Großbritannien:Johnsons Kehrtwende beim Fracking

Großbritannien: Treffpunkt Trafalgar Square: Briten demonstrieren in London gegen den Klimawandel.

Treffpunkt Trafalgar Square: Briten demonstrieren in London gegen den Klimawandel.

(Foto: AP)
  • Der britische Premierminister Johnson hat Fracking im Vereinigten Königreich mit sofortiger Wirkung aussetzen lassen.
  • Als Bürgermeister von London kam Johnson aus dem Schwärmen für die Technologie nicht heraus.
  • Umweltschützer fürchten durch Fracking eine Verunreinigung des Trinkwassers.

Von Alexander Mühlauer, London

Als Boris Johnson noch Bürgermeister von London war, kam er gar nicht mehr aus dem Schwärmen heraus. Fracking sei eine "glorreiche Neuigkeit für die Menschheit", schrieb er einst in seiner Telegraph-Kolumne. Diese günstige Form der Energiegewinnung sei "wie durch ein Wunder" über Großbritannien gekommen, endlich scheine es eine "Antwort auf die Gebete der Nation" zu geben. Mittlerweile ist Johnson Premierminister und will davon nichts mehr wissen. Am Wochenende vollzog er eine abrupte Kehrtwende: Johnson ließ bis auf Weiteres ein Fracking-Verbot verhängen. Und zwar mit sofortiger Wirkung.

Der offizielle Grund für den Sinneswandel ist die Sorge vor Erdbeben. In der Umgebung der einzig aktiven Fracking-Station zur Förderung von Schiefergas hatte es im August Erschütterungen gegeben. Daraufhin wurde der Betrieb in der Grafschaft Lancashire im Nordwesten Englands ausgesetzt. Nun wurde das umstrittene Fracking von der Regierung in London gänzlich gestoppt. Ein Bericht der zuständigen Kontrollbehörde zeige deutlich, "dass wir weitere inakzeptable Auswirkungen für die örtliche Bevölkerung nicht ausschließen können", sagte Wirtschaftsministerin Andrea Leadsom am Wochenende. Das Fracking-Moratorium gelte so lange, "bis überzeugende neue Beweise" für die Umweltverträglichkeit der Technik vorgelegt würden. Leadsom zeigte sich bei einem Interview mit der BBC enttäuscht, "aber wir haben klar gemacht, dass wir uns nach der Wissenschaft richten".

Der Wahlkampf für die Unterhauswahl im Dezember ist voll entbrannt

Johnsons politische Gegner glauben daran jedoch nur bedingt. Labour-Chef Jeremy Corbyn etwa hält die Fracking-Kehrtwende der Tories vor allem für ein Wahlkampf-Manöver. Es sei der Versuch, ein paar Stimmen zu gewinnen, schrieb Corbyn auf Twitter. Anders als Johnsons Konservative Partei würde Labour Fracking nicht nur für eine bestimmte Zeit aussetzen, sondern für immer verbieten. Fest steht jedenfalls, dass Johnson nicht nur Corbyn damit eines durchaus starken Wahlkampfthemas beraubt hat. Denn neben dem alles überschattenden Brexit zählen vor allem auch Umweltfragen zu den Dingen, die Großbritannien umtreiben.

Die Briten wählen am 12. Dezember ein neues Parlament. Der Wahlkampf ist bereits voll entbrannt. Die Oppositionsparteien versuchen, Johnson mit Nicht-Brexit-Themen unter Druck zu setzen. Da wären etwa die Spaltung des Landes in Arm und Reich, das marode Gesundheitssystem und eben das Klima. Vor Kurzem hatten die Proteste der Umweltschutzgruppe Extinction Rebellion die britische Hauptstadt an vielen Ecken lahmgelegt. Die Demonstranten stellten auf den Straßen Zelte auf und blieben dort für einige Tage.

Umweltschützer feiern den Stopp

Fracking steht bei Umweltschützern seit jeher in der Kritik. Dabei wird ein flüssiges Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien in den Boden gepresst. Dadurch entstehen Risse im Gestein, durch die Gas oder Öl per Leitungen an die Oberfläche gelangen kann. Umweltschützer warnen wegen des Einsatzes von Chemikalien vor einer Verunreinigung des Trinkwassers.

In Großbritannien wurde Fracking erst vor einem Jahr nach jahrelanger Pause wieder aufgenommen. Der nun verhängte Stopp wurde von Umweltschützern entsprechend gefeiert. "Dieser Sieg ist einer der größten, den die Klimabewegung je gesehen hat", teilte die Klimaschutzorganisation 350.org mit. Auch Greenpeace begrüßte die Entscheidung der Regierung und forderte, den Ausbau erneuerbarer Energie aus Wind und Sonne zu beschleunigen. Einer der Vorsitzenden der Grünen, Jonathan Bartley, bezeichnete den Schritt der Regierung als "sehr, sehr willkommen". Seine Partei werde sich allerdings - wie auch Labour - für ein immerwährendes Fracking-Verbot einsetzen.

Zwei Drittel der Bürger im Fracking-Gebiet gegen die Technologie

Ein dauerhaftes Aus der umstrittenen Gasfördermethode lehnen die Tories weiter ab. Wirtschaftsministerin Leadsom betonte, dass Schiefergas ein großes Potenzial habe, "um eine Brücke in eine emissionslose Zukunft" zu bauen. Fracking biete, wenn es denn sicher sei, "eine großartige Möglichkeit für das Vereinigte Königreich", sagte die Ministerin. Ziel der Regierung ist es, Großbritannien bis 2050 klimaneutral zu machen, also in einen Zustand zu bringen, in dem neue Produkte und Dienstleistungen den Anteil von Treibhausgasen in der Atmosphäre nicht mehr erhöhen. Um das zu erreichen, hätte Fracking nach Ansicht der Tories einen Beitrag dazu leisten sollen.

Schotten-Protest

Tausende Schotten haben in Glasgow für eine Unabhängigkeit von Großbritannien demonstriert. An dem Marsch beteiligten sich am Samstag nach Angaben der Veranstalter etwa 20 000 Menschen, viele schwenkten schottische Fahnen. Erstmals seit fünf Jahren trat Regierungschefin Nicola Sturgeon bei einer solchen Kundgebung auf. Sie warnte, ein Sieg der konservativen Tories des britischen Premierministers Boris Johnson bei der Parlamentswahl am 12. Dezember bedeute, dass "Schottland gegen seinen Willen aus der europäischen Staatenfamilie gerissen wird". Sturgeon rief deshalb: "Die viel bessere Alternative ist, die Zukunft in unsere eigenen Hände zu nehmen und ein unabhängiges Land zu werden." Noch vor Weihnachten will sie in London ein neues Unabhängigkeitsreferendum beantragen. dpa

Doch ausgerechnet im Nordwesten Englands, wo das Schiefergas gefördert wurde, haben sich kürzlich zwei Drittel der Bürger in einer Umfrage gegen Fracking ausgesprochen. Die Erderschütterung im Sommer hat offenbar die Sorge vor weiteren Beben verstärkt. Das hat wohl auch in Downing Street zu einem Umdenken geführt - schließlich wollen Johnsons Tories einige der dortigen Wahlkreise am 12. Dezember für sich gewinnen.

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