Fraktionsvorsitz der SPD:Wer die Wahlverlierer bändigen muss

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Der SPD Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel, Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann

(Foto: picture alliance / dpa)

Gabriel muss sein Image als Raufbold korrigieren und deshalb Minister werden, Steinmeier kehrt wohl ins Außenamt zurück: Wenn die SPD-Basis am Wochenende für die große Koalition stimmt, könnte Thomas Oppermann Fraktionschef der SPD werden. Eine einflussreiche Position - doch sein Traumjob wäre ein anderer.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Am Ende gab es 20 Gegenstimmen aus der SPD-Fraktion, und der einzige Trost für deren Chef war, dass es aufseiten der Union noch einmal drei mehr waren. Trotzdem hatte er während der Debatte den Saal verlassen, während die Grünen-Fraktionschefin sich an dem Gesetzesvorhaben der großen Koalition abarbeitete. Er hielt es einfach nicht mehr aus.

Das war Anfang 2007 während der ersten großen Koalition unter Angela Merkel, es ging um die schwarz-rote Gesundheitsreform, der SPD-Fraktionschef hieß damals Peter Struck. Vor ziemlich genau einem Jahr ist er gestorben. Würde er noch leben, könnte er seinem Nachfolger demnächst noch mal erzählen, wie schwierig das ist, in Zeiten einer großen Koalition die Bundestagsfraktion beisammenzuhalten: Erstens gefällt sozialdemokratischen Abgeordneten naturgemäß nicht alles, was man mit der Union so an Kompromissen aushandelt. Zweitens ist die Mehrheit komfortabel, die Parlamentarier fühlen sich also deutlich freier, gegen die Linie der Fraktionsführung zu stimmen, als sie das bei einer knappen Mehrheit könnten. Struck bekam das zu spüren - selbst er, der ein äußerst starker Fraktionschef war.

Sein Nachfolger wird das auch sein müssen, zumal es in der SPD-Fraktion 87 neue Abgeordnete gibt, die zum Teil noch nach Orientierung suchen dürften, schwieriger einzuschätzen sind als die Alteingesessenen und die Fraktionsdisziplin womöglich nicht für das höchste parlamentarische Gut halten. Umso entscheidender wird der Posten des SPD-Fraktionschefs für die Stabilität der großen Koalition sein - auch wenn das derzeit im Gerätsel über die Besetzung des Kabinetts ein wenig untergeht.

Zwar kommt dem Amt auch bei der Union eine enorme Bedeutung zu - aber CDU und CSU haben wenigstens die Wahl gewonnen. Einen Haufen von Wahlverlierern zu bändigen, die schon jetzt überlegen, wie man 2017 besser dastehen könnte, ist noch mal deutlich komplizierter. Bei den Sozialdemokraten fallen einem nicht allzu viele ein, denen das zuzutrauen ist.

Frank-Walter Steinmeier könnte es, das hat er in den vergangenen vier Jahren gezeigt. Doch es wird allgemein damit gerechnet, dass der Fraktionschef ins Auswärtige Amt zurückkehrt. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel könnte es - und als Chef von Fraktion und Partei hätte er eine hübsche Ausgangsposition, um mit Blick auf den nächsten Wahlkampf und eine eventuell anstehende Kanzlerkandidatur den einen oder anderen Kontrapunkt zu setzen, ohne in die Kabinettsdisziplin eingebunden zu sein. Andererseits muss er sein Image des sprunghaften Raufbolds korrigieren, was ihm eher in einem Ministeramt gelingen könnte. Und wer bleibt sonst?

Sonst bleibt vor allem Thomas Oppermann, 59, bislang Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion. Sein Name wird seit Tagen immer häufiger genannt, wenn es um den Fraktionsvorsitz geht, mancher nimmt die Personalie bereits als feste Tatsache, während ganz an der Spitze mantraartig darauf hingewiesen wird, dass alles noch im Fluss sei, schließlich handele es sich um ein sehr kompliziertes Puzzle. Das mag richtig sein, doch ein Fraktionschef Oppermann, das gibt auch so mancher Abwiegler zu, würde in dieses Puzzle ziemlich gut hineinpassen.

Er ist zwar in seinem jetzigen Amt vielen Abgeordneten auf die Füße getreten und bekam bei seiner Wiederwahl in der Mitte der Legislaturperiode nur 64 Prozent. Doch an seiner fachlichen wie rhetorischen Qualifikation gibt es keinen Zweifel, die notwendige Autorität hätte er. Auch die Linken in der Fraktion dürften wohl kein Problem mit der Lösung haben, wenn Oppermanns Nachfolge auf dem Platz des Parlamentarischen Geschäftsführers in ihrem Sinn geregelt würde - was sich ebenfalls anzubahnen scheint: Als aussichtsreiche Kandidatin für den Posten gilt die Juristin Christine Lambrecht aus Südhessen, bislang stellvertretende Fraktionschefin.

Bleibt ein Problem: Oppermann will eigentlich gar nicht. Statt an die Fraktionsspitze zieht es den einstigen niedersächsischen Wissenschaftsminister ins Kabinett, sein Traumjob wäre Innenminister. Doch auch das Justizministerium könnte er sich vorstellen - wobei da der Posten des Fraktionschefs eindeutig die einflussreichere Position wäre. Vielleicht lässt Oppermann sich davon ja am Ende überzeugen - wenn nicht doch noch Gabriel nach dem Fraktionsvorsitz greift. Oder Steinmeier ihn wider Erwarten behält.

Wenn aber Oppermann (oder überhaupt ein Mann), Fraktionschef wird, ergibt sich daraus ein neues Problem: Da auch der Parteivorsitz männlich besetzt ist, müsste dann nach der allgemein verbreiteten Argumentation der Posten des Generalsekretärs von einer Frau übernommen werden - so wie bisher auch schon, doch Andrea Nahles wird wohl ins Kabinett wechseln. Bislang galt der schleswig-holsteinische SPD-Landeschef Ralf Stegner als Favorit. Er ist allerdings unabweisbar ein Mann.

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