Rechtsextremismus in Hessen:Offenbar weitere Verdachtsfälle bei der Polizei

Lesezeit: 3 Min.

  • Der Fall eines mutmaßlich rechtsextremen Netzwerks in der Frankfurter Polizei wird den Hessischen Landtag beschäftigen.
  • Innenminister Beuth (CDU) wird vorgeworfen, Informationen nicht zügig genug an die Parlamentarier weitergegeben zu haben.
  • Medienberichten zufolge gibt es neben bisher ins Visier geratenen fünf Polizisten weitere Verdachtsfälle.
  • SPD-Innenexperte Lischka forderte "kein Pardon" gegen Extremisten bei der Polizei.

Von Constanze von Bullion, Berlin, und Susanne Höll, Frankfurt am Main, Frankfurt/Berlin

Der Fall eines mutmaßlich rechtsextremen Netzwerks in der Frankfurter Polizei wird den Hessischen Landtag beschäftigen. In einer Sondersitzung des Innenausschusses soll Innenminister Peter Beuth (CDU) am Mittwoch Auskunft über sein Wissen in der Affäre um uniformierte Neonazis geben, die womöglich eine türkischstämmige Anwältin in Frankfurt und deren Familie bedroht haben.

Die Opposition, insbesondere SPD und Linkspartei, hegen den Verdacht, dass Beuth das Parlament nicht zügig genug von den bundesweit als verstörend empfundenen Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in diesem Fall informiert hat. Sie wollen insbesondere wissen, wann das Ministerium welche Details von den Frankfurter Ermittlungserkenntnissen erfuhr.

Inzwischen ermittelt das hessische Landeskriminalamt gegen fünf Polizisten des Innenstadtreviers auf der Zeil. Den vier Männern und einer Frau wird vorgeworfen, in einer Chatgruppe rechtsextreme und rassistische Bilder und Videos ausgetauscht zu haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die inzwischen suspendierten Beamten.

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Darüber hinaus gibt es einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufolge Verdachtsfälle in anderen Präsidien, diese würden nun polizeiintern geprüft. Es habe nicht nur in Frankfurt Durchsuchungen gegeben, sondern auch in einer Dienststelle im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Der Tagesspiegel berichtet unter Berufung auf Sicherheitskreise, die Staatsanwaltschaft habe Verfahren gegen weiterere Beamte eingeleitet.

Auf die Spur der Frankfurter Polizisten kamen die Ermittler nach einer Anzeige der Anwältin Seda Başay-Yıldız, der Verteidigerin von Opferfamilien der rechtsterroristischen NSU und terrorverdächtigen Asylbewerbern, die im August an ihrer öffentlich nicht bekannten Privatadresse einen Drohbrief einer Organisation "NSU 2.0" erhalten hatte.

Die Juristin erstattete Anzeige, die Ermittlungen der Polizei ergaben, dass die Privatadresse im Polizeirevier an der Zeil im internen Verzeichnis gesucht worden war. Weitere Recherchen offenbarten den Austausch rechtsextremer Nachrichten zwischen den fünf verdächtigen Beamten. Ob einer von ihnen oder sie gemeinsam auch für das Drohschreiben verantwortlich sind, ist bisher offen.

Auch in der Bundespolitik rief der Fall Bestürzung hervor. "Das Verhalten einzelner hessischer Polizeibeamter offenbart Abgründe und ist kriminell. Sollten sich die Vorwürfe erhärten, sind die Beamten ohne Wenn und Aber aus dem Dienst zu entfernen", sagte der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka. "Radikale haben bei der Polizei nichts zu suchen, da darf es kein Pardon geben. Sonst wird das Vertrauen, das die Polizei in unserem Land genießt, zerstört."

Der Fall zeige, dass die Politik "ein wachsames Auge" auf diejenigen haben müsse, die den Staat tagtäglich mit ihrer Arbeit vertreten. "Das beginnt bereits bei Einstellung und Ausbildung."

Eine heikle Zeit für die schwarz-grüne Koalition

Der hessische Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour (Grüne) warnte zunächst vor einer Vorverurteilung der Beschuldigten. In Frankfurt gebe es drei verschiedenen Sachverhalte: die Whatsappgruppe der Polizisten, die Weitergabe einer Adresse von einem Dienstcomputer der Polizei sowie den Drohbrief an die Anwältin.

"Diese drei Dinge können, aber müssen nicht zusammengehören", sagte Nouripour. "Es geht nicht darum, jemanden vorzuverurteilen. Aber die Arbeiten von Tausenden Polizisten, die sich oft bis weit jenseits der Belastungsgrenze einsetzen, darf nicht in Verruf gebracht werden."

"Ich gehe davon aus, dass das sehr intensiv und umfassend aufgeklärt wird", sagte Ministerpräsident Volker Bouffier (links) am Montag. Sitzend Innenminister Peter Beuth; das Foto stammt aus dem Jahr 2017. (Foto: Arne Dedert/dpa)

In einer Behörde, die das Gewaltmonopol des Staates ausübe, gebe es "keinen Raum für extremistisches Gedankengut". Nötig seien nun niederschwellige Angebote, die es Beamten ermöglichten, problematische Vorkommnisse Vorgesetzten zu melden.

Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, müsse untersucht werden, ob die Beamten sich bundesweit mit Gleichgesinnten vernetzt hätten, sagte die innenpolitische Sprecherin der Bundestagsgrünen, Irene Mihalic, die selbst früher Polizistin war. "Mich treibt die tiefe Sorge um, dass wir in Deutschland aufgrund von analytischen Mängeln rechtsextreme Netzwerke und terroristische Bestrebungen weiterhin nicht erkennen, weil wir die Lehren aus dem NSU-Komplex nicht wirklich gezogen haben", sagte sie.

Minister Beuth und sein Ministerium wollten sich zunächst nicht zu ihrem Informationsstand in der Affäre äußern. Das geschehe auf Bitten der ermittelnden Frankfurter Staatsanwaltschaft, sagte ein Behördensprecher. Am Mittwoch wolle Beuth den Landtagsabgeordneten aber Rede und Antwort stehen.

Die Sache fällt in eine politisch heikle Zeit für die schwarz-grüne Koalition in Wiesbaden. Die Verhandlungen über eine Neuauflage des Bündnisses gehen in die Endrunde, die CDU muss nach Stimmenverlusten bei der Landtagswahl mindestens einen Ministerposten an die Grünen abgeben. Es ist unklar, ob Beuth Innenminister bleibt oder durch einen anderen CDU-Politiker ersetzt wird.

In Bouffiers Zeit als Innenminister fällt der NSU-Mord in Kassel

Hessens Grüne verlangten von Polizisten unbedingte Verfassungstreue und pochten auf eine angemessene Aus-, Fort- und Weiterbildung. Auch brauche man dazu mehr Beamte aus Zuwanderungsfamilien, sagte Innenexperte Jürgen Frömmrich. Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sagte entschlossene Aufklärung zu: "Das ist eine sehr ernste Geschichte."

Bouffier war selbst früher Innenminister in Hessen. In der Zeit ermordeten die Mitglieder des NSU auch den türkischstämmigen Halit Yozgat in Kassel, in dessen Internet-Café zum Zeitpunkt des Anschlags ein damaliger Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes anwesend war.

Der Mann gilt weder als NSU-Mitglied noch als Täter. Bouffier muss sich bis heute den Vorwurf gefallen lassen, er und die ihm unterstellten Sicherheitsdienste hätten die Aufklärung des Mordes an Yozgat erschwert.

© SZ vom 18.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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