Süddeutsche Zeitung

Ungültige Strafzettel:Das Ende der Scheinpolizei

  • Strafzettel, die von privaten Dienstleistern seit 2018 in Frankfurt verteilt wurden, sind nach einem Urteil des Oberlandesgerichts ungültig.
  • Die Stadt zeigt sich überrascht, angeblich soll das hessische Innenministerium noch kürzlich versichert haben, die Praxis sei rechtssicher.
  • Dass das Geld für die über 700 000 Parkverstöße zurückgezahlt werden muss, ist unwahrscheinlich, obwohl die Betroffenen das Recht haben, ihr Geld zurückzufordern.

Von Thomas Hummel

Im Frankfurter Verkehrsdezernat tauchte am Dienstag ein Dokument aus dem März 1996 auf. Darin geht es um den Einsatz von Leiharbeitnehmern als Hilfspolizeibeamte zur Überwachung des Parkraums, das Vorwort schrieb der damalige CDU-Stadtrat Udo Corts. Er brüstet sich damit, dass Frankfurt am Main als eine der ersten Gemeinden in der Republik private Dienstleister zum Knöllchenverteilen einsetze. "In Zeiten knapper Haushaltsmittel" müsse man eben neue Wege finden. Fast 24 Jahre später hat nun das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt dieser Praxis ein Ende gemacht. Die Richter verkündeten am Montag: Diese Art des Geldeintreibens sei rechtswidrig.

Ein Autofahrer hatte geklagt, weil er 15 Euro fürs Falschparken bezahlen sollte. Als Zeuge trat ein sogenannter Stadtpolizist der Privatfirma Securitas auf. Diese Übertragung "hoheitlicher Aufgaben" sei unzulässig. Dass die Privatpolizisten zudem in Uniform auftraten, rügte das OLG scharf. Der "täuschende Schein der Rechtsstaatlichkeit, um den Bürgern und den Gerichten gegenüber den Eindruck polizeilicher Handlungen zu vermitteln, ist strafbar", heißt es im Urteil.

Die Stadt Frankfurt reagierte überrascht. "Das Innenministerium teilte uns noch kürzlich mit, dass die Praxis rechtssicher ist", sagte Hans Preißl, Referent im SPD-Verkehrsdezernat der Kommune. Das Landespolizeigesetz erlaube sie auch, doch der Passus führte zur nächsten Rüge des Gerichts. Es verstehe sich von selbst, heißt es vom OLG, dass damit nicht Bundesgesetze oder verfassungsrechtliche Zuweisungen umgangen werden könnten. Nun hat die Stadt ihre knapp 20 Leiharbeiter zurückgerufen. Allein die Firma Securitas soll in Hessen mit 35 Kommunen kooperieren, auch andere Sicherheitsfirmen betreiben das Geschäft. Zuletzt hatte das OLG schon die Durchführung von Geschwindigkeitskontrollen durch solche Dienstleister verboten. Weshalb nun die hessischen Behörden vor der Aufgabe stehen, mehr Personal einzustellen, um die Verkehrsüberwachung zu gewährleisten.

Die Entscheidung betrifft konkret das Land Hessen, sei aber "im Prinzip deutschlandweit übertragbar", erklärte das OLG Frankfurt. Einige Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen oder Thüringen hatten sich indes bereits 1996 gegen eine Übertragung der Verkehrsüberwachung auf Private ausgesprochen. Das bayerische Innenministerium untersagte es 2006 seinen Kommunen, das dortige Oberste Landesgericht hatte die Anstellung von Leiharbeitern nur dann für rechtmäßig erklärt, wenn diese "physisch-räumlich und organisatorisch in die Gemeindeverwaltung integriert" seien. Der Deutsche Städtetag teilte mit, dass nach seinem Kenntnisstand nur in Hessen private Stadtpolizisten unterwegs seien.

Die Hoffnung, das Geld für die Knöllchen zurückzuerhalten, dürfte sehr gering sein

Gerhard Hillebrand, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltsverein, warnt die Kommunen davor, zu viele Aufgaben an Dienstleister auslagern. Diese dürften in allen Arbeitsschritten nur eine untergeordnete Rolle spielen, der Staat müsse immer "Herr des Verfahrens" sein. Der Umstand etwa, dass diese Unternehmen an einer Gewinnerzielung interessiert sind, sei kaum mit hoheitlichen Aufgaben der Polizei zu vereinbaren.

Die Hoffnung für ertappte Falschparker in Hessen, ihr Geld jetzt zurückzuerhalten, ist allerdings äußerst gering. Leiharbeiter und rechtskonforme Polizisten ahndeten im Jahr 2018 in Frankfurt etwa 700 000 Parkverstöße, das brachte der Stadt mehr als zehn Millionen Euro ein. Dabei kostet ein Knöllchen in den allermeisten Fällen zwischen zehn und 30 Euro, die Wiederaufnahme eines solchen Verfahrens ist aber erst ab einer Strafe von mehr als 250 Euro gestattet.

Bei drastischen Fällen rät Hillebrand zu einem Gnadengesuch bei der Landesjustizverwaltung. Nur bei aktuell laufenden Verfahren sollten die Autofahrer erst einmal nicht bezahlen.

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SZ vom 22.01.2020/bix
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