Frank Bsirske:"Das Angebot bedeutet Reallohn-Verlust"

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Frank Bsirske, 66, ist Vorsitzender von Verdi seit Gründung der Gewerkschaft im Jahr 2001. Er führt diese Tarifverhandlungen auch im Auftrag von drei kleineren DGB-Gewerkschaften. Bsirske ist Mitglied der Grünen. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Warum der Verdi-Chef im öffentlichen Dienst derart massiv auf Arbeitskampf setzt.

Interview von Detlef Esslinger

SZ: Herr Bsirske, wird in Frankfurt, Köln-Bonn und München an diesem Mittwoch auch nur eine einzige Maschine starten?

Frank Bsirske: Das hängt davon ab, mit welchem Plan die Fluggesellschaften auf unsere Streikankündigung reagieren. Die Warnstreiks finden teilweise bis zum frühen Nachmittag statt wie in Frankfurt, Düsseldorf und Hannover oder ganztägig wie in Dortmund, München und Köln-Bonn.

Warum lassen Sie in Frankfurt ab 8 Uhr und in Köln-Bonn und München ganztags auch die Flughafenfeuerwehr streiken? Damit sind alle drei Flughäfen dicht.

Wie lange die Flughafen-Feuerwehren zum Warnstreik aufgerufen werden, sehen wir am Mittwoch. Diese Berufsgruppe macht einen hochgefährlichen Job. Bei ihr geht es auch darum, dass niemand in die Rente oder auf minderwertige Posten abgeschoben wird, falls die Gesundheit den Einsatz am Brandherd unmöglich macht. Diese Forderung ist seit Langem überfällig.

Ist es nicht ein bisschen übertrieben, einen Warnstreik auf 24 Stunden auszudehnen und damit quasi den Luftverkehr des ganzen Landes lahmzulegen?

Der Sinn von Warnstreiks ist, Tarifverhandlungen zu beschleunigen. Ich hoffe, dass dieses Signal verstanden wird und wir bei der dritten Runde am Donnerstag und Freitag zu einer Einigung kommen.

Vor zwei Jahren hatten Sie von Bund und Kommunen in der zweiten Runde gar kein Angebot erhalten. Trotzdem streikte an den Flughäfen nur die Frühschicht. Warum jetzt diese Eskalation?

Wir reagieren damit auf ein Angebot, das den Beschäftigten einen Reallohn-Verlust zumuten will.

Es besteht aus einem Plus von drei Prozent für zwei Jahre. Macht bei einer erwarteten Inflation von 0,5 Prozent in diesem und 1,5 Prozent im nächsten Jahr eine Reallohn-Steigerung von einem Prozent.

Sie rechnen falsch. Die Erhöhungen werden ja nicht jeweils fürs ganze Jahr angeboten, sondern nach drei Nullmonaten erst vom 1. Juni an. Damit bedeutet das Angebot 0,6 Prozent für dieses und 1,2 Prozent für nächstes Jahr. Macht 1,8 Prozent bei einer kumulierten Inflation von zwei Prozent und bedeutet damit Reallohn-Verlust.

Es gibt derzeit in Deutschland kaum Inflation. Die Gewerkschaften brauchen daher nicht so hohe Zuwächse wie früher, um trotzdem ein Reallohn-Plus in derselben Höhe herauszuholen. Warum tun sich aber alle so schwer damit?

Im öffentlichen Dienst haben wir weiterhin einen Nachholbedarf. Der Tariflohn hier beträgt derzeit 137 Prozent desjenigen aus dem Jahr 2000 - in der Gesamtwirtschaft beträgt er 141 Prozent. Das ist schon deshalb problematisch, weil der Wettbewerb zwischen Industrie und öffentlichem Dienst um Nachwuchs härter werden wird. Der Arbeitgeber Staat muss konkurrenzfähig bleiben. Abgesehen davon: Ausgerechnet in einer Zeit mit den höchsten Etatüberschüssen, die es je gab, wollen Bund und Kommunen ihren Beschäftigten ein Minus zumuten. Was für eine Logik ist das denn?

Den Überschuss hat vor allem der Bund. Die Kommunen haben Schulden wie nie.

Nicht nur der Bund, auch die Kommunen haben letztes Jahr einen Überschuss ausgewiesen: 3,2 Milliarden Euro. Und die Steuerschätzer sagen ihnen für 2016 einen weiteren Anstieg um sieben Prozent voraus. Aber richtig ist auch: Von dieser Entwicklung profitieren nicht alle Kommunen in gleicher Weise. Einige befinden sich in einer schwierigen Lage. Aber dieses Problem lösen wir nicht durch Lohnverzicht. Hier ist der Bund gefordert. Er muss die Finanzbeziehungen zu den Ländern neu ordnen und dabei die Kommunen stärken.

Das hilft dem Kämmerer zum Beispiel von Gelsenkirchen wenig. Der muss schon nächste Woche bezahlen, was Sie jetzt durchsetzen wollen.

Diesem Kämmerer sage ich: Wenn unsere Abschlüsse so wären, dass er anschließend keine guten Mitarbeiter mehr für seine Kämmerei bekommt, hätte auch er mit Zitronen gehandelt.

Die Kommunen wollen, dass die Beschäftigten mehr in die betriebliche Altersvorsorge einzahlen als bisher. Geben Sie ihnen da recht?

Die Kommunen fordern eine pauschale Anhebung. Das geht gar nicht. Der bayerischen Versorgungskasse zum Beispiel geht es so gut, dass die Beiträge dort soeben gesenkt wurden. Aber wo es wegen niedriger Zinsen und steigender Lebenserwartung nachgewiesenen Handlungsbedarf gibt, sind wir bereit, dem Rechnung zu tragen. Das Ergebnis muss auf jeden Fall Parität sein: Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlen dann jeweils die Hälfte des erhöhten Beitrags.

Werden am Donnerstag in Potsdam weiterhin so schön Argumente ausgetauscht, wie wir das gerade tun - oder beginnt dann gleich die Teppichhändlerphase?

Es wird uns gar nichts anderes übrig bleiben, als Argumente mit Lösungsvorschlägen zu verbinden und auszuloten, wo ein Kompromiss liegen kann. Wir wollen in dieser dritten Runde ein Gesamtpaket schnüren.

© SZ vom 27.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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