Frankreich:Eiertanz in der Assemblée nationale

Lesezeit: 2 Min.

Frankreichs neuer Premierminister Michel Barnier bei der Regierungserklärung am Dienstag. (Foto: Sarah Meyssonnier/Reuters)

Premier Michel Barnier kündigt in seiner Regierungserklärung höhere Steuern für Reiche und große Firmen an – und Grenzschutz gegen die Immigration. Alles fein ausbalanciert, er könnte sonst gestürzt werden.

Von Oliver Meiler, Paris

Eine Regierungserklärung wie ein Balanceakt: Michel Barnier, Frankreichs neuer Premierminister, hat mehr als drei Wochen nach seiner Nominierung die politischen Linien seiner Regierung vorgestellt. Und da diese Regierung aus Zentristen und Konservativen keine Mehrheit im Parlament hat und auf Hilfe weiterer Parteien angewiesen ist, musste er in der Nationalversammlung jedes Wort sehr genau abwägen, um die Partner nicht zu enttäuschen und gleichzeitig die Helfer nicht zu vergraulen. Er sei sich der „Schwere des Moments“ sehr bewusst, sagte er. Im zweiten Satz erinnerte Barnier schon an General Charles de Gaulle, sein Idol.

Barnier, der frühere Kommissar der Europäischen Union, Mitglied der Républicains, legte in seiner Rede viel Gewicht auf zwei Themen: auf den Umgang mit der Migration und auf seine Pläne für eine Verbesserung der verheerenden Staatsfinanzen. Die Passagen zur Immigrationspolitik galten in erster Linie den Abgeordneten auf den Rängen des extrem rechten Rassemblement National, auf deren Unterstützung Barnier angewiesen ist. Die Vorgaben zum Budget sollten Brüssel und die Finanzmärkte beruhigen.

Die EU hat ein Sanktionsverfahren gegen Frankreich eingeleitet

Es sei Zeit, die Frage der Immigration ohne Ideologie anzugehen – „mit Würde und Gravitas“. „Wir haben die Migration nicht mehr im Griff“, sagte er. Man wolle die Außengrenzen Europas und die eigenen Landesgrenzen jetzt besser schützen, wie das Deutschland ja nun auch tue. Und mit den Herkunftsländern von Migranten, die kein Bleiberecht hätten, werde seine Regierung neue Rücknahmeabkommen aushandeln.

Frankreichs Haushalt ist schon lange aus der Balance geraten, jüngst aber wuchsen Defizit und Schulden sprungartig an. Allein im laufenden zweiten Halbjahr steigt der Fehlbetrag jede Woche um 820 Millionen Euro; Ende des Jahres wird das Defizit wohl rund 6,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Die Schulden machen schon 112 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Die EU hat deshalb ein Sanktionsverfahren gegen Frankreich eingeleitet. Paris sollte also dringend reagieren. Barnier selbst nennt die Schulden „kolossal“, „ein wahres Damoklesschwert“.

Geplant sind nun Einsparungen in der Verwaltung und Steuererhöhungen hauptsächlich für Reiche und große Firmen, „die hohe Profite“ machten: Letztere sollen offenbar etwa 15 bis 18 Milliarden Euro einbringen. 2025 soll das Defizit auf fünf Prozent gedrückt werden; erst für 2029 ist die Einhaltung der europäischen Drei-Prozent-Regel geplant. Ausgenommen von der schärferen Gangart sind die Einkommensteuern für die Mittelklasse, sie gehören bereits zu den höchsten in Europa. Barnier sprach von „Steuergerechtigkeit“ – er hatte keine Wahl: Schon vor seiner Rede hatten Regierungspartner aus der Partei Macrons angekündigt, dass sie nicht bereit wären, einen Kurs mitzutragen, bei dem die Steuersätze für das breite Volk angehoben würden.

Obschon er ständig unterbrochen wurde durch Zwischenrufe der linken Opposition, blieb Barnier gelassen, redete einfach weiter. Das Parlament sei so gespalten wie noch nie in der Geschichte der 5. Republik, sagte er, also seit 1958. Er wünsche sich deshalb Respekt und Dialog zwischen den Lagern, damit auch Reformen gelängen – etwa eine Korrektur der Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron und die allfällige Einführung des Verhältniswahlrechts für Parlamentswahlen. „Kompromiss ist kein Schimpfwort“, sagte er.

Im Anschluss an seine Erklärung verzichtete Barnier darauf, die Vertrauensfrage zu stellen: Dafür war die Lage zu prekär, die Gefahr eines Sturzes potentiell zu groß. Die Verfassung schreibt auch nicht vor, dass sich der Premier gleich dem Plenum stellen muss. Allerdings wird die Linke, die trotz ihres knappen Wahlsiegs im Juli von Macron bei der Regierungsbildung übergangen worden war, wahrscheinlich bereits in den kommenden Tagen einen Misstrauensantrag stellen. Spätestens dann wird klar, ob die Regierung die kommenden Tage heil übersteht. Doch bereits die nun fällige Budgetdebatte wird wieder zum Eiertanz.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Neues Kabinett
:Er hat drei Prioritäten: in Frankreich die Ordnung wiederherstellen

Innenminister Bruno Retailleau gibt den harten Kerl – er redet immer auffällig, oft ausfällig und klingt dabei wie Marine Le Pen. Ein Zufall? Ganz und gar nicht.

Von Oliver Meiler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: