Fraktionschef aus Rheinland-Pfalz:Grüne sollen Merkel-Alleinregierung tolerieren

Koalitionsvertrag in Rheinland-Pfalz

Landes-Fraktionschef Daniel Köbler (Archivbild)

(Foto: picture alliance / dpa)

Ist das der Ausweg aus der Koalitions-Sackgasse? Schwarz-Rot und Schwarz-Grün gestalten sich schwierig. Der Fraktionschef der Grünen in Rheinland-Pfalz fordert nun, seine Partei solle eine CDU/CSU-Minderheitsregierung tolerieren. Eine kreative Variante, die Deutschland gut tun könnte, meinen Experten.

Von Michael König, Berlin

Die Berliner Republik hat sich verrannt: CDU und CSU bejubeln noch immer ihren Wahlerfolg. Erst allmählich dämmert ihnen, dass sie zugunsten einer Koalition mit SPD und Grünen Kompromisse eingehen müssten, etwa in Sachen Steuererhöhungen. Dass die SPD mitmacht, ist wiederum keinesfalls sicher. An der Basis gibt es Widerstand. Und auch bei den Grünen ist ein Bündnis mit Merkel umstritten.

Was nun? Einen kreativen Ausweg will Daniel Köbler gefunden haben, der Fraktionschef der Grünen in Rheinland-Pfalz. Er fordert seine Partei dazu auf, eine schwarze Minderheitsregierung zu tolerieren. "Dieses Angebot sollten wir Grüne der Kanzlerin machen", schreibt Köbler in einem Thesenpapier, das SZ.de vorliegt. Ähnlich hatte sich am Montag bereits Alexander Bonde geäußert, der grüne Verbraucherminister in Baden-Württemberg.

"Monatelange Verhandlungen oder Neuwahlen" seien "weder dienlich für das Ansehen der Bundesrepublik insgesamt, noch garantieren sie Sicherheit und Stabilität. Eine neue Mehrheit darf nicht erst an Weihnachten klar sein", schreibt Köbler. Sollte Merkel nicht bald einen Koalitionspartner finden, "muss sie sich ihrer staatspolitischen Verantwortung beugen und neue Wege einschlagen."

Bundestagswahl 2013

Wie würde eine Minderheitsregierung funktionieren? Der Union fehlen im Bundestag fünf Sitze zur absoluten Mehrheit. Merkel könnte trotzdem allein mit den Stimmen von CDU und CSU wieder zur Kanzlerin gewählt werden, im dritten Wahlgang reicht die einfache Mehrheit. Für Gesetzesvorhaben müsste sich die Regierung dann jeweils eine Mehrheit im Parlament suchen.

In skandinavischen Ländern gilt das Modell als etabliert, in Deutschland als Ausnahme. Minderheitsregierungen gab es auf Bundesebene nur drei Mal für wenige Wochen (1966, 1972, 1982) - und auch nur deshalb, weil andere Koalitionen zerbrochen waren. Auf Landesebene regierte zuletzt die SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen mit einer rot-grünen Minderheitsregierung. Ihre "Politik der Einladung" erreichte mit wechselnden Mehrheiten unter anderem einen "Schulkonsens", führte 2012 jedoch vorzeitig zu Neuwahlen.

Merkel steht dem Modell kritisch gegenüber, sie will eine "stabile Regierung" bilden. Für den Grünen Köbler besteht da kein Widerspruch: "Ein konstruktiver Bundestag und eine Mitarbeit der rot-grünen Mehrheit im Bundesrat" könnten "grundsätzliche Regeln" für die nötige Stabilität der Regierung bilden. In "staatspolitischen Fragen" habe es in der Vergangenheit ohnehin stets "konsensuale Entscheide" gegeben, schreibt Köbler:

"Außenpolitische Fragen - insbesondere die Europapolitik - wurden fast nie entlang der Grenzen von Opposition und Regierung diskutiert oder entschieden. Dies würde eine Minderheitsregierung sogar noch forcieren. Außenpolitisch ist also kein Stillstand sondern eine starke deutsche Stimme zu erwarten."

An seine eigene Partei und die SPD gerichtet fordert Köbler: "Mit einer konstruktiven Opposition und einem Bundesrat, der sich seiner Verantwortung bewusst ist, kann eine Minderheitsregierung gelingen."

Bei den Grünen, die sich am Samstag zur großen Personal-Neuaufstellung in Berlin treffen, vertreten Köbler und Bonde bislang eine Minderheitsmeinung. Der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer sagte auf Anfrage von SZ.de, er könne sich nicht vorstellen, "dass die Kanzlerin bei jeder Entscheidung auf europäischer Ebene erstmal fragen muss, wie die Opposition das sieht". Eine Minderheitsregierung passe nicht zu Deutschland.

Anhänger des Vorschlages finden sich vor allem in Interviews und Kommentarspalten wieder: Der Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer hält im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP eine Minderheitsregierung mit Blick auf das Ergebnis der Bundestagswahl für die beste Lösung: "Das wäre ein Beitrag zur Entwicklung der politischen Kultur in Deutschland."

Ähnliches ist im Spiegel zu lesen: "Es gäbe keine alternativlosen Entscheidungen mehr, die ex cathedra von der Regierungsbank aus dem Volk hingeworfen werden (...). Eine Minderheitsregierung Merkels könnte dem Parlament grandiose Redeschlachten und überraschende Allianzen bescheren." Zeit Online meint: "Auf diese Weise kämen die politischen Debatten wieder dahin, wo sie hingehören: ins Parlament, nicht in die Talkshows und Hinterzimmer." Und SZ-Kommentator Heribert Prantl schreibt: "Angela Merkel müsste sich dann ein wenig anstrengen, um für ihre Politik zu werben (...). Aber das kann man von einer großen Wahlsiegerin erwarten."

Merkel scheint das anders zu sehen, und ihr wichtigster Bündnispartner erst recht. Als CSU-Chef Horst Seehofer am Dienstag auf eine schwarze Alleinregierung angesprochen wurde, sagte er: "Wir sind hier doch nicht in Fantasialand."

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