Süddeutsche Zeitung

Fragestunde mit der Kanzlerin:Revolutiönchen à la Merkel

Die neue Regierungsbefragung der Kanzlerin im Bundestag startet sanft und bleibt ungefährlich. Die AfD stellt zwar ihre Frage aller Fragen. Ein Höllenritt, wie Tony Blair solche Auftritte nannte, wird es für Merkel aber nicht.

Von Stefan Braun, Berlin

Alle hoffen auf das Spektakel - und dann kommt Angela Merkel. Und zwar die Angela Merkel, die man als Kanzlerin schon so lange kennt. Wie sie da steht und über die Weltlage spricht, nüchtern, trocken, unaufgeregt. Merkel handelt und wirkt, wie sie das seit mehr als zwölf Jahren tut, wenn sie im Bundestag auftritt.

Was der Kanzlerin natürlich gefällt, weil sie nichts mehr hasst, als nicht über alles die Kontrolle zu haben. Dabei hilft ihr die Regie, abgesprochen mit den Fraktionen und mit dem Bundestagspräsidenten. Vereinbart ist, dass Merkel erst vorträgt. Und das bedeutet, dass das Neue beginnt, wie das Alte üblich ist - mit einer Kanzlerin, die über das G-7-Treffen redet, das am Wochenende in Kanada ansteht. Die Fragestunde beginnt nicht mit einer Frage, sondern mit einer Antwort.

Dass was anders ist an diesem Tag, sieht man zunächst auch nicht an den anderen. Es ist Merkel, an der es sofort offenbar wird. Sie geht nicht zum Rednerpult, sondern zieht an ihrem normalen Platz das Mikrofon hoch - ein Novum. Es irritiert ein bisschen, aber nur am Anfang.

Außerdem hat sich Merkel an diesem Tag nicht für eine dezente Jackett-Farbe entschieden. Sie hat Signalrot angelegt - was unweigerlich an Jürgen Klinsmann erinnert. Der Ex-Cheftrainer der Fußballnationalmannschaft hatte seinen Kickern einst ein rotes Trikot verordnet. Es sollte Entschlossenheit, Kampfeslust, ein bisschen Aggressivität signalisieren. Gut möglich, dass Merkel heute dasselbe im Sinn hat.

Die große Premiere, diese von der Opposition so sehnlichst erträumte Revolution der Fragestunde, beginnt also mit einem Revolutiönchen, einem Revolutiönchen à la Merkel.

Und dann kommen die Fragen. Am Ende werden es 30 sein, dazu 30 Antworten, macht bei einer Minute pro Auftritt eine Stunde im Ganzen. Wer die deutsche Gründlichkeit kennt, ahnt früh, dass Schäuble nach exakt 60 Minuten diese erste Merkel-Befragung beendet.

30 Mal versuchen Abgeordnete, die Kanzlerin aus der Ruhe zu bringen. 30 Mal sagt Schäuble nach Merkels Antworten "danke schööön", um zur nächsten Frage überzuleiten. Und was passiert, als alles vorbei ist? Als andere noch weitermachen möchten? In diesem Augenblick wischt sich Merkel nicht den Schweiß ab, sondern lächelt. Und sagt dazu, was für ihre Gegner kaum unangenehmer sein könnte: "So schade wie es ist - es ist jetzt zu Ende. Aber ich komme ja wieder."

Merkel nimmt den Fragenden den Wind aus den Segeln

Eines scheint sicher: Diese Stunde ist nicht die Stunde der Opposition geworden. Und es dürfte in den nächsten Tagen in den Fraktionen von Grünen und AfD, von Linken und FDP manche Debatte darüber geben. Denn wo sich Grüne und Linke und AfD erfolgreiche Momente erhofften, gelang es Merkel, ihnen immer wieder den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Da fragt ein AfD-Mann, warum sie nicht endlich wie Frankreichs Emmanuel Macron mehr mit Russlands Wladimir Putin spreche - und Merkel erinnert ihn daran, dass sie sich erst vor wenigen Tagen in Sotschi mit Putin über alle Probleme ausführlich ausgetauscht habe.

Da fragt eine Linken-Abgeordnete, was sie gegen die explodierenden Wohnungspreise unternehmen wolle - und die Kanzlerin antwortet, dass ihre Regierung das Thema gerade wegen der Dimension des Problems in den Mittelpunkt ihrer Politik gestellt habe. 1,5 Millionen neue Wohnungen habe sich die Koalition zum Ziel gesetzt - das sei sehr ambitioniert, aber als Ziel vollkommen richtig.

Und da fragt ein liberaler Parlamentarier nach dem Schreckensbericht, den Ex-Bamf-Chef Frank-Jürgen Weise ihr schon Anfang 2017 über die Lage beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gegeben habe - und Merkel antwortet, dass Weise sein Amt überhaupt nur übernommen habe, weil die Regierung die Probleme beim Bamf unbedingt angehen wollte. Immer wieder habe sie mit Weise über die Probleme geredet; gerade dafür sei er ja geholt worden.

Was man spätestens jetzt merkt: Nicht selten haben sich die Abgeordneten viel vorgenommen - und sind mit wenig nach Hause gegangen. Was viel mit den Regularien zu tun hat, die Nachfragen bis auf Weiteres nicht zulassen. Aber die Probleme, die für die Opposition an diesem Tag offenbar werden, hängen auch damit zusammen, dass die Fraktionen untereinander nicht bereit waren, sich abzustimmen.

Nach jeder Frage wechselt nicht nur der Fragesteller, sondern auch die politische Farbe - gut möglich, dass mindestens die vier Oppositionsparteien an der Stelle noch für weitere Änderungen im zukünftigen Ablaufplan kämpfen werden. Und so werden am Ende zwei, drei Momente in Erinnerung bleiben, in denen sich womöglich die ganze Legislaturperiode spiegelt.

Es ist der besonders aggressive Gottfried Curio von der AfD, der die Frage aller Fragen stellt, jedenfalls aus Sicht der besonders rechten Rechtspopulisten. Curio kennt bei allen Auftritten im Parlament nur ein Thema, nämlich die Flüchtlingskrise. Er belegt sie mit Worten wie Migrantenflut, schwerstem Schaden für Deutschland, Hunderten Milliarden Kosten. Und dann fragt er die Kanzlerin: "Wann treten Sie zurück?"

Curios Attacke ist in wenigen Worten gebündelt das Programm und das Ziel der AfD, seit die Partei im vergangenen Jahr in den Wahlkampf gezogen ist. Es ist der Angriff schlechthin, und dass er Merkel weh tut, lässt sich in ihrem in diesem Moment angespannten Gesicht ablesen. Trotzdem bleibt sie beherrscht und bei ihrer Erzählung.

Wütende Energie vs. demonstrative Selbstkontrolle

Sie erinnert an die außergewöhnliche Lage 2015 und verweist darauf, dass der europäische Gerichtshof alles für rechtens erklärt hat. Sie bleibt ruhig und nüchtern. Auf Curios wütende Energie antwortet sie mit demonstrativer Selbstkontrolle. Könnte sein, dass das ihr Programm ist für das Duell mit der AfD in dieser Legislaturperiode.

So schwer das für sie gewesen sein dürfte, so deutlich zeigt sie an anderer Stelle, dass sie kleinere Angriffe auch mal mit Humor parieren möchte. Als die Grünen-Abgeordnete Katja Dörner die Kanzlerin daran erinnert, dass so wenige Frauen in ihrer Fraktion sind, erklärt die Kanzlerin: "Ich bedaure es, dass der Anteil der Frauen so gering ist, und ich bin sicher, die Männer bedauern es auch." Der Rest ist Gelächter.

Plastiksteuer, Europäischer Währungsfonds, Leiharbeiter, Trump - in der Stunde ist vieles angetippt und wenig konkret geworden. Wie sagte es Marco Buschmann, der FDP-Fraktionsgeschäftsführer, im Vorfeld: "Die Spielregeln sind nicht so, dass man sich um Frau Merkel Sorgen machen müsste." Er hat mit seiner Ahnung Recht behalten.

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