilte Diagnose, dass die französische Gesellschaft in Reiche und Arme, Eingewanderte und Alteingesessene zerfällt. Man kann diskutieren, ob vier Wochen in Uniform etwas daran ändern. Doch der Universaldienst zeigt, wie ungebrochen Macron an die integrierende Kraft der Nation glaubt. So sehr, dass er auch die Klimademos der Schüler unter dieses gemeinsame Dach holen will.
Den Glauben an die starke Nation teilt er mit der Protestbewegung der "Gilets jaunes". Nichts hörte man auf ihren Demonstrationen öfter als die Marseillaise, statt Plakaten trugen viele die französische Fahne durch die Straßen. So sehr die Gelbwesten die Regierung verabscheuen, so leidenschaftlich hängen sie an der Republik. Diese Hassliebe zum System entsteht auch in der Mischung aus Fürsorge und Strenge, mit welcher der französische Staat seinen Bürgern und schon seinen Schülern begegnet.
Macron setzt auf die umarmende Stärke der Republik. Er versucht den Spagat: Einerseits will er die Autorität aufrechterhalten, andererseits die Widerstände gegen sie als Teil des gemeinsamen Kampfes für die gute Sache deuten. Seine Reaktion auf die Proteste der Gelbwesten ist dieselbe wie auf die Proteste der Schüler: Ihr seid für Gerechtigkeit? Wir auch.
Also bitte runter von der Straße. Doch am Aufstand der Gelbwesten sieht man, wie dieser Versuch scheitert, einen Konsens herzustellen zwischen der staatlichen Autorität und denen, die diese Autorität infrage stellen, weil sie ihnen Lasten auferlegt, die sie so nicht tragen wollen. Die allgegenwärtige Republik erzieht die Bürger und ordnet ihr Leben. Doch es wird schwierig, wenn sie diesen Erwartungen nicht mehr gerecht wird. Dann hinterlässt sie Bürger mit hohen Ansprüchen und geschrumpften Sicherheiten. Der Ort zorniger Schüler ist unter diesen Bedingungen die Straße, nicht der vom Bildungsminister gewünschte Stuhlkreis im Klassenzimmer.