Süddeutsche Zeitung

Frankreich:Der Tag nach Chiracs Verkündung

Der Präsidentschaftswahlkampf sorgt auch am Tag nach der Verzichtserklärung von Jacques Chirac für Schlagzeilen. Während der konservative Kandidat Sarkozy auf Distanz zum scheidenden Staatsoberhaupt geht, macht sich bei der Sozialistin Royal Nervosität breit.

Frankreichs konservativer Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy sieht sich nicht als "Erbe" des scheidenden Amtsinhabers Jacques Chirac.

Chiracs Rückzugsankündigung sei "ein bewegender Moment" gewesen, der ihn "berührt" habe, sagte Sarkozy dem Radiosender France Inter. Auf die Frage, ob er sich als politischer Erbe des 74-Jährigen sehe, sagte der Innenminister: "Im Grunde habe ich mich niemals als Erbe von irgendjemand gefühlt." Sarkozy fügte hinzu: "Frankreich, das ist die Republik - kein Erbe".

Der 52-jährige Sarkozy, Chef der Regierungspartei UMP, liegt in Umfragen seit Wochen vorn. Er ging im Wahlkampf auf Distanz zu Chirac. Anfangs stellte er sich sogar ausdrücklich als Kandidat des "Bruchs" mit Chiracs zwölf Jahren an der Staatsspitze dar.

In seiner TV-Ansprache gab Chirac keine Empfehlung über einen möglichen Nachfolger ab. Diese "persönliche Wahl" werde er später bekannt geben, sagte er und warnte zugleich vor jedem Paktieren mit dem Extremismus. Beobachter verstanden dies als indirekte Kritik an Sarkozy, der zuletzt die Einrichtung eines "Ministeriums für Immigration und nationale Identität" gefordert hatte.

Sarkozy sagte, Chirac sei "zweifellos der komplexeste und scheueste Mann, dem ich in meinem politischen Leben begegnen durfte". Der scheidende Präsident entspreche "überhaupt nicht dem Image, das man ihm zuschreibt". Er verwies auf die "außerordentliche Energie" Chiracs und "seinen Willen, die Prüfungen zu überwinden".

Villepin stellt sich nach langem Zögern an Sarkozys Seite

Nach dem Verzicht Jacques Chiracs kann der Innenminister auch auf die Unterstützung seiner parteiinternen Rivalen hoffen. Nach langem Zögern stellte sich der Chirac-Vertraute und Premierminister Dominique de Villepin hinter den UMP-Kandidaten. "Ich werde an seiner Seite stehen", sagte Villepin dem Radiosender Europe-1. "Wir sind zusammen in der Regierung, wir werden im Wahlkampf zusammen sein."

Bei Frankreichs Sozialisten macht sich hingegen angesichts schwächerer Umfragewerte für ihre Kandidatin Ségolène Royal Nervosität breit. Der Parteichef und Lebensgefährte Royals, François Hollande, schloss in der Zeitung Libération nicht mehr aus, dass Royal den Einzug in die Stichwahl am 6. Mai verpassen könnte.

Mit Blick auf die Wahl 2002, als der sozialistische Kandidat Lionel Jospin dem Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen beim Einzug ins Stechen den Vortritt lassen musste, "können wir keine Hypothese ausschließen".

Hollande warnte vor einer Stichwahl zwischen Sarkozy und dem Liberalen François Bayrou, der am Wochenende in einer Umfrage bei den Wahlabsichten für die erste Runde erstmals mit Royal gleichgezogen war. Zwischen Sarkozy und Bayrou gebe es kaum Unterschiede, sagte Hollande.

Royal klagt inzwischen über fehlende Unterstützung durch die Schwergewichte der Sozialistischen Partei (PS) zu Beginn ihres Wahlkampfes: "Ich glaube, dass die Führer der Sozialistischen Partei in der Anfangsphase der Kampagne wegen interner Debatten keine ausreichend geschlossene Front um mich herum gebildet haben", sagte sie dem TV-Sender "M6".

Deshalb hat es Zweifel an der Kompetenz gegeben. Die Leute haben sich gesagt: 'Wie kommt das? Wenn sie sich nicht hinter sie stellen, dann haben sie selbst Zweifel.'" Laut Royal ging es nicht um Anfeindungen der PS-"Elefanten" gegen sie, sondern darum, "was sie damals nicht gesagt haben".

Sarkozys Vorsprung schmilzt - trotz der Befürchtungen der Sozialisten

"Allen Befürchtungen der Sozialisten zum Trotz schmilzt der Vorsprung Sarkozys. Eine am Montag veröffentlichte Umfrage des Instituts TNS-Sofres sieht den amtierenden Innenminister in der ersten Wahlrunde am 22. April mit 27 Prozent auf Platz eins, allerdings büßte er vier Punkte gegenüber der Vorwoche ein.

Royal könnte mit 25,5 Prozent rechnen, Bayrou legte um 4,5 Punkte auf 23 Prozent zu. In der Stichwahl am 6. Mai hätte Sarkozy mit 52 Prozent noch knapp die Nase vor Royal, allerdings schrumpfte sein Vorsprung von acht auf vier Punkte.

Auch im Ausland hat die Entscheidung Chirac Reaktionen hervorgerufen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den scheidenden französischen Staatspräsidenten als vertrauenswürdigen und verlässlichen Partner gewürdigt.

Chirac habe an der Entwicklung der guten und freundschaftlichen Beziehungen zu Deutschland einen entscheidenden Anteil, erklärte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm in Berlin.

Diesen Beziehungen gelte auch weiterhin das besondere Augenmerk des Staatspräsidenten. Sein Engagement für ein enges deutsch-französisches Zusammenwirken sei von einer tiefen persönlichen Überzeugung getragen. "Für diese enge Zusammenarbeit gebührt ihm Dank, Anerkennung und Respekt," erklärte Wilhelm im Namen der Kanzlerin.

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