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Frankreich:Der Motor springt wieder an

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Wochenlang war Präsident Macron damit beschäftigt, auf Kritik zu reagieren. Jetzt findet er in die Rolle des europäischen Vordenkers zurück.

Von Nadia Pantel, Paris

Es ist ein exzellenter Nachmittag für Emmanuel Macron. Entspannt lächelnd und braun gebrannt beginnt er diese Pressekonferenz, bei der er auf einmal nicht mehr wirkt wie ein Strauchelnder, sondern wie ein Etappensieger. Frankreichs Präsident gehört zu der Gruppe der Franzosen, die während der achtwöchigen Ausgangssperre Zugang zu einem Garten hatten, man sieht ihm an, dass er viele Arbeitsstunden in den parkähnlichen Anlagen des Élysée-Palastes verbracht hat. Doch Macron ist niemand, der sich über erzwungene Entschleunigung freuen würde. Er hat auf einen Moment gewartet wie diesen. Darauf, dass er sich wieder als Handelnder, Visionär und Lenker zeigen kann.

Gemeinsam mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel stellt Macron vor einer Handvoll Journalisten die deutsch-französische Initiative für den Wiederaufbau Europas vor. Macron lässt sich in Paris filmen, Merkel in Berlin, statt nebeneinander stehen sie neben großen Bildschirmen, die den jeweils anderen zeigen. Doch trotz der räumlichen Distanz zeigen sich Frankreich und Deutschland einig wie lange nicht. Sie schlagen vor, den EU-Mitgliedsländern 500 Milliarden zusätzliche Euro zur Verfügung zu stellen, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie aufzufangen. Über den Plan werden nun die 27 Partner diskutieren müssen. Etwa über die Frage, wo das Geld am sinnvollsten eingesetzt werden könnte. Geholfen werden soll denen, die es am schwersten getroffen hat. "Ich mache sicher keinen Fehler, wenn ich dabei als Beispiel den Tourismussektor in Italien anführe", sagt Macron.

Von Frankreich aus betrachtet wirkt es, als sei es ihm gelungen, die Deutschen zu bändigen

Wochenlang war Frankreichs Präsident in erster Linie damit beschäftigt, zu reagieren. Auf die Vorwürfe aus der politischen Opposition, den Krankenhäusern, den Altenheimen, in den Sozialen Netzwerken, wo Kritiker über den Mangel an Masken und Tests klagen. An diesem Montag hat er die Rolle des Vordenkers wiedergefunden. Er erklärt den Europäern, dass sie die Krise als Chance sehen können. Von Frankreich aus betrachtet wirkt es zudem, als sei es dem Präsidenten gelungen, die Deutschen zu bändigen. Weg vom strengen Sparkurs, hin zu einem finanziellen Bekenntnis zu Europa. Die strengen Sparvorschriften nach der Finanzkrise nennt Macron einen "strategischen Fehler".

"Wir haben aus der Vergangenheit gelernt. Wir haben nach der Finanzkrise die schwächsten Länder in sehr harte Programme gezwungen, das hat Europa nicht gestärkt", sagt Macron. Es ist eine klare Kritik an der Berliner Sparpolitik. Und ein Triumph für Macron, der sich seit Jahren für eine stärkere finanzielle Absicherung der südlichen Mitgliedstaaten ausspricht.

Italien, Spanien und Frankreich gehören zu den EU-Mitgliedstaaten, die bislang vom Coronavirus am härtesten getroffen wurden. Wirtschaftlich - und auch was die Zahlen der Erkrankten und der Verstorbenen betrifft. Das Verkünden der deutsch-französischen Initiative ist für Macron nun ein Weg, sein Land und sich aus der Position des Krisenstaats herauszumanövrieren. Mit dem Abebben der ersten Viruswelle endet auch die Zeit, in der in erster Linie Ansteckungsraten berechnet wurden. Es beginnt die Zeit, in der nach politischen Lösungen gesucht wird.

Über Wochen wirkte es, als sei der vielbeschworene deutsch-französische Motor durch Corona einfach abgeschaltet worden. Die Grenze geschlossen, die Blicke nach innen gerichtet. In der vergangenen Woche schrieb das französische Magazin Le Point auf seiner Titelseite über das "Post-Covid-Wettrennen" zwischen Paris und Berlin. Als hätte die Krise von der Freundschaft nur die Konkurrenz übrig gelassen. An diesem Montag springt der Motor wieder an. Es werde keine europäische Lösung für die Krise geben, sagte Macron, "wenn es vorher nicht einen deutsch-französischen Vorschlag gibt".

Ein solcher liegt nun auch für den medizinischen Kampf gegen das Virus vor. In den ersten Wochen der Pandemie mangelte es in fast allen EU-Ländern an Schutzkleidung und Tests, in den am schlimmsten betroffenen Ländern auch an Intensivbetten. Doch die einzig greifbare europäische Solidarität war das Verschicken und Aufnehmen schwer Erkrankter. Rettung in letzter Not also, statt gemeinsames Planen. Paris und Berlin schlagen nun vor, eine Strategie für ein "Europa der Gesundheit" zu entwickeln. Dies betrifft insbesondere die gemeinsame Suche nach einem Impfstoff.

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SZ vom 19.05.2020
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