Süddeutsche Zeitung

Annalena Baerbock in Paris:Ein Update für die Freundschaft

Außenministerin Baerbock trifft in Paris ihre Kollegin Colonna und Präsident Macron. Nach Irritationen soll eine Besuchsoffensive die Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich verbessern.

Von Paul-Anton Krüger und Kathrin Müller-Lancé, Paris

Frankreichs Außenministerin Catherine Colonna findet viele Synonyme am Montagmorgen im Lycée Montaigne im 6. Arrondissement von Paris, um die Verbindung mit der Bundesrepublik zu beschreiben: "Es gibt ein deutsch-französisches Paar, einen deutsch-französischen Motor, die deutsch-französischen Beziehungen, wie immer sie es nennen wollen", sagt sie vor Schülerinnen und Schülern, die hier sowohl das Baccalauréat ablegen als auch das Abitur.

Colonna und ihr Gast aus Berlin, Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, geben sich jede Mühe, die jüngsten Verwerfungen im Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland vergessen zu machen. "Es gibt keine Scherben, die man in diesen Momenten zusammenkehren muss", sagt Baerbock. Allenfalls einmal Unterschiede, etwa in der Energiepolitik beim Thema Atomkraft, "auf die wir unterschiedlich blicken". Man solle aber nicht in unterschiedliche kulturelle Identitäten Streit hineininterpretieren. Die Europäische Union lebe vom Mehrwert unterschiedlicher Sichten, bei denen es kein Richtig oder Falsch gebe.

Das hatte sich zuletzt immer wieder etwas anders angehört. Ende Oktober wurde das Treffen des deutsch-französischen Ministerrats kurzfristig abgesagt, offiziell aus Termingründen und weil man bei Fragen der Energiepolitik und bei gemeinsamen Rüstungsprojekten mehr Zeit brauche, um zu Ergebnissen zu kommen. "Der Motor stottert deutlich", urteilte die französische Zeitung Le Monde. Als Kanzler Olaf Scholz (SPD) statt mit seinen Ministern alleine zu Präsident Emmanuel Macron nach Paris kam, betonte die deutsche Seite schon, dass alles harmonischer laufe als von außen vermutet. Im Elysée-Palast verzichtete man auf einen Kommentar.

Damit sich die Beziehungen spätestens bis zum Jubiläum des 60-jährigen Bestehens des Elysée-Vertrags, der einen Rahmen für die deutsch-französische Freundschaft setzte, im Januar wieder entspannen, haben die Regierungen beider Länder nun eine Besuchsoffensive gestartet. Einige Tage vor Außenministerin Baerbock, die am Montag auch von Frankreichs Präsident Macron zum Gespräch empfangen wurde, war bereits Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) in Paris. An diesem Dienstag treffen sich die Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bruno Le Maire in der französischen Hauptstadt. Am Freitag reist Frankreichs Premierministerin Élisabeth Borne zu Kanzler Scholz nach Berlin.

Eine Absage des Kanzlers löste Irritationen aus

Bornes Besuch war eigentlich schon im September geplant gewesen, wurde dann aber wegen der Corona-Erkrankung des Kanzlers abgesagt. Auch für ein Schaltgespräch mit der Premierministerin schien Scholz zu krank zu sein - was in Frankreich Irritationen auslöste. Denn am selben Tag war Scholz gesund genug, um per Videokonferenz sein 200-Milliarden-Doppelwumms-Paket zu verkünden. Auch davon unabhängig war man in Frankreich über das deutsche Paket nicht erfreut: Gerne wäre Paris, wie es eigentlich deutsch-französische Tradition ist, vorher über die Pläne informiert worden. In Berlin verteidigte man sich, auch Frankreich habe seine Unterstützungspakete für die französische Wirtschaft nicht vorher abgesprochen.

Noch immer sind nicht alle Streitpunkte zwischen Deutschland und Frankreich ausgeräumt. Auf EU-Ebene gehörte Scholz zu der Minderheit, die einen europäischen Gaspreisdeckel ablehnte, Macron hingegen sprach sich dafür aus. Die geplante vorübergehende Obergrenze, die die EU-Kommission nun präsentiert hat, ist weniger als das, was Frankreich sich erhofft hat. Neue EU-Schulden, um die Mitgliedsländer in der Energiekrise zu unterstützen, wie sie zum Beispiel der französische EU-Kommissar Thierry Breton fordert, lehnt Deutschland ab.

Auch in der Rüstungspolitik gab und gibt es Konflikte zwischen beiden Ländern. Dass Deutschland zuletzt in den USA Tarnkappenflugzeuge vom Typ F-35 kaufte und mit osteuropäischen Nachbarn einen Luftverteidigungsschirm ohne französische Beteiligung verabredete, kam in Frankreich nicht gut an. Beim Luftkampfsystem FCAS, dem deutsch-französisch-spanischen Vorzeigeprojekt, gibt es dafür Fortschritte. Nach langem Hin und Her soll das Projekt in die Entwicklungsphase gehen, auch wenn weiter noch nicht alle Verträge zwischen den beteiligten Unternehmen unterzeichnet sind und in Deutschland noch der Bundestag zustimmen muss.

Es gehe darum, "dass Deutschland und Frankreich gemeinsam einen Takt angeben, wenn es ihn denn braucht", sagte Baerbock auch mit Blick auf die gemeinsame Reaktion auf Russlands Krieg gegen die Ukraine. Als Beispiel dürfte beiden auch die Unterstützungsplattform für die Republik Moldau gelten, eine deutsch-französische Initiative zusammen mit Rumänien, deren drittes Ministertreffen in Paris ein Anlass für Baerbocks Reise war. "Wenn Europa zusammenstehen muss, weil unsere Werte, unser Zuhause verteidigt werden müssen, dann spielen wir zusammen." Und Colonna betonte: "Es ist wichtig, sich zu sehen und sich oft zu treffen. Das ist etwas ganz anderes als die Arbeit an Dossiers auf Distanz." Die Fortschritte beim FCAS-Projekt zeigten, dass es richtig sei, sich Zeit für wichtige Themen zu nehmen. Die Stimmung am 22. Januar, dem 60. Jahrestag der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags, dürfte demnach angemessen feierlich ausfallen.

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