Frankreich:Auf Linie gezwungen

Die Nationalversammlung in Paris billigt mit überraschend deutlicher Mehrheit die Verfassungsänderung, mit der Terroristen die Staatsbürgerschaft aberkannt werden soll. Das wird vor allem die Nachkommen von Einwanderern betreffen.

Von Christian Wernicke, Paris

Mit überraschend klarer Mehrheit hat die französische Nationalversammlung am Mittwoch eine umstrittene Verfassungsreform befürwortet: 317 Abgeordnete votierten dafür, künftig wegen Terrortaten verurteilte Franzosen mit der Aberkennung ihrer Staatsbürgerschaft zu ächten. 199 Abgeordnete stimmten dagegen. Das Ergebnis bedeutet für Präsident François Hollande und seine sozialistische Regierung aber nur einen vorläufigen Erfolg. Nun berät der Senat, in dem die oppositionellen Republikaner die Mehrheit haben. Die Entscheidung fällt erst im März: Im Kongress - der Versammlung aller 577 Parlaments-Abgeordneten und 348 Senatoren - ist dann eine drei-Fünftel-Mehrheit erforderlich, um die Verfassungsreform zu billigen. Dies gilt als ungewiss.

Hollande hatte die Verfassungsänderung kurz nach den Anschlägen von Paris im November mit 130 Todesopfern vorgeschlagen. Der Sozialist griff eine Idee auf, die bis dahin nur rechte Politiker wie Marine Le Pen vom Front National (FN) oder der konservative Ex-Präsident Nicolas Sarkozy propagiert hatten. Hollande schlug vor, auch gebürtigen Franzosen die Staatsbürgerschaft abzuerkennen, wenn sie einen zweiten Pass besitzen. Dies sei nötig, weil internationale Konventionen die Schaffung von Staatenlosen verbieten.

Vor allem bei der Linken stieß Hollandes Vorstoß auf Widerstand. Grüne wie Linkssozialisten empörten sich über einen Verstoß gegen das Gleichheitsprinzip: Tatsächlich trifft eine Ausbürgerung vor allem Nachfahren von Einwanderern aus Nordafrika. Während der in Teilen polemischen Debatte warf die grüne Politikerin Cécile Duflot der Regierung vor, die Verfassungsänderung und ein Ausführungsgesetz stünden in der Tradition des Vichy-Regimes während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Die mit den Nazis kollaborierende Regierung hatte unter anderem den späteren Präsidenten, General Charles de Gaulle, ausgebürgert.

Premier Manuel Valls hatte die Abgeordneten der Sozialisten mit dramatischen Warnungen vor der wachsenden Terrorgefahr zur Einheit gemahnt. Für Aufsehen sorgte, dass in Wirtschaftsminister Emmanuel Macron auch ein Regierungsmitglied Vorbehalte artikulierte: "Man heilt kein Übel, indem man es aus der nationalen Gemeinschaft ausschließt", hatte Macron zuvor gesagt, der daraufhin von Valls zu mehr Kabinettsdisziplin ermahnt wurde.

Auch die republikanische Opposition zeigte sich gespalten. Parteichef Sarkozy empfahl die Zustimmung; sein früherer Premier François Fillon nannte die Reform "unnötig". Einige Republikaner ließen durchblicken, sie hätten nur für die Reform gestimmt, weil sie Hollandes Vorhaben im Kongress spektakulär scheitern lassen wollten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: