Süddeutsche Zeitung

François Hollande:Pakt mit den einstigen Teufeln

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Charme-Offensive in Frankreich: Präsident Hollande bietet den Arbeitgebern plötzlich geringere Steuern im Tausch gegen mehr Beschäftigung. Nicht selbstverständlich für einen Mann, der vor 20 Monaten noch mit ganz anderen Tönen sein Volk umgarnte.

Von Christian Wernicke, Paris

Der Präsident legt eine freundliche Miene auf. Das macht er immer, wenn er vor die Presse tritt. Der Festsaal des Élysée-Palasts schillert, die Scheinwerfer lassen das Gold an den Säulen leuchten. François Hollande lächelt, trotz allem. Trotz der trüben Stimmung in der Republik, trotz 3,3 Millionen Arbeitslosen im Land. Und trotz der hämischen Schlagzeilen, die ihm seine nächtlichen Amüsements mit einer attraktiven Schauspielerin beschert haben. Es beginnt die "Operation Verführung".

"L'opération séduction" - so hat der Figaro vorige Woche jene Charme-Offensive getauft, mit der François Hollande seine bislang marode Präsidentschaft wiederbeleben will. Die Ironie war ungewollt, die erzkonservative Tageszeitung wusste damals noch nichts von Hollandes kleinen Fluchten in das Appartement an der Rue du Cirque, der Zirkus-Straße.

Objekt der politischen Begierde des Präsidenten sind Frankreichs Arbeitgeber. Mit ihnen will der Sozialist ins Geschäft kommen: Hollande bietet weniger Steuerlast und geringere Arbeitskosten im Tausch gegen mehr Beschäftigung. Der Herr im Élysée nennt seine Idee einen "Pakt der Verantwortung". Es scheint, als berge die Formel für das Staatsoberhaupt den Zauber der Erneuerung: Wieder und wieder wird er in den nächsten zweieinhalb Stunden, in denen er vor den Augen der Nation zu den Journalisten redet, diese drei Worte aufgreifen.

Schwächen, die Unternehmer und Banker seit Jahren beklagen

Ungewöhnlich streng wirkt Hollande, mit staatstragendem Ton kommt er gleich zur Sache. Auf dem Spiel stehe nicht weniger als - alles. "Wenn Frankreich sein Schicksal selbst bestimmen will, dann muss es unbedingt seine wirtschaftliche Kraft wiederfinden", spricht er. Was dann folgt, sind Sätze, die sich auch in manch neoliberalem Lehrbuch finden. Nicht über die Nachfrage, über "mehr und bessere Produktion" und "über das Angebot" müsse sich Frankreich sanieren: "Das Angebot schafft sich seine Nachfrage." Der Präsident beklagt zu hohe Arbeitskosten und zu schmale Gewinnmargen für die Unternehmen.

Hollande zählt die Schwächen auf, die Frankreichs Unternehmer und Banker seit Jahren beklagen. Zu hoher Steuerdruck, eine erdrückende Abgabenlast, elender Bürokratismus - all diese Krankheiten verspricht er zu heilen. Und er unterbreitet sein Angebot: Bis 2017 will er die Unternehmen um 30 bis 35 Milliarden Euro Sozialabgaben entlasten, die diese bisher jährlich in Frankreichs staatliche Familienkasse zahlen müssen. Aus diesem Teil der Sozialversicherung fließt das Kindergeld. Zudem verspricht der Präsident eine grundlegende Steuerreform - mit weniger Abschreibungen und Rabatten und dafür niedrigeren Steuersätzen.

Das ist nicht selbstverständlich für einen Mann, der vor 20 Monaten mit ganz anderen Tönen sein Volk umgarnte. Im Wahlkampf 2012 hatte sich dieser eigentlich stocknüchterne Pragmatiker noch als Volkstribun geriert. Er gewann, weil er den großen Wandel gegenüber seinem exzentrischen Vorgänger Nicolas Sarkozy verhieß - und gleichzeitig versicherte, dass sich wenig ändern müsse an Frankreichs üppigem Wohlfahrtsstaat. Der Sozialist geißelte "die Finanzwelt" als seinen "wahren Gegner" und kündigte an, die Reichen mit einer Sondersteuer von 75 Prozent zu belegen. Ein Versprechen, das er als Präsident einhielt.

Nur, der Republik geht es nicht besser. Nach der Euro-Krise zieht überall auf dem Kontinent die Konjunktur wieder an - aber nicht in Frankreich. Gerade mal 0,9 Prozent Wachstum prognostiziert Hollandes Finanzministerium für das Jahr 2014, ein Drittel des erwarteten Zuwachses in Großbritannien, die Hälfte des deutschen Wertes.

Das Land schwächelt auf dem Weltmarkt, zum Ende des Jahres wird sich ein Schuldenberg des Staates in Höhe von 95 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auftürmen. Mit anderen Worten: Der Mann, der vorn am präsidentiellen Rednerpult mit wedelnden Armen Frankreichs Zukunft beschwört, sucht einen neuen Kurs mit seinem "Pakt der Verantwortung".

Und er geht noch einen Schritt weiter. Zwar vermeidet er, seine Kurskorrektur eine Wende zu nennen. Lieber spricht er von einer "neuen Etappe". Aber er bekennt sich zu seinen Wurzeln. Dieser Mann, der sich in den Reihen von Frankreichs zerstrittenen Sozialisten lange Jahre als marktorientierter Rechtsabweichler und Musterschüler des legendären Jacques Delors profilierte, gibt sich ein neues Etikett: "Ich bin Sozialdemokrat - ja!" Im März 2012, nach einem von der linken Libération protokollierten Streitgespräch mit SPD-Chef Sigmar Gabriel, hatte Hollande dieses Reizwort noch gescheut. Damals beugte er sich übers Manuskript - und strich genau diesen Satz. Als Sozialdemokrat sollte ihn vor der Wahl niemand erkennen. Auch jetzt will er zwar Sozialist bleiben, "als solcher bin ich gewählt worden". Aber seine Methode ist fortan "der große soziale Kompromiss".

Hollande hat ein paar Trümpfe in der Hand

Hollandes Pakt wird schmerzen. Der Plan, bis zum Ende seiner Präsidentschaft im Jahr 2017 satte 50 Milliarden Euro aus dem Etat herauszuschneiden, jagt den Ministern Angst ein. Artig sitzen sie im Festsaal des Élysée und lauschen dem Chef. Die absehbaren Kürzungen in der staatlichen Krankenversicherung und die Offerte, den Arbeitgebern die Tribute fürs Kindergeld zu erlassen, dürften die Parteilinke und die Gewerkschaften gegen den Präsidenten aufbringen. "Ich gehe ein Risiko ein", räumt Hollande gegen Ende seiner Pressekonferenz ein. Er sagt es mit Stolz.

Die Arbeitgeber hatten bereits vor Hollandes Auftritt versprochen, sich auf dessen Pakt einzulassen. "Wir sind bereit, das Spiel zu spielen", hatte Pierre Gattaz, der Präsident des Arbeitgeberverbandes, vorige Woche gegenüber Le Monde konzediert. Sie wollen nun das Kleingedruckte lesen, und sie werden vernommen haben, mit welchen Finten der Präsident agiert. Beiläufig deutete er an, ein anderer, von ihm bereits gewährter Steuerrabatt in Höhe von demnächst 20 Milliarden Euro müsse mit dem Pakt verrechnet werden.

Das wird noch ein zähes Gefeilsche werden, so viel steht fest. Hollande hat sein neues Spiel noch nicht gewonnen. Aber erstmals hält er wieder ein paar Trümpfe in der Hand.

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Quelle:
SZ vom 15.01.2014
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