François Hollande neuer Präsident Frankreichs:Adieu Wahlkampf, bonjour Realität

Frankreich muss sich nach dem Sieg von François Hollande über Nicolas Sarkozy der Wahrheit stellen. Seine Ausnahmestellung in der Welt findet ein Ende. Der kluge Sozialist kann der angeschlagenen Nation in dieser Situation den richtigen Weg weisen. Auch für Merkel erweist sich Hollande womöglich als der bessere Partner. "Merklande" hat gute Chancen, die Herausforderung Europa zu meistern.

Stefan Ulrich, Paris

Wenn die letzten Champagnerkorken auf der Place de la Bastille zusammengekehrt sind und die Franzosen aus der Nacht des Sieges und der Niederlage erwachen, dann müssen sie sich sagen: Adieu Wahlkampf, bonjour Realität. Und es ist eine bittere Realität: Ihr Sozialmodell ist kaum mehr zu bezahlen; ihr Staat, verkörpert im Übervater des Präsidenten, kann sie nicht mehr gegen die Konkurrenz der anderen - der Chinesen, Inder, Brasilianer - schützen. Die exception française, Frankreichs Ausnahmestellung in der Welt, geht zu Ende. Doch in diesem obsessiven, alle Aufmerksamkeit wie ein schwarzes Loch verschlingenden Wahlkampf, war davon kaum die Rede.

Nun muss sich Frankreich der Wahrheit stellen. Dies gilt besonders für François Hollande, der als erster Sozialist seit François Mitterrand den Élysée erobert hat. Ihm obliegen die Reformen, die seine Vorgänger versäumten. Nachdem Mitterrand 1981 gewonnen hatte, konnte die Linke ihren Triumph noch ausleben - Verstaatlichungen, weniger Arbeit, mehr Rente.

Erst 1983 musste Mitterrand abrupt zu sparen beginnen. So viel Zeit zum Spielen haben die Sozialisten diesmal nicht. Frankreichs Finanzlage ist zu gefährlich. Die EU und die Anleger in aller Welt reagieren sofort, falls sich Paris in Abenteuer stürzt. Diesen Druck sollte Hollande nutzen, um die radikale Linke zu kontrollieren und Reformen durchzusetzen. Hoffentlich tut er es.

Gewiss: Niemand darf von einem Volk, welches das Kino erfand, erwarten, dass es nur noch vom angelsächsischen Kapitalismus träumt. Die Franzosen tragen das Ideal der Égalité, der Gleichheit, im Erbgut. Sie wollen sich nicht mit dem amerikanischen Weg zum Glück abfinden, der so viele Unglückliche zurücklässt. Daher setzen sie auf einen Staat, der die Starken in die Pflicht nimmt, um die Schwachen zu schützen.

So entstand ein sympathisches Land, in dem sich gut leben ließ. Der globale Konkurrenzdruck, die drückenden Schulden und eine gewisse Realitätsverweigerung bringen dieses Savoir vivre jedoch in Gefahr. Die Franzosen müssen einen dritten Weg zwischen ihrem patriarchalischen Rundum-Versorgungsstaat und dem angelsächsischen Kapitalismus suchen. Vielen Völkern Europas geht es ähnlich.

Was den Franzosen ihre Égalité, ist den Deutschen die Soziale Marktwirtschaft. Die Bundesrepublik hat bereits unter Gerhard Schröder begonnen, diese zu reformieren, um sie zu bewahren. Frankreich steht das noch bevor. Das Land wird sich von der 35-Stunden-Woche und der Rente mit 62 oder gar 60 verabschieden müssen. Es wird den Kündigungsschutz für die Alten lockern müssen, damit die Jungen eine Chance bekommen. Und es wird Gewerkschaften und Arbeitgeber dazu bringen müssen, sich als Partner statt als Feinde zu sehen.

Hollande hat das alles bislang verschwiegen. Nun sollte er erklären, ob die Franzosen bereit sind, mit den Deutschen und anderen Völkern Europas einen dritten Weg zu gehen.

Merkel bekommt in Hollande einen guten Partner

Der Wahlkampf weckte daran Zweifel. Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon, die Führer der radikalen Rechten und Linken, schürten die Illusion, Frankreich könne sich von Europa abwenden und in einen kuscheligen Sozialnationalismus ohne ausländische Menschen beziehungsweise ausländisches Kapital flüchten. Gemeinsam bekamen die Extremisten im ersten Wahlgang ein Drittel der Stimmen - und das im Land der Aufklärung und Vernunft.

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Frankreichs Ausnahmestellung in der Welt geht zu Ende, das muss auch François Hollande akzeptieren.

(Foto: AFP)

Hollande und Sarkozy ließen sich von den Radikalen anstecken. Hollande, indem er das Kapital pauschal zum Feind erklärte. Sarkozy, indem er Hurra-Patriotismus betrieb und den Franzosen einredete, ihr Heil liege im Wiederaufbau von Grenzen. Vergessen zu sein schien die Warnung Mitterrands: "Nationalismus - das ist der Krieg." Nun gut, es war Wahlkampf.

Der kluge Hollande dürfte nun eine pragmatische, europafreundliche Politik betreiben. Er will den Euro auf keinen Fall zerstören. Die Ängste, die viele vor ihm haben, sind übertrieben. Natürlich wird der Sozialist darauf bestehen, die Sparpolitik der EU durch eine Wachstumsstrategie zu ergänzen. Doch das ist längst herrschende Meinung in der EU und wird auch von der Kanzlerin nicht mehr bestritten.

"Merklande" statt "Merkozy"

Angela Merkel hat Hollande im Wahlkampf geschnitten und ganz auf einen Sieg Sarkozys gesetzt. Dabei war Sarkozy mitnichten jener konstante Muster-Europäer, als der er in Berlin heute gepriesen wird. Er sparte erst, als Frankreich in den Abgrund blickte; und er hing weniger einem starken Europa an als einem Europa der starken Vaterländer.

Hollande könnte sich da noch als besserer Partner erweisen. Anders als "Merkozy" decken "Merklande" das konservativ-liberale und das sozialdemokratische Europa ab. Sie können als große Koalition dafür sorgen, dass deutsch-französische Vorgaben von den anderen Völkern akzeptiert werden.

Eine Verständigung mit Hollande wird die Kanzlerin davor bewahren, zum isolierten Hegemon der EU zu werden. Merkel bekommt in Hollande einen Partner, mit dem sie die Herausforderung Europas angehen kann: die Sanierung der Staaten und die Entwicklung eines Sozialmodells, das in der neuen Welt Bestand hat.

Reüssieren die beiden, wird die europäische Erfolgsgeschichte weitergehen. Scheitern sie, so könnten Angst, Frust und Wut der Bürger im Jahr 2017 einen Nationalpopulisten in den Élysée spülen.

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