Süddeutsche Zeitung

Frank-Walter Steinmeier:Sie nannten ihn Prickel

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In Frank-Walter Steinmeiers Heimatort wundern sich nicht wenige über die Karriere des Außenministers, weder in der Familie noch beim Fußball stach er besonders heraus.

Dirk Graalmann, Brakelsiek

In einer alten, roten, leicht abgestoßenen Kladde hütet Friedrich Hoffmann seine Trophäe. Der Kassierer des TuS 08 Brakelsiek hat das Büchlein extra hervorgekramt, zum 100-jährigen Bestehen des Sportvereins. Hoffmann wird es auch präsentieren, wenn am Freitag der berühmteste Kicker des Klubs zur Geburtstagsfeier heimkehrt: Er heißt Frank-Walter Steinmeier.

Es reichte zwar nicht für die Fußball-Bundesliga, dafür spielt Steinmeier politisch mittlerweile ziemlich hoch oben. Nicht wenige waren überrascht vom rasanten Aufstieg, viele hatten ihn wohl unterschätzt. Schon beim TuS 08 war Steinmeier die Allzweckwaffe, einer, den man klaglos von Position zu Position schieben konnte, der mal hinten rechts, mal links spielte, ohne große Geniestreiche, aber zäh und verlässlich. Und im Zweifel defensiv, abwartend.

Es wirkt so, als mache Frank-Walter Steinmeier Politik, wie er früher kickte. Nun wird er vielleicht Kanzlerkandidat der SPD, da muss er offensiv spielen, angreifen. Ob er das kann? Hoffmann blättert in den Seiten, bis er jenes karierte Blatt gefunden hat, auf dem er im Jahr 1976 die fußballerische Sensation notierte: "Tor: Steinmeier 1". Sein einziger Saisontreffer. Die Partie der 2. Kreisklasse gegen den FC Donup ging trotzdem mit 1:2 verloren. Der TuS 08 spielt noch in der gleichen Spielklasse, es hat sich nicht so viel verändert seither.

Frustrierender Ort für junge Leute

In Brakelsiek, 1100 Einwohner, stehen ein paar schmucke Fachwerkhäuser rechts und links der Durchfahrtsstraße, die den Ort teilt, mittendrin eine Tankstelle, dazu das Gasthaus "Postillon" und direkt gegenüber der "Alte Krug", eine typische Dorfkneipe, in der Lotti und Heinz ausschenken; ewig schon. "Armenhaus Lippe" nannte man diese Region früher, hier an der Grenze zu Niedersachsen. Das kleine Herforder kostet 1,10 Euro, die Gulaschsuppe 2,20 Euro, hier im Ort wird SPD gewählt, das Leben ist überschaubar.

Wenn man jung ist, kann das ab und an frustrierend sein. "Es gab hier für uns Jugendliche nix, im Zweifel hätte man in die Kneipe gehen müssen", sagt Hartmut Tewesmeier. Er ging ab und an zu Lotti und Heinz, Steinmeier noch seltener. Später fuhren sie gemeinsam in einer Ente nach Südfrankreich, hatten reichlich Spaß, doch selbst in hochprozentiger Stimmung fiel Steinmeier nie aus dem Rahmen: "Der Frank konnte sich selbst dann noch zusammenreißen, wenn er mal richtig dicke war."

Kontrolliert, strategisch, analytisch, im Zweifel unscheinbar; die immer gleichen Adjektive flirren umher, wenn über den jungen Frank-Walter Steinmeier gesprochen wird. In Berlin könnte das Urteil womöglich ähnlich ausfallen - und Steinmeier die Kanzlerkandidatur für die SPD einbringen. Noch ist er ein Phänomen: Der Außenminister ist ungemein populär, obwohl man von ihm kaum etwas weiß.

Sein privates Leben verbarg er stets, auch wenn er sich jüngst müht, mit Bunte-Interview oder Auftritten in Kochshows am menschelnden Image zu meißeln. Der 52-Jährige weiß, dass er in der Öffentlichkeit seltsam konturlos ankam, viele empfanden ihn als treibende Kraft der Agenda-Politik, den treuen Schröder-Sherpa, als dessen Alter Ego.

Vieles passierte bei ihm einfach so

Gerhard Schröder wuchs nur 15 Kilometer entfernt in Mossenberg auf. Aber das, sagen die Leute aus Brakelsiek, sei schon "ein etwas anderer Menschenschlag". Schröder hat sich inszeniert, seine Künste als Torjäger beim TuS Talle gehören zum Allgemeingut. Sie nannten ihn "Acker", Schröder trug es als Ehrentitel, als Kennzeichen eines Mannes, der aus einfachsten Verhältnissen den Weg nach oben sucht.

Steinmeiers bisher größte persönliche Inszenierung könnte der neumodische Bindestrich zwischen erstem und zweiten Vornamen sein. Die Kickerkollegen nannten ihn "Prickel", was nicht nur etwas wirr klingt, sondern angeblich auch keine Bedeutung hat. "Jeder hatte hier halt seinen Spitznamen, einfach so." Bei Steinmeier passierte offenbar schon früher vieles einfach so. "Ich weiß nicht einmal mehr, wie er zur SPD gekommen ist", sagt Dirk Steinmeier. Er ist sechs Jahre jünger als sein Bruder, ein lebenslustiger Mann mit Ohrring und in kurzer Hose, der im Nachbarort als technischer Angestellter arbeitet.

Mit Vater Walter sitzt er auf der eigenhändig überdachten Terrasse des Elternhauses. Weißer Putz, Glasbausteine in der Vorderfront, das Garagentor braun gestrichen, kein Platz für Exaltiertes. Ein kleinbürgerliches Idyll. Die Terrasse ist gefliest, man sitzt in weißen Hartplastikmöbeln, auf dem Tisch liegt ein Wachstuch - alles gut abwaschbar.

An der Wand hängt eine grüne Keramik-Uhr, die noch aus den siebziger Jahren stammen könnte. Aber sie zeigt die Zeit präzise und verlässlich an, und genau darauf kommt es hier an. "Man muss immer zum Kern des Ganzen kommen", sagt Walter Steinmeier. Er ist Jahrgang 1928, gelernter Tischler, ein ruhiger Mann. Seine Gesten sind sparsam; wenn er spricht, bewegt sich ausschließlich sein Mund, die Stimme hat etwas Beruhigendes. Man kennt das von seinem Sohn.

Vermitteln war schon immer seine Stärke

Zu Hause bleibt Frank-Walter Steinmeier immer der Sohn. Wenn er nun wieder nach Brakelsiek kommt, wird er wie gewohnt in seinem alten Zimmer schlafen - und sie werden wie früher kaum über Politik diskutieren. "Wir waren nie der Haushalt, in dem große politische Debatten geführt wurden", sagt der Vater. Man sucht den Zugang zum homo politicus Steinmeier, und findet doch nie den Anfang. So verschwimmt die politische Sozialisation des stellvertretenden SPD-Vorsitzenden im Dunkeln. Er war bei den Jusos in Detmold, aber vielleicht fing seine Karriere doch in Brakelsiek an, mit der Gründung des Jugendclubs.

In vielen Gesprächen mit den Behörden erstritt Steinmeier eine Heimstatt für die Dorfjugend. Es war ein schwieriger Weg: Die einen verfolgten einen pädagogischen Ansatz, andere hofften einfach auf eine eigene Partybude. Steinmeier stand zwischen den Gruppen und organisierte den Kompromiss. "Dieses Vermittelnde, das war schon immer seine größte Stärke", sagt Dirk Steinmeier. Er mag die ruhige Art seines Bruders.

Letztens sah er ihn wie so oft nur im Fernsehen, Frank-Walter Steinmeier bei einem Auftritt im Bierzelt: Dröhnend erhob der SPD-Vize das Wort, reckte die Faust empor, seine röhrende Stimme erinnerte plötzlich an die von Gerhard Schröder. "Steinmeier kann doch Wahlkampf", titelten Zeitungen. Dirk Steinmeier hat geschmunzelt, als er die Bilder sah: "Ich hab' gedacht: Mensch Frank, das bist du doch gar nicht."

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SZ vom 21.08.2008/pir
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