Frankreich:Das Macron-Paradox

Der Präsident hat zu viel und zu wenig, zu schnell und zu langsam zugleich reformiert. Das rächt sich jetzt. Viele Bürger halten ihn für unsozial und geben ihm keinen politischen Kredit mehr. Droht ihm nun die Blockade?

Von Leo Klimm

Emmanuel Macron wirbelt durch Frankreich. Im Eiltempo reformiert der Präsident das Land, nichts darf seinem jugendlichen Furor widerstehen. Er will viel - zu viel für die Franzosen. Macron hat sie schon schwindelig reformiert. Nur eines scheint für viele noch klar zu sein: dass er als ein Präsident der Reichen wirkt, dass seine Wirtschaftsreformen ein Fest für Großkapitalbesitzer sind.

Dagegen rebellieren jetzt viele Franzosen. Hinter den Straßenblockaden der Gelbe-Westen-Bewegung, die als Autofahrerprotest gegen eine Ökosteuer begann, steht das Gefühl, Macron verletze mit seinen Reformen und seiner teils arroganten Sprache einen Kernwert der Republik - die Égalité. Frankreich mag schon lange voller Ungleichheit sein. Doch der Volkszorn bricht sich gerade jetzt Bahn. Es geht um Arm gegen Reich, das ausgezehrte Land gegen wohlhabende Städte. Macron muss diesen Aufstand besonders fürchten, da er nicht von Gewerkschaften organisiert wird, sondern von Normalbürgern, und weil er von der Bevölkerungsmehrheit unterstützt wird. Aus den Straßenblockaden droht die politische Blockade des Präsidenten zu werden.

Der Staatschef hat sich in eine paradoxe Lage manövriert: Er hat einerseits viel und schnell reformiert - und andererseits zu wenig und zu langsam. Denn die wichtigsten und heikelsten Strukturreformen, die er sich vorgenommen hat, ist er noch nicht angegangen. Das war ein Fehler. Sein politischer Kredit ist nun bereits aufgebraucht, nur eineinhalb Jahre nach der Wahl. Mit seinem Aktionismus hat er seine Landsleute einerseits überfordert und andererseits ihre Ungeduld geschürt. Also die Erwartung nach einer schnellen Steigerung der Einkommen und einem Rückgang der Arbeitslosigkeit. Wie soll Macron jetzt noch größere Umbauten in der Sozialversicherung oder beim Staat schaffen? Alles, was er tut, wird ihm als unsozial angekreidet - obwohl etwa eine geplante Rentenreform auf mehr Égalité abstellt. Macron steckt in der Unsozial-Falle.

Dabei zielt der Präsident in die richtige Richtung, um Frankreich nach Jahren der Agonie wieder konkurrenzfähig zu machen im Chaos einer Weltwirtschaft, die von digitalem Umbruch, Globalisierung und Protektionismus zugleich geprägt ist. Die Politik von Macrons Regierung zieht Investitionen an, begünstigt sozialversicherungspflichtige Jobs, bekämpft alte Probleme bei der Ausbildung. Es ist eine Politik, die Arbeit fördert, aber nicht schnell wirkt - ohne dass sie ansatzweise so einschneidend wäre wie einst die Hartz-Reformen in Deutschland.

Begonnen hat Macron mit leichten Dingen, vor allem mit Steuersenkungen. Geben ist seliger als nehmen. Am meisten gab der Präsident in der Tat den Wohlhabenden. Er schaffte die Reichensteuer ab, senkte die Steuern auf Kapitalerträge und Unternehmensgewinne. Gleichzeitig lockerte er das Arbeitsrecht. Diese wirtschaftsliberale Reformsalve zu Beginn der Amtszeit bestimmt die Wahrnehmung Macrons in Frankreich. Dabei geht unter, dass auch das verfügbare Einkommen von Normal- und Geringverdienern steigt, weil sie entlastet wurden. Die Allerärmsten dagegen - Sozialhilfeempfänger oder Rentner mit schmalem Altersgeld - sind bisher die Verlierer der Reformen. Und die Ökosteuer, die für so viel Ärger sorgt, trifft die am härtesten, die sich kein sauberes neues Auto leisten können. Von ihnen muss er sich den Vorwurf gefallen lassen, unsozial zu sein.

Das Nehmen, also das Wegnehmen, das auf das Geben folgen sollte, hat Macron für 2019 eingeplant. Sparen muss nicht per se unsozial sein. Der Präsident hat es trotzdem vor sich hergeschoben, weil der Widerstand gut organisierter Lobbys stark sein wird. Das Rentensystem, das in Wahrheit aus mehr als 40 verschiedenen Systemen besteht und ein massiver Faktor von Ungleichheit ist, soll einheitliche Regeln bekommen. Die Arbeitslosenversicherung, die ausgerechnet gut qualifizierten Erwerbslosen am längsten Hilfen auszahlt, soll etwas sparen. Der öffentliche Dienst, der nicht durch Leistung im Sinne der Bürger besticht, soll effizienter werden. All das sind richtige Reformen. Was Macron schon unternommen hat, wirkt allmählich: Die Zahl unbefristeter Neueinstellungen etwa steigt deutlich.

Dennoch droht Macron die Blockade. Erstens, weil Frankreich, wie ganz Europa, vom Konjunkturabschwung erfasst wird. Zweitens, weil im Frühjahr die Europawahl ansteht. Die Gelbwesten-Bewegung mag bald zusammenfallen. Ihre Wut aber werden die Leute in die Wahlurnen tragen. Macrons ärgste Widersacherin, die Rechtsextreme Marine Le Pen, könnte ihm eine schwere Niederlage zufügen.

Der Präsident hätte dann zwei Optionen. Entweder er ignoriert dieses Misstrauensvotum und zieht die Reformen durch. Dann wird die Straßenrevolte für den Rest seiner Amtszeit zum Dauerzustand. Oder aber er schwächt seine Pläne so ab, dass sie nicht mehr wirken. Dann ist es vorbei mit der Erneuerung. Beides ist schlecht für Frankreich.

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