Süddeutsche Zeitung

François Fillon in Berlin:"Europa braucht einen Schub"

Die EU dürfe sich mit Amerikas neuen Spielregeln nicht abfinden, fordert der französische Präsidentschaftskandidat. Auch im deutsch-französischen Verhältnis sieht er Verbesserungsbedarf.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

François Fillon wollte am Montag nicht sparen. Nicht an Emotionen, nicht an Pathos und schon gar nicht an Visionen. Der Präsidentschaftskandidat der französischen Republikaner hatte sich für seinen Auftritt in der Berliner Konrad-Adenauer-Stiftung nichts weniger als eine europäische Ruck-Rede vorgenommen. "Europa braucht einen Schub", sagte Fillon. Das Europa, das er sich wünsche, respektiere die Nationen, beschütze die Bürger, gebe ihnen Arbeit, verteidige ihre wirtschaftlichen Interessen und kontrolliere seine Grenzen. Es sei die Heimat von Freiheit, Innovation und Kultur. "Europa ist eine Zivilisation, die verteidigt werden muss", rief er zur Geschlossenheit auf.

Der Auftritt in der Stiftung war für den Kandidaten der Abschluss eines langen Besuchstages in Berlin. Zunächst hatte er Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Kanzleramt besucht, danach bei Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vorgesprochen. Sowohl das Umfeld von Merkel als auch das von Schäuble mühten sich nach Kräften, die Gespräche mit Fillon als pragmatisches Regierungshandeln zu beschreiben. Fillon sei Kandidat, er habe kein Regierungsamt, folglich werde auf seine Pläne nicht reagiert, hieß es.

Die Sorge um die Währungsunion wird sich nach Fillons Besuch eher verstärken

Zu den diskutierten Fragen gehörte freilich diejenige, ob die unerfreulichen Botschaften aus der amerikanischen Regierungszentrale dabei helfen könnten, das deutsch-französische Führungsduo in Europa wieder flott zu kriegen. Zwar verweigerte Regierungssprecher Steffen Seibert detaillierte Auskunft mit dem Hinweis, die Gespräche der Kanzlerin mit Kandidaten anderer Länder seien ein "vertraulicher Austausch".

Zugleich räumte er ein, dass es natürlich auch um die Ideen des Franzosen gegangen sei, die dieser als Grußbotschaft seinem Berlin-Besuch per Interview in Le Monde und FAZ vorausgeschickt hatte. Nicht alle dürften von der amtierenden Bundeskanzlerin, die sich ja nur ein paar Monate später als der französische Gast zur Wahl stellt, als hilfreich in Sinne der Belebung der gemeinsamen Freundschaft eingestuft worden sein.

Fillon hatte offen über die Schwäche in den deutsch-französischen Beziehungen gesprochen. "Die Partnerschaft war noch nie so leer und schwach wie heute", sagte er. Es sei "höchste Zeit", in offenen Gesprächen zu neuen gemeinsamen Projekten zu finden. Der Kandidat, der unter anderem den früheren französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy in den Vorwahlen seiner Partei geschlagen hatte, forderte Europa auf, sich nicht mit den neuen Spielregeln Amerikas abzufinden, sondern sich neu zu organisieren.

Konkret heißt das für Fillon, die Beziehungen mit Russland zu überdenken, ein europäisches Verteidigungsbündnis mit einem gemeinsamen Budget zu organisieren, den von Schäuble einst ins Spiel gebrachten Europäischen Währungsfonds zu gründen und einem neuen Steuerdumping in der Euro-Zone vorzubeugen.

"Ich möchte eine offene Beziehung zu Moskau, die von Vertrauen geprägt ist", sagte Fillon.

Einige dieser Ideen werden Merkel und Schäuble aus den Regierungsjahren mit Sarkozy noch bekannt vorkommen. Das Auswärtige Amt erklärte, die Überlegungen zur gemeinsamen Sicherheitspolitik seien nicht neu. Das Verteidigungsministerium wiederum signalisierte Zustimmung. Man strebe mehr gemeinsames Handeln an, sagte ein Sprecher.

Diese Worte dürften dem Bundesfinanzminister kaum über die Lippen kommen, trotz der parteipolitischen Nähe zwischen CDU und Republikanern. Der Vorschlag Fillons, einen europäischen Verteidigungsfonds zu gründen und gemeinsam für dessen finanzielle Ausstattung zu haften, ist für die Bundesregierung politisch vermint. Es ist nicht zu erwarten, dass sich dies im Wahlkampf und angesichts der vorhandenen Schwierigkeiten in der Währungsunion ändert.

Die Sorge über die Währungsunion wird sich nach Fillons Besuch eher verstärken. Der Republikaner wollte Schäuble darauf vorbereiten, dass Frankreich die Regeln der Euro-Zone weiterhin nicht einhalten und mehr neue Schulden als erlaubt machen wird. Schäuble hat nicht viel Spielraum, dem zu widersprechen. Die Bundesregierung ist darauf angewiesen, dass das Nachbarland wirtschaftlich an Stärke gewinnt. Berlin wird die künftige französische Wirtschaftspolitik weitgehend mittragen müssen.

Fillon werden gute Chancen eingeräumt, in die zweite Runde der französischen Wahlen zu gelangen. Der Kandidat aus dem sozialistischen Lager steht noch nicht fest. Seibert kündigte vorsorglich an, dass Merkel auch diesen empfangen werde, falls er es wünsche. Am Freitag kommt zunächst noch einmal der scheidende Präsident François Hollande ins Kanzleramt.

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SZ vom 24.01.2017
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