Frankreich:Die ganze Welt ist seine Bühne

Frankreich: Emmanuel Macrons geopolitischer Gestaltungswille wird nicht durch strategische Verschnaufpausen gebremst – mit seinem Sendungsbewusstsein führt Frankreichs Präsident eine Tradition fort.

Emmanuel Macrons geopolitischer Gestaltungswille wird nicht durch strategische Verschnaufpausen gebremst – mit seinem Sendungsbewusstsein führt Frankreichs Präsident eine Tradition fort.

(Foto: GONZALO FUENTES/AFP)

Emmanuel Macron unterteilt seine Präsidentschaft ganz offiziell in Akte - innenpolitisch soll das den Bürgern die Möglichkeit geben, jedem Schritt folgen zu können. Außenpolitisch ist das deutlich schwieriger.

Von Nadia Pantel, Paris

Politisch gesehen, lebt man in Frankreich in einem Theaterstück. Emmanuel Macron hat sich angewöhnt, seine Präsidentschaft in Akte einzuteilen. Der "erste Akt" wurde von Reformversprechen im Wochentakt geprägt - und endete im Chaos der Gelbwestendemonstrationen. Um diesen die Wucht zu nehmen, rief Macron "Akt Nummer zwei" aus, er wolle den Bürgern mehr zuhören, soziale Härten besser ausgleichen. Ohne dass Akt zwei zu einem spürbaren Abschluss gekommen wäre, läuft aktuell Akt drei, wie Macron es nennt. Eine nicht vorgesehene Zäsur, ausgelöst durch die Corona-Pandemie. Vorhang auf, und voilà: Seit Juli führt eine umgebaute Regierung das Land.

Das Zählen der Akte soll dem Präsidenten helfen, so hofft man im Élysée, für die Bürger lesbar zu bleiben: Was wird gerade warum entschieden? Eine von der Staatsführung gern bemühte Formulierung lautet, man müsse noch mehr "Pädagogik machen", die Politik den Bürgern also besser verkaufen.

Diese "Pädagogik" sucht man außenpolitisch vergeblich. Macrons geopolitischer Gestaltungswille wird nicht durch strategische Verschnaufpausen gebremst. Denn anders als sein Umbau von Arbeitsmarkt und Sozialsystem interessiert sie die Wähler weniger in ihren Details, sondern in der Großwirkung: Macron vertritt auf der Weltbühne ein starkes, dynamisches Frankreich. Eine Auswahl der präsidialen Auftritte der vergangenen Wochen: Mitte Juli feierte er sich dafür, den anderen EU-Staaten ein "historisches", so Macron, Hilfspaket abgerungen zu haben, um die Corona-Wirtschaftskrise abzupuffern. Anfang August war er der erste Staatschef, der nach der Explosion in Beirut nach Libanon reiste, er versprach nicht nur Hilfe, er forderte Reformen.

Gleichzeitig bezieht er im Konflikt um Erdgas zwischen Griechenland und der Türkei klar Stellung gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und setzt sich vom eher vorsichtigen Ton innerhalb der EU ab. Am Donnerstag versammelte Macron die Regierungschefs von Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Zypern und Malta zu einem Gipfel auf Korsika, um die südlichen EU-Länder auf einen Kurs zu führen. Auch in seiner Russlandpolitik hatte er bisher darauf gesetzt, sich als unkonventioneller Macher zu zeigen. Erst die Vergiftung des Oppositionellen Alexej Nawalny im August brachte ihn dazu, von seiner Annäherung an Russlands Präsidenten Wladimir Putin abzusehen.

Macrons außenpolitischer Schwung bildet dabei einen Gegensatz zu der innenpolitischen Lähmung, die mit der erneut stark ansteigenden Zahl der Corona-Infizierten einhergeht. Nicht der Präsident "revolutioniert" das Land, wie er es vor seiner Wahl 2017 noch versprochen hatte, sondern ein Virus krempelt alles um.

Handelt es sich also schlicht um Aktionismus, der von inneren Problemen ablenken soll? Politische Kommentatoren verspotteten Macron bereits als "Weltenretter". Doch tatsächlich schreibt sich Macron mit seinem Sendungsbewusstsein in eine französische Tradition ein. So erklärt der Politikwissenschaftler Bruno Cautrès in La Presse, Macron pflege Frankreichs "Aura" als historisch gewachsene Großmacht. "Je näher die nächste Wahl rückt, umso stärker wird Macron sich darauf konzentrieren, seine Kapazität zu zeigen, die Interessen Frankreichs auf der internationalen Bühne zu vertreten", so Cautrès.

Neu sind Macrons außenpolitische Ambitionen dabei ohnehin nicht. Er war 2017 der einzige Präsidentschaftskandidat, der sich traute, mit EU-Enthusiasmus Wahlkampf zu machen. Von Anfang an betonte er, dass er nicht nur sein Land reformieren wolle, sondern auch die europäischen Institutionen. Auf der französischen und auf der europäischen Ebene begründet er die Reformen damit, dass Frankreich und die EU konkurrenzfähig gegenüber China und den USA bleiben müssten. Seine außenpolitischen Überzeugungen kann man ausführlich in dem langen Interview nachlesen, dass Macron Ende 2019 dem Economist gab. Es gab Ärger, als Macron die Nato darin als "hirntot" bezeichnete. Eine bewusste Provokation. In dem Gespräch sagte Macron über die EU: "Wenn wir nicht aufwachen und etwas tun, dann besteht das erhebliche Risiko, dass wir geopolitisch verschwinden, oder dass wir wenigstens nicht mehr unser Schicksal bestimmen werden. Davon bin ich tief überzeugt." Es wäre falsch, Macrons außenpolitische Omnipräsenz als innenpolitisches Kalkül abzutun.

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