Süddeutsche Zeitung

Fragestunden im Bundestag:Nervenkitzel für die Kanzlerin

SPD und Grüne wollen die langweiligen Fragestunden im Bundestag spannender machen. Nur wie? Der Blick geht nach London - wo Premierminister vor dem Parlament bisweilen "in Lebensgefahr schweben".

Von Robert Roßmann, Berlin

Tony Blair mag manche Schwäche haben, überbordende Selbstzweifel gehören sicher nicht dazu. Verglichen mit dem britischen Ex-Premier waren selbst Gerhard Schröder und Joschka Fischer zaghafte Männer. Auch in der Kunst des großen Auftritts muss sich Blair nicht vor den beiden Deutschen verstecken.

Umso erstaunlicher ist sein Eingeständnis. Noch heute laufe ihm jeden Mittwoch um 11.57 Uhr "ein Schauer über den Rücken", schreibt Blair in seiner Autobiografie. Zu dieser Zeit sei er immer zur Fragestunde im britischen Unterhaus abgeholt worden. Ein Gang "zum Schafott" sei das jedesmal gewesen.

Premierminister "in Lebensgefahr"

"Die Prime Minister's Questions waren ohne Zweifel die nervenaufreibendsten, peinlichsten, angespanntesten Momente in meiner Karriere als Regierungschef", gesteht der Brite ein. Während der direkten Befragung durch die Abgeordneten würden Premierminister "in Lebensgefahr schweben". Schließlich wüssten sie nie, was sie gefragt werden. Aus Angst vor Fehlern habe er in der Nacht vorher oft schlecht geschlafen.

Wer Prime Minister's Questions verfolgt hat, weiß, dass Blair so unrecht nicht hat. Die Opposition geht den Regierungschef dabei in einer Weise an, die im Bundestag unvorstellbar ist. Aber das soll sich nun ändern. SPD und Grüne wollen die langweiligen Berliner Fragestunden reformieren.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann schlägt als Vorbild ausgerechnet die Prime Minister's Questions vor. Die Kanzlerin würde solche Runden doch sicher glänzend bestehen, sagt Oppermann maliziös. Schließlich weiß er genau um die Risiken für Merkel.

An diesem Donnerstag treffen sich die parlamentarischen Geschäftsführer aller Fraktionen zum ersten Mal, um über die Belebung der Fragestunden zu beraten. Muss sich Angela Merkel also Sorgen machen, bald auch von Schlafproblemen gepeinigt zu werden?

Bisher kann die Kanzlerin die Fragestunden getrost ignorieren. Weder sie noch die Minister sind verpflichtet, an ihnen teilzunehmen. Außerdem müssen die Abgeordneten ihre Fragen bereits fünf Tage vorher einreichen, Überraschungen sind da ausgeschlossen. Am Mittwoch stand das Trauerspiel mal wieder auf der Tagesordnung des Bundestags. Auf der Regierungsbank saßen - wie fast immer - lediglich die Staatssekretäre. Die lasen dann fast zwei Stunden lang vorbereitete Antworten auf insgesamt 46 Abgeordneten-Fragen vor. Eine absurde Veranstaltung.

Selbst die Union, bisher der größte Bremser, ist inzwischen zu deutlichen Änderungen bereit. Die Minister könnten verpflichtet werden, die Fragen zu ihren Gebieten persönlich zu beantworten, sagt Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer. Außerdem könnte man die Frist für die Einreichung der Fragen deutlich verkürzen. Eine persönliche Befragung der Kanzlerin sei jedoch "indiskutabel". Das Ergebnis wäre doch nur eine "Politikshow".

Merkels Vize-Regierungssprecherin sagte am Mittwoch zwar, die Kanzlerin habe keine Angst vor deutschen Prime Minister's Questions. Aber so etwas lässt sich auch leicht erklären, wenn man weiß, dass die eigene Fraktion solche Befragungen Merkels in jedem Fall verhindern wird.

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SZ vom 25.09.2014/fued
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