Verbrechen gegen die MenschlichkeitLebenslange Haft für syrischen Arzt wegen Folter

Lesezeit: 4 Min.

Der Angeklagte im Sicherheitssaal des Oberlandesgerichts in Frankfurt am Main.
Der Angeklagte im Sicherheitssaal des Oberlandesgerichts in Frankfurt am Main. (Foto: Boris Roessler/DPA)

In Deutschland galt Alaa M. als Musterbeispiel für Integration, in Syrien soll er Gefangene gefoltert und getötet haben. Jetzt hat ihn das Oberlandesgericht Frankfurt am Main verurteilt.

Von Kathrin Müller-Lancé, Frankfurt am Main

Genau einmal kamen Alaa M. während der Schlussvorträge in diesem Prozess die Tränen. Es war nicht, als die Staatsanwältinnen zusammenfassten, was ihm vorgeworfen wird. Nicht, als sie sagten, dass er im Militärkrankenhaus in Homs einen jungen Mann mit den Händen an der Decke aufgehängt haben soll, bis diesem fast das Rückgrat brach. Dass er einem 14-Jährigen Alkohol über den Penis gegossen und ihn anschließend angezündet haben soll. Dass er einem Häftling eine Spritze mit einer tödlich wirkenden Substanz verabreicht haben soll – woraufhin der Mann innerhalb weniger Minuten starb.

Alaa M. tupfte sich erst mit dem Taschentuch über die Augen, als einer seiner drei Verteidiger erklärte, dass der Angeklagte selbst Opfer seiner Zeit gewesen sei. Dass er zwar mit dem Assad-System fraternisiert habe, aber Zweifel angebracht seien, ob er die Taten, die ihm in der Anklageschrift vorgeworfen werden, tatsächlich begangen habe. Dass man sich auf ihn als Vertreter eines Unrechtsregimes einschieße, weil man sonst keinen habe.

Der Prozess war möglich durch das sogenannte Weltrechtsprinzip

Die Bundesanwaltschaft hatte Alaa M. ursprünglich vorgeworfen, 18 Menschen gefoltert und eines seiner Opfer vorsätzlich getötet zu haben. Verurteilt wurde er nun wegen insgesamt elf Fällen: Zwei Menschen hat er demnach getötet, neun schwer verletzt.

Bis zuletzt stritt M. die Taten ab. Er habe zu den entsprechenden Zeitpunkten 2011 und 2012 nicht im Militärkrankenhaus in Homs, sondern in Damaskus gearbeitet. Seine Verteidiger plädierten in mehreren Fällen auf Freispruch, zu anderen stellten sie keine Anträge. Die Bundesanwaltschaft hingegen forderte eine lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung und ein lebenslanges Berufsverbot. Das hielt nun auch das Oberlandesgericht Frankfurt für angemessen. Am Montag verurteilte es Alaa M. wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer lebenslangen Haftstrafe. Zudem stellte es eine besondere Schwere der Schuld fest. Eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren ist damit wohl ausgeschlossen.

Es ist das Ende eines Prozesses, der fast dreieinhalb Jahre und 188 Verhandlungstage gedauert hat. Und der auch deshalb besonders war, weil im Sitzungssaal II des Frankfurter Oberlandesgerichts Taten verhandelt wurden, die mehr als 3000 Kilometer entfernt stattgefunden hatten, in Syrien. Möglich ist das durch das sogenannte Weltrechtsprinzip. Demnach können Straftaten, die gegen Völkerrecht verstoßen, überall verhandelt werden. Und das ist bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie sie Alaa M. vorgeworfen wurden, der Fall.

2022 verurteilte das Oberlandesgericht Koblenz einen hochrangigen Schergen des Assad-Regimes – zum weltweit ersten Mal. In Pirmasens nahm die Bundesanwaltschaft vor Kurzem einen Syrer fest, der im berüchtigten Al-Chatib-Gefängnis an Folter beteiligt gewesen sein soll. Vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag landeten solche Fälle bisher nicht, weil die Vetomächte Russland und China das verhinderten.

Zwei syrische Geflüchtete hatten ihn wiedererkannt

Diesmal also Frankfurt. Wenn im Gerichtssaal Kameras anwesend waren, erschien der Angeklagte mit über den Kopf gezogener Kapuze, legte den Kopf auf die Bank vor sich. Erst wenn die Kameras wieder weg waren, richtete er sich auf, zeigte sein Gesicht. Seine Augenringe, die ergrauten Haare. Den Dolmetscher neben sich benötigte er kaum. Schon in Syrien hatte er angefangen, Deutsch zu lernen, mit dem Ziel, später in Deutschland zu arbeiten.

Alaa M., heute 40 Jahre alt, wurde in Homs geboren. Er studierte Medizin, von 2010 an soll er als Assistenzarzt im Militärkrankenhaus in Homs gearbeitet haben, später in Damaskus. 2015 kam er nach Deutschland, per Flugzeug, mit einem Visum. Der Ärztemangel machte es möglich. 2019 bekam er den Facharzttitel für Orthopädie und Unfallchirurgie. Er ließ sich mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Hessen nieder, arbeitete in einer Klinik als Orthopäde. Bis er 2020 festgenommen wurde. Zwei syrische Geflüchtete, die selbst Gefangene im Militärkrankenhaus in Homs waren, hatten ihn wiedererkannt.

Das Leben, das M. in Syrien geführt haben soll, unterscheidet sich in fast allem von dem Leben, das er später in Deutschland führte. Hier galt er als Musterbeispiel für Integration, seine Kollegen schätzten ihn. In Syrien hingegen soll er als Anhänger des Assad-Regimes Häftlinge erniedrigt und misshandelt haben. Er soll immer wieder Gefangene mit Benzin begossen und angezündet, mit einem Schlauch, einem Blasenkatheter, einem Schlagstock verprügelt haben. Einen Oberschenkelbruch operierte er angeblich ohne Narkose. In einem Facebook-Beitrag, der vor Gericht zitiert wurde, schrieb der Angeklagte zur Protestbewegung des Arabischen Frühlings: „Ein Esels- und Schweinevolk, solche Leute sollten im Ofen verbrannt werden.“ Zeugen sagten, dass er sie „Terroristen“ genannt habe und „Kakerlaken“, die man zerquetschen müsse.

Aus tiefer Überzeugung Teil eines menschenfeindlichen Systems?

Drei der mutmaßlichen Folteropfer traten vor Gericht als Nebenkläger auf. Darunter ein Mann, der zusammen mit seinem Bruder, einem Epileptiker, in Homs inhaftiert war. Die beiden waren 2011 bei einer Demonstration gegen das Regime festgenommen worden. Trotz mehrerer epileptischer Anfälle soll der Angeklagte den Bruder getreten und bewusstlos geschlagen haben. Dann verabreichte er ihm angeblich eine Tablette. Am nächsten Tag fand der Nebenkläger seinen Bruder tot in der Zelle. Der Angeklagte habe sich ganz bewusst und aus tiefer Überzeugung entschieden, Teil eines menschenfeindlichen Systems zu sein, sagte der Anwalt des Nebenklägers in seinem Schlussvortrag. Es habe laut seinem Mandanten auch Ärzte gegeben, die nicht gefoltert, sondern Mitgefühl gezeigt hätten.

Die Verteidiger von Alaa M. hingegen blieben bis zuletzt dabei, dass ihr Mandant nie im Militärkrankenhaus in Homs gearbeitet habe. An ihm solle ein Exempel statuiert werden für das gesamte Unrecht, das den Zeugen widerfahren sei. Die Zeugen hätten „eine Phalanx gebildet gegen den Vertreter dieses Regimes, dessen man habhaft geworden ist“. Viele Aussagen seien widersprüchlich gewesen, zum Teil hätten die Zeugen nicht einmal sagen können, ob der Angeklagte als Arzt oder Pfleger eingesetzt gewesen sei oder ob die Folter im Keller oder einem anderen Stockwerk des Krankenhauses stattfand.

Es sei auszuschließen, dass Zeugenaussagen vollständig erdacht worden sind, hieß es hingegeben im Schlussvortrag der Bundesanwaltschaft. Die Schilderungen seien konsistent gewesen, Erinnerungslücken bei einzelnen Details deuteten eher darauf hin, dass Aussagen glaubwürdig und nicht abgesprochen seien. Es gebe keine Anhaltspunkte für eine Verschwörung der Zeugen.

Alaa M. las sein letztes Wort vor der Urteilsverkündung in fast perfektem Deutsch vor, im Stehen von einem Zettel. Er schäme sich zutiefst dafür, dass er der Propaganda des Assad-Regimes hinterhergelaufen sei. Es sei unfassbar und schrecklich, was in Syrien vorgefallen sei, er habe keine Zweifel, dass die Zeugen Opfer des Regimes gewesen seien. Er aber wolle nicht aufhören zu sagen, dass er nie im Militärkrankenhaus in Homs gearbeitet habe, bis zum letzten Atemzug seines Lebens.

In der ursprünglichen Fassung dieses Textes stand ein indirektes Zitat, das mutmaßlich nicht korrekt war und deshalb entfernt wurde.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Justiz
:Der Folterknecht von Homs

In Frankfurt steht ein Mann vor Gericht, der in Syrien Gefangene misshandelt und sich als Erfinder einer neuen Foltermethode gerühmt haben soll. In Deutschland arbeitete er als Arzt - und galt als Beispiel geglückter Integration.

Von Annette Ramelsberger

Lesen Sie mehr zum Thema

  • Medizin, Gesundheit & Soziales
  • Tech. Entwicklung & Konstruktion
  • Consulting & Beratung
  • Marketing, PR & Werbung
  • Fahrzeugbau & Zulieferer
  • IT/TK Softwareentwicklung
  • Tech. Management & Projektplanung
  • Vertrieb, Verkauf & Handel
  • Forschung & Entwicklung
Jetzt entdecken

Gutscheine: