Ausgerechnet der Mann, der Frankreichs Sozialisten all ihr Elend eingebrockt hat, will sich in zehn Tagen aus dem Staub machen. Dann, wenn es ernst wird. "Typisch Hollande", stöhnt ein hoher Funktionär des Parti socialiste, "unser François hasst es nun mal, sich entscheiden zu müssen." Frankreichs sozialdemokratischer Präsident Hollande wird am 22. Januar auf Staatsbesuch in Kolumbien weilen, während die Genossen versuchen, per Urwahl ihres Präsidentschaftskandidaten einen neuen Helden zu finden. Hollandes Abwesenheit rundet das Bild ab, das viele Franzosen von ihrem republikanischen Monarchen haben: ein Zauderer, der auf eine Wiederwahl verzichtete - und der sich nun scheut, einen Thronerben zu benennen.
Hollandes politisches Vermächtnis will sich kaum einer der Kandidaten zu eigen machen
Sechs Männer und eine Frau balgen sich um Hollandes Erbe. Oder genauer: darum, sein Amt zu erben. Hollandes politische Hinterlassenschaft nämlich, allen voran seine marktorientierten Wirtschafts- und Sozialreformen, möchten sich nur wenige zu eigen machen. Im Gegenteil, manch roter Aspirant zieht ins Rennen, um Hollandes Politik zu revidieren: Arnaud Montebourg und Benoît Hamon etwa, die beiden 2014 geschassten Ex-Minister, propagieren einen anderen, linkeren Kurs. Sogar der Vorwahl-Favorit Manuel Valls, bis Dezember als Premier Hollandes leitender Angestellter, distanziert sich von Facetten seiner eigenen Vergangenheit. Er weiß um den Verdruss im linken Wahlvolk etwa über die Lockerung der 35-Stunden-Woche und des Kündigungsschutzes, viele Genossen zogen im Frühjahr gegen "Valls, den Verräter" durch die Straßen. "Ich habe mich geändert, ich bin gewachsen", beteuert der Anführer des rechten Parteiflügels.
Das Bekenntnis dürfte Valls nun am Donnerstagabend wiederholen. Dann wird der 54-jährige Machtmensch neben seinen sechs Konkurrenten stehen - und sich der ersten TV-Debatte stellen: Drei Kandidaten-Shows innerhalb von nur zehn Tagen muten Frankreichs Fernsehsender ihrem Publikum zu. Außer Valls, Montebourg und vielleicht Hamon kennen die Franzosen diese Bewerber kaum. Vincent Peillon etwa, der von Valls-Feinden und Hollande-Loyalisten im Dezember ins Rennen geschubste Außenseiter, blieb bisher ein grauer, blasser Unbekannter. "Die TV-Debatten sind unsere letzte Chance", räumt ein Vertrauter des Außenseiters ein. Drei weitere Kandidaten - zwei Grüne und eine Vertreterin der eigentlich gemäßigten Kleinpartei der "Radikalen" - gehorchen dem olympischen Motto: Dabei sein ist alles. Nach dem Vorlauf des ersten Wahlgangs sind sie draußen.
Nur, die "Primaire de la Gauche" soll viel mehr leisten, als nur einen Spitzenkandidaten zu küren. Die Wahl am 22. Januar und die Stichwahl exakt sieben Tage später entscheiden über den künftigen Kurs der Partei - und wahrscheinlich sogar über ihr Überleben. Es lauert harte Konkurrenz von außen: Der sozialliberale Neu-Star Emmanuel Macron sowie der Altlinke Jean-Luc Mélenchon verweigerten sich der Vorwahl - beide haben laut aktuellen Umfragen bei der Präsidentschaftswahl bessere Chancen als sämtliche Sozialisten.
Die verschiedenen Lager sind so verfeindet, dass sie sich ihre Zusagen nicht abkaufen
Intern haben alle Teilnehmer der PS-Urwahl zugesagt, im Falle ihrer Niederlage den Sieger bei der Präsidentschaftswahl im April zu unterstützen. Nur, die verschiedenen Lager - die machtbewussten Sozialliberalen um Valls, die antieuropäischen Keynesianer um Montebourg sowie die Linkssozialisten um Hamon - sind so verfeindet, dass kaum jemand dem Versprechen traut. "Keiner glaubt doch, dass Montebourg im Ernst für Valls Wahlkampf macht", räumt ein PS-Funktionär ein, der die Urwahl in der Parteizentrale organisieren hilft, "und umgekehrt auch nicht." Dass die Partei zerfällt, so flüstert der Mann, "das kann niemand ausschließen".
Man kennt sich gut. Zu gut: Seit zwei Jahrzehnten tummeln sich Valls und Hamon, Montebourg und Peillon in den Gremien und Clubs des PS, schmieden Intrigen, mal miteinander, mal gegeneinander. Im März 2014 waren es Hamon und Montebourg, die Präsident Hollande bedrängten, den blassen Premierminister Jean-Marc Ayrault zu entlassen und Valls zum Regierungschef zu befördern. Vier Monate später folgte der Bruch: Montebourg und Hamon, Wirtschafts- und Bildungsminister, forderten weinselig bei einem linken Sommerfest "eine linke Umkehr" von Hollandes Wirtschaftskurs - und wurden tags drauf auf Verlangen von Valls gefeuert.
Das wirkt nach. Valls, laut Umfragen der wahrscheinliche Sieger im ersten Wahlgang, muss fürchten, dass sich die gesamte PS-Linke vor der Stichwahl gegen ihn verbündet. Noch kämpfen Montebourg und Hamon um die ideologische Vorherrschaft. Der frühere Wirtschaftsminister predigt einen "ökonomischen Patriotismus" gegen Freihandel und gegen Brüssel und wirbt als Verfechter von "Made in France" vor allem bei Arbeitern und einfachen Angestellten um Sympathien. Hamon, der mehr auf städtische und gebildete PS-Anhänger zielt, ist es zuletzt gelungen, mit einem betont ökologischen Programm und der Idee eines allgemeinen Mindesteinkommens (750 Euro für jeden Franzosen über 18) die Parteidebatte zu prägen. Im Rennen um den zweiten Platz im ersten Wahlgang liegen beide fast gleichauf. Wer immer am 22. Januar als Dritter ausscheidet - er dürfte den anderen im Duell gegen Valls unterstützen. Es wird wohl knapp für den Ex-Premier.