Frankreich:Brandgefahr

Frankreich: "Benzin und Diesel sind nicht vorrätig", heißt es an dieser Tankstelle in Paris.

"Benzin und Diesel sind nicht vorrätig", heißt es an dieser Tankstelle in Paris.

(Foto: Christophe Ena/dpa)

In sechs der sieben französischen Raffinerien wird gestreikt, der Benzinmangel bremst das ganze Land aus. Kommen jetzt die Gelbwesten zurück? Ein Ortsbesuch bei den Streikenden in Feyzin.

Von Kathrin Müller-Lancé, Feyzin

Auf den ersten Blick sieht die Versammlung eher harmlos aus. Vielleicht 50 Menschen, vor allem Männer, statt gelber Warnwesten tragen sie rote Westen mit der Aufschrift CGT, die klassische Gewerkschaftsuniform. Der Rauch, der hinter ihnen aufsteigt, kommt nicht von brennenden Reifen, sondern vom Grill. Es gibt Merguez und Bier.

Was bei der entspannten Stimmung vor der Raffinerie in Feyzin bei Lyon fast in Vergessenheit gerät: Die Streiks, die die Mitarbeiter gerade in sechs der sieben französischen Raffinerien abhalten, bremsen das ganze Land aus. Die Streikenden in Feyzin zum Beispiel blockieren das Lieferzentrum der Raffinerie. Das heißt: Hier kann kein Laster mehr rausfahren, um Tankstellen mit Benzin zu beliefern.

Es ist Mittwoch, kurz nach 13 Uhr. Gerade haben sich die Streikenden in Feyzin entschieden, ihre Arbeit bis zum nächsten Tag niederzulegen. Zwei Mal am Tag wird abgestimmt, am frühen Morgen und am Mittag. Schon seit zwei Wochen streiken Mitarbeiter der Energiekonzerne Total Energies und Exxon Mobil in Frankreich. Etwa einem Drittel der französischen Tankstellen mangelt es deshalb an Treibstoff, in manchen Regionen fast jeder zweiten Tankstelle.

Das große Durcheinander

Vor den Zapfsäulen der Republik bilden sich lange Schlangen. Die Stimmung ist gereizt. "La grande galère", hört man dieser Tage immer wieder, was mit "großem Durcheinander" unzureichend übersetzt ist. Während die Bourgeoisie in Paris E-Bike und TGV fährt, sind viele Französinnen und Franzosen auf dem Land auf ihr Auto angewiesen. Pendler sind in Sorge, weil sie nicht mehr zur Arbeit kommen. Taxifahrerinnen fürchten um ihr Einkommen. Der Benzinmangel trifft Krankenwagen genauso wie Müllautos.

Dass Frankreich sensibel ist, wenn es ums Benzin geht, ist spätestens seit den Gelbwesten bekannt. Die Proteste, die einen Winter lang das Land durcheinanderbrachten, entzündeten sich im Herbst 2018 am steigenden Spritpreis. Macrons Regierung plante damals, die Mineralölsteuer zugunsten des Klimaschutzes anzuheben. Kommen die Gelbwesten jetzt zurück?

"Auf jeden Fall merkt man, dass die Regierung Angst vor einer neuen sozialen Bewegung hat", sagt Sébastien Saliba, Generalsekretär der Gewerkschaft CGT in der Raffinerie in Feyzin. Wie die meisten hier trägt er eine rote CGT-Weste, in der Hand hält er sein Handy inklusive Powerbank. Als Gewerkschaftsmann ist er gefragt im Moment. "Auch ich musste neulich anderthalb Stunden beim Tanken warten", sagt Saliba. "Aber wir hören erst auf, wenn die Geschäftsführung auf unsere Forderungen eingeht."

Die Raffinerie in Feyzin gehört zum französischen Energiekonzern Total Energies, der von den Preissteigerungen infolge des Ukraine-Kriegs ordentlich profitiert. Im ersten Halbjahr 2022 machte das Unternehmen 10,6 Milliarden Gewinn. Um von den Rekordprofiten auch etwas abzubekommen und um die Inflation auszugleichen, wollen die streikenden Mitarbeiter unter anderem zehn Prozent mehr Lohn. "Der Streik ist die einzige Sprache, die unsere Regierung versteht", sagt Gewerkschafter Saliba.

Minister in Daunenjacke

Seit Wochen fordert die Regierung in Frankreich zum Energiesparen auf, die Ministerinnen und Minister zeigen sich in Rollkragenpullovern und Daunenjacke. Dass nun ausgerechnet ein Benzinmangel zu größeren Unruhen führt, schien niemand in der Regierung erwartet zu haben. Zunächst versuchte man es deshalb mit Kleinreden.

Noch in der vergangenen Woche sagte Regierungssprecher Olivier Véran, es gebe "keinen Mangel" an den Tankstellen. Präsident Macron mahnte zur Ruhe. Premierministerin Élisabeth Borne versprach, die Lage werde sich im Lauf der Woche verbessern. Danach sieht es im Moment eher nicht aus. Obwohl die Regierung bereits am vergangenen Wochenende ausnahmsweise Tanklaster fahren ließ und die strategischen Reserven anzapfte, ist der Sprit an den Zapfsäulen noch immer knapp.

Die Annäherung zwischen Gewerkschaften und Unternehmen verläuft schleppend. Anfang der Woche erzielten einzelne Gewerkschaften mit dem Exxon-Konzern eine erste Einigung, die CGT lehnte diese allerdings ab, der Streik ging weiter.

Krisensitzung der Regierung

Die Geschäftsführung von Total zog die Wut der Gewerkschaften auf sich, als sie zu ihrer Verteidigung mitteilte, dass das Durchschnittgehalt eines Raffinerie-Mitarbeiters immerhin bei 5000 Euro liege. Die Gewerkschaften bestritten diese Zahl und veröffentlichten in diversen Lokalzeitungen Gehaltszettel, auf denen andere Summen stehen. "Wenn ich 5000 Euro verdienen würde, wäre ich nicht hier", sagt einer der streikenden Mitarbeiter in Feyzin.

Am Mittwoch trafen sich die Chefs von Total erstmals mit Gewerkschaftsvertretern, zu Verhandlungen kam es allerdings nicht. Die CGT erklärte im Anschluss: Weil die Geschäftsführung nicht auf ihre Forderungen eingegangen sei, rufe sie nicht zum Ende des Streiks auf.

Der Druck ist so hoch, dass inzwischen auch die Regierung handelt. Anfang der Woche berief Premierministerin Borne eine Krisensitzung ein. Einen Tag später kündigte sie in der Nationalversammlung einen nächsten Schritt an: Um die Streiks zu brechen, habe sie lokale Behörden aufgefordert, notwendiges Personal zum Dienst zu verpflichten. Das bedeutet in der Praxis, dass die Polizei die Beschäftigten bei sich zu Hause aufsuchen und zum Arbeiten auffordern kann. In der Exxon-Raffinerie in der Normandie wurden bereits erste Mitarbeiter zum Dienst verpflichtet.

"Wir mussten das machen", sagt Präsident Emmanuel am Mittwochabend in einem seiner seltenen Fernsehinterviews. In dem Gespräch soll es eigentlich um außenpolitische Themen gehen, ein paar Minuten Zeit ist dann aber doch für den heimischen Benzinmangel. "Man kann nicht das Land blockiert lassen, nur weil ein paar Leute nicht weitergehen wollen", sagt Macron. Wenn man mit dem Dialog nicht vorankomme, werde man weiterhin Mitarbeiter zum Dienst verpflichten müssen.

Bei den Gewerkschaften sorgt der Pflichtdienst freilich für noch mehr Ärger. Die CGT hält die Maßnahme für illegal und sieht dadurch das Recht zum Streik eingeschränkt. "Wir lassen uns davon nicht abschrecken", sagt Sébastien Saliba von der CGT in Feyzin. "Unsere Juristen stehen in den Startlöchern, um zu prüfen, ob das überhaupt rechtmäßig ist." Dass die Regierung es auf diese Weise tatsächlich schaffe, den Streik zu beenden, hält Saliba für unwahrscheinlich. "Dafür wird es ganz schön viele Polizisten brauchen."

Fragt man die Streikenden in Feyzin, ob die Gelbwesten mit den aktuellen Protesten zurückkommen, sind die Meinungen unterschiedlich. "Das denken Sie sich in den Medien wieder aus", ist eine Antwort. "Keine Ahnung, muss man abwarten", eine andere.

Zumindest ein Zeichen dafür, dass der Unmut wächst: In der Traube vor dem Lieferzentrum in Feyzin haben sich nicht nur Mitarbeiter aus der Raffinerie versammelt. "Ich bin gekommen, um mich zu solidarisieren", sagt die Krankenschwester Armelle Ubelmann. "Es wäre schon angemessen, wenn die, die im Moment so viel verdienen, ihr Geld ein bisschen teilen würden." Auf die Frage, ob sie das Gefühl habe, dass hier gerade eine neue Bewegung entsteht, sagt sie: "Der Aufstand ist da, oder sagen wir: Er ist zumindest nicht weit."

In seinem Fernsehinterview am Mittwochabend sagt Präsident Macron, er gehe davon aus, dass sich die Lage im Lauf der kommenden Woche wieder normalisiere.

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