Frankfurt wählt neuen Oberbürgermeister:"Wir sind besser als unser Ruf"

Zwischen Finanzkrise und Fluglärm: In Frankfurt wird am Sonntag ein Nachfolger für die seit 17 Jahren regierende Oberbürgermeisterin Petra Roth gesucht. Eine Aufgabe für das neue Stadtoberhaupt steht schon fest: Das Imageproblem der Metropole.

Marc Widmann, Frankfurt am Main

Nach Frankfurt zieht es einen nicht, "hierher verschlägt's einen", sagt Oliver Reese. Er ist in dieser Hinsicht ein typischer Frankfurter, geboren nahe Paderborn, vor drei Jahren zugezogen aus Berlin, angelockt von einem harten Job: das etwas träge gewordene Schauspielhaus neu zu beleben. "Ich bin nicht wegen der Stadt gekommen", sagt er, das geht hier vielen so.

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Scheidet nach 17 Jahren aus dem Amt: Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth.

(Foto: dpa)

Der Kulturdezernent traf sich mit ihm zu den Abwerbegesprächen immer in den erlesensten Cafés, er wollte zeigen, dass es auch noch ein anderes Frankfurt gibt. Und von den Eingeborenen hörte der neue Intendant gleich diesen Spruch, eine Art Refrain der Stadt: "Sie werden schon sehen, wir sind besser als unser Ruf."

Frankfurts Ruf war schon immer belastet, derzeit leidet er mal wieder. Die Bankentürme sind pausenlos in den Zeitungen, meist mit schwarzen Wolken am Firmament, es ist ja Finanzkrise. Die Proteste der Anwohner gegen den lärmenden Flughafen - auch kein schöne Werbung. Dazu das Gerede von der Hauptstadt des Verbrechens (das schnell verstummen würde, wenn sie den Flughafen nicht immer in die Kriminalstatistik einrechnen müssten). Was einem zuerst zu Frankfurt einfällt, ist wenig charmant. Nicht einmal auf kulinarischem Gebiet kann der abführend wirkende Apfelwein den Ruf entscheidend heben.

Man merkt Oliver Reese an, dass er etwas Zeit brauchte, um hinter der "Kälte und Zugigkeit" vieler Straßen und Plätze die lieblichen Seiten Frankfurts zu entdecken, die es natürlich gibt, reichlich sogar. Die Stadt machte es ihm auch nicht leicht: Wenn er nachts ins Bett fällt, beleuchtet ihn vom nahen Hochhaus das Logo einer Unternehmensberatung. Wenn er morgens aufsteht und vom Westend zum Schauspielhaus radelt, begegnet er der "Armada der Anzugträger", wie er es nennt: dunkles Tuch, schwarze Aktenköfferchen, neutraler Gesichtsausdruck. So bevölkern sie tagsüber die Stadt des Geldes.

"Viele sind am Limit", sagt der Intendant, "hier wird furchtbar viel gearbeitet". Sein Theater liegt mittendrin, gleich neben der Europäischen Zentralbank, es soll "ein Wärmezentrum" sein, wo die Rastlosen für die Dauer eines Stückes innehalten können. Deshalb setzt er ihnen bald den "Faust" vor: Als Geschichte eines Mannes, der immer weiter will, immer weiterhetzt, neues Land gewinnen, Wachstum, und daran zugrunde geht. Es ist Reeses Art, Frankfurt ein wenig zu warnen. Er hat auch den Occupy-Aktivisten da drunten auf der Wiese seine Kantine geöffnet, damit sie nicht ständig frieren müssen.

Am Sonntag wählt diese rastlose Stadt ihren neuen Oberbürgermeister. Genauer gesagt wird sie wohl zwei Kandidaten auswählen für die Stichwahl in zwei Wochen. Glaubt man den Umfragen, liegt Boris Rhein von der CDU vorne, hessischer Innenminister und einer, der auch gerne mal der Bild-Zeitung ein großes "Liebes-Interview" gibt, zusammen mit seiner Frau, die bekundet: "Es war keine Liebe auf den ersten Blick."

Dahinter folgt Peter Feldmann, einer vom linken Flügel der SPD, der sich zwar in seiner zerstrittenen Partei durchgebissen hat, beim Wähler aber wenig Leidenschaft entfacht. Es könnte die Stunde der Grünen sein in dieser einst so linken Stadt, aber die liegen recht abgeschlagen auf Platz drei. Die Frankfurter Grünen, früher Keimzelle der Bewegung, haben sich zähmen lassen, und das hat viel mit Petra Roth zu tun.

Was haben sie diese Frau belächelt, als sie vor 17 Jahren in einen vermeintlich aussichtslosen Wahlkampf zog. Petra Roth war gelernte Arzthelferin und Landtagsabgeordnete der CDU, sie durfte nur antreten, weil die verdienten Herrschaften abwinkten. Als Verlegenheitskandidatin wurde sie bezeichnet, dann gewann sie 1995 die OB-Wahl gegen den Platzhirschen von der SPD und regiert die Stadt bis heute. Wenn sie abtritt, die gebürtige Bremerin, verliert Frankfurt eine seiner Sehenswürdigkeiten.

Stillhalteabkommen zwischen Schwarz und Grün

Dabei repräsentierte sie die Stadt eher, als dass sie regierte. In Hessen haben die Oberbürgermeister weniger Macht als anderswo, hier lebt noch die alte preußische Magistratsverfassung fort: Was die mächtigen Verwaltungschefs im Magistrat beschließen, muss auch die Oberbürgermeisterin ausführen. Sie ist nur Erste unter Gleichen, also braucht man hier eine Moderatorin, wie es Petra Roth lange war, ehe sie sich zu einer Art Stadtpräsidentin entwickelte, die über den Dingen schwebt.

Ihre beachtlichste Leistung war es, dass sie die Frankfurter Politik von ihren Grabenkämpfen befreite. Wo früher Straßenschlachten tobten, wo einst Joschka Fischer mit Steinen warf, regiert heute ein schwarz-grünes Bündnis und lässt in trauter Harmonie Schutzstreifen für Radfahrer auf den reichlich vorhandenen Asphalt pinseln. Sogar Petra Roths Büroleiter ist ein Grüner. Sie ist derart ergrünt, dass die FDP sie vor kurzem unter keinen Umständen als Bundespräsidentin wollte.

So sicherte sie der CDU die Macht, so bringt sie die Grünen in Bedrängnis. Die enthielten sich immer, wenn es um die neue Landebahn am Flughafen ging, ganz wie es ein Stillhalteabkommen zwischen Schwarz und Grün verlangt. Und jetzt, da die Wut vieler Bürger im Süden gewaltig anschwillt über den Lärm, können die Grünen sie nicht nutzen. Wenn ihre Spitzenkandidatin Rosemarie Heilig mal eben den Abriss der neuen Piste fordert, wird sie sogleich als scheinheilig tituliert. Anders als in Stuttgart wird die Wut der Menschen die Grünen in Frankfurt nicht an die Macht tragen.

Über Heribert Bruchhagen dröhnen die Flieger im Minutentakt, so tief, dass man ihre Räder zählen kann. Er steht vor der Frankfurter Fußballarena, die natürlich den Namen einer großen Bank trägt, und der Lärm juckt ihn nicht, er fliegt ja selbst fast jede Woche.

Bruchhagen leitet eines der Heiligtümer der Stadt, die Eintracht Frankfurt Fußball AG. Auch er ist ein typischer Frankfurter: "Ich wäre nie aus Hamburg weggegangen, wenn ich nicht gefeuert worden wäre", sagt er fröhlich. Schlimmer noch: "Wenn ich früher auf der A 5 an Frankfurt vorbeigefahren bin, habe ich immer instinktiv gedacht - in der Stadt möchte ich nicht leben."

Er muss ein wenig lachen, während seine Mannschaft gerade den Hessenligisten Rot-Weiß Frankfurt mit 6:0 abserviert, auch zu diesem Freundschaftsspiel mitten am Tag sind 400 Menschen gekommen. Diese Frankfurter sehen das alles etwas anders, für sie ist ihre Stadt weder hässlich noch ein Dorf, für sie ist Frankfurt eine Weltmetropole. Das hat Heribert Bruchhagen schnell gelernt, als er Chef der Eintracht wurde.

"Die Verantwortlichen hier sind immer von der Erwartungshaltung ihres Umfeldes erdrückt worden." Frankfurt hat knapp 700.000 Einwohner, aber "sie sieht sich nun mal als Champions-League-Stadt". War hat noch mal die höchsten Hochhäuser der Republik? Eben.

Seit elf Jahren lebt Bruchhagen jetzt in Sachsenhausen direkt am Main, wo er abends noch am Ufer joggt mit Blick auf die Skyline, wo er nachts um drei noch auf joggende Banker trifft und die unheimlich "friedfertige Atmosphäre" genießt. Er wundert sich bis heute, wie schnell diese Stadt ihn aufgenommen hat in ihre Mitte. Viel offener als die Hamburger, sagt er. "Ich fühle mich total wohl."

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