Österreich:So bräunlich war die Frühzeit der FPÖ

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Willfried Gredler, der Chef des freiheitlichen Parlamentsklubs von 1956 bis 1963, war vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges Mitglied in der SA und der NSDAP. Gredler distanzierte sich als Politiker zwar von der Hitler-Diktatur und galt als gemäßigt, doch er äußerte sich auch antisemitisch und trug das radikal rechte FPÖ-Programm voll mit. (Foto: picture-alliance / IMAGNO/Barbar)
  • Die Wiener Historikerin Margit Reiter durchleuchtet in einem Buch die Frühzeit der Freiheitlichen Partei Österreichs, die ziemlich braun war.
  • Der Ideologiehaushalt der FPÖ-Gründungsgeneration ist demnach heute zwar nicht mehr zentral - aber "jederzeit abrufbar".
  • Die Autorin attestiert der Partei eine "Hartnäckigkeit antisemitischer Denkstrukturen und deren Wirksamkeit über Generationen hinweg".

Rezension von Oliver Das Gupta

Die rechte Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) lässt seit Februar 2018 eine Historikerkommission die eigene Geschichte aufarbeiten, auch die der Vorläufergruppierungen des "Dritten Lagers". Den Anlass gab die Affäre um ein Liederbuch mit antisemitischen Passagen, das eine niederösterreichische Burschenschaft mit enger personeller Verbindung zur FPÖ herausgegeben hatte.

Bislang gibt es nur eine dürre Zusammenfassung des Rohberichts der Kommission, in der ohnehin einige nah bei der FPÖ verortete Wissenschaftler sitzen. Inzwischen hat die Parteiführung erklärt, in den kommenden Tagen den vollständigen Report zu veröffentlichen. Schon zuvor ist ein Fachbuch einer Wiener Historikerin erschienen, in dem sie die Arbeit der FPÖ-Historikerkommission zu einem guten Teil erledigt hat.

Auf mehr als 300 Seiten dokumentiert Margit Reiter die frühe Geschichte der FPÖ und des in ihr aufgegangenen Verbands der Unabhängigen (VdU). Fundiert zeichnet Reiter den Weg des "Dritten Lagers" und seiner führenden Köpfe in den ersten Nachkriegsjahrzehnten nach. Personell und ideologisch gab es demnach starke und gewollte Kontinuitäten zwischen Hitlers NSDAP und der FPÖ. Die Partei diente als Sammelbecken für Altnazis.

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Die Lieder aus dem Burschenschafter-Milieu triefen vor Antisemitismus und Nazi-Verherrlichung. In den Fall verstrickt: Ein FPÖ-Abgeordneter, der früher schon behauptete, in der Hitler-Diktatur habe es auch "gute Seiten" gegeben.

Von Oliver Das Gupta, Salzburg

Obwohl die FPÖ der Wissenschaftlerin den Zugang zu ihrem Archiv verweigerte, birgt das Buch viel Neues. Reiter tat bislang unbeachtete Quellen auf, etwa den Nachlass von Anton Reinthaller, des ersten FPÖ-Chefs. Reinthaller und auch sein Nachfolger, der ehemalige SS-Mann Friedrich Peter, stehen beispielhaft für das Personal der FPÖ in den ersten Jahrzehnten.

Diese Männer hatten in der NS-Diktatur Karriere gemacht, etwa als Gauredner, Bauernführer, Professoren. Sie hatten finanziell und gesellschaftlich profitiert, der Mai 1945 bedeutete für viele politisch wie persönlich eine Niederlage.

Die "Hartnäckigkeit antisemitischer Denkstrukturen" wirkt über Generationen

Reiter zeigt ausführlich, wie sich ein harter Kern der NS-Belasteten in einem US-Gefangenenlager bei Salzburg fand und entsprechende Legenden strickte: Die vergleichsweise komfortablen Zustände in dem Lager, wo es Bildungs- und Kulturprogramme gab und Besuch gestattet war, wurden gleichgesetzt mit den Konzentrationslagern der Nazis.

Angesichts der Nachteile und Strafen, die die Siegermächte über NSDAP-Mitglieder verhängt hatten, sprach VdU-Gründer Herbert Kraus davon, dass die "Schuld der Nationalsozialisten dadurch reichlich aufgewogen" sei.

Kraus' Vita, der sich zum verkappten NS-Gegner stilisierte, zerpflückt Reiter: Kraus hatte als Journalist Karriere im NS-Staat gemacht, ohne Parteimitglied zu sein. Für den Militärgeheimdienst "Abwehr" war er an der Ausbildung zur Partisanenbekämpfung beteiligt, der in den besetzten Ostgebieten Zigtausende unbeteiligte Zivilisten zum Opfer fielen.

Margit Reiter: Die Ehemaligen. Der Nationalsozialismus und die Anfänge der FPÖ. Wallstein-Verlag, Göttingen 2019. 392 Seiten, 28 Euro. E-Book: 21,99 Euro. (Foto: N/A)

Nach dem Krieg gab sich Kraus als Liberaler, was er allenfalls ökonomisch war. Er träumte von einer Monarchie und betrieb eine perfide Schuldnivellierung: "Ob Jude oder Mitläufer Hitlers, ob KZ-ler oder Flüchtling", so Kraus, "wir müssen uns versöhnen."

Die angebliche Ungerechtigkeit der Entnazifizierung war das Hauptthema des VdU und blieb es auch dann noch, als durch Amnestien selbst schlimmste NS-Verbrecher freigelassen worden waren.

Dieser Opfer-Mythos samt Täter-Opfer-Umkehr zieht sich als roter Faden durch die Geschichte des "Dritten Lagers" bis in die Gegenwart. So bezeichnete der langjährige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache 2012 die eng mit der Partei verwobenen deutschnationalen Burschenschaften als "neue Juden".

Eine geradezu konstitutive Komponente der FPÖ-Frühgeschichte stellt der Antisemitismus dar, was Reiter mit mehreren Beispielen belegt. Die Rede war von "jüdischen Gaunern" und von der "Verjudung Amerikas", auch die Chiffren wie "Dekadenz" und "Brunnenvergiftung" wurden gerne verwendet.

"Weder Juden noch KZler" seien in seinem Herrenverein, versicherte die FPÖ-Spitzenkraft

Beispielhaft ist auch das Gebaren von Willfried Gredler, dem ersten Fraktionschef des FPÖ-Parlamentsklubs. Obwohl er vor 1945 NSDAP-Mitglied und in der SA war, galt er als gemäßigter Blauer.

Er wurde misstrauisch beäugt von manchen besonders stramm rechten Männern in der Partei, denn Gredler war vor Kriegsende angeblich ein bisschen im Widerstand und grenzte sich später als Politiker vom Hitler'schen Nationalsozialismus ab. "Andererseits trug er die FPÖ-Linie voll", schreibt Reiter. Gredler argumentierte demnach "selbst oft antisemitisch".

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Als er aus dem eigenen "Dritten Lager" wegen der Mitgliedschaft in einem Herrenverein kritisiert wurde, versicherte er, dort gebe es "weder Juden noch KZler". Zur Herkunft eines Freundes formulierte Gredler in NS-Vokabular, dieser sei "nicht Halb- sondern höchstens Vierteljude". Solche Argumentationen scheinen entscheidende Kameraden beruhigt zu haben, denn Gredler stand den FPÖ-Abgeordneten im Parlament bis 1963 vor.

Gredler übernahm auch das typische antisemitische Narrativ, wonach Juden angeblich selbst daran Schuld trügen, dass man sie hasse. Mit Blick auf die (in Österreich lange unerhört gebliebenen) Entschädigungsforderungen und Proteste von Holocaust-Überlebenden befand Gredler, die "Judenschaft" (O-Ton Gredler) sei auch verantwortlich für wachsenden Antisemitismus. Gleichtzeitig beteuerte er: "Wir wollen ja keine rassische Diskriminierung".

Ein anderer FPÖ-Funktionär schmähte den aus dem Exil zurückgekehrten Journalisten Hans Habe in einem Brief als einen "jüdischen Halunken erster Güte".

Empfänger des Briefes war Parteichef Reinthaller, der vor dem Krieg eine braune Spitzenkraft war: Nazi-Minister nach dem "Anschluss" Österreichs, Unterstaatssekretär in der Reichsregierung, hochdekorierter Parteigenosse. Reinthaller verortete sich in einem Brief wenige Wochen nach der Gründung der FPÖ 1956 ideologisch als "Nationalsozialist".

In der jüngeren Vergangenheit wurden Antisemitismus, Rassismus und Neonazismus aus den Reihen der FPÖ gerne als "Einzelfall" abgetan. Bleibt man bei dieser Formulierung, muss man nach der Lektüre von Reiters Buch feststellen, dass die Geschichte der Freiheitlichen eine Abfolge solcher "Einzelfälle" ist. Spätere Versuche, die FPÖ politisch mittiger zu verankern, scheiterten spätestens mit der putschartigen Parteiübernahme Jörg Haiders 1986.

Reiters Buch ist ein beachtlicher Wurf, für die FPÖ dürfte es ziemlich unangenehm sein, aber nicht nur für sie.

Denn Reiter beschreibt auch den schon bald nach Ende des Zweiten Weltkriegs erodierenden Antifaschismus bei SPÖ und ÖVP. Die Großparteien warben schon bald offensiv um die Stimmen von Hunderttausenden ehemaligen NSDAP-Mitgliedern - und später auch um die FPÖ.

Der "Ideologiehaushalt" der Parteigründungsgeneration ist "jederzeit abrufbar"

Die Historikerin attestiert der heutigen FPÖ eine "Hartnäckigkeit antisemitischer Denkstrukturen und deren Wirksamkeit über Generationen hinweg". Der "Ideologiehaushalt" der Parteigründungsgeneration sei in der FPÖ zwar nicht mehr zentral, aber latent vorhanden und "jederzeit abrufbar".

Der wegen der Liedbuchaffäre zurückgetretene FPÖ-Kader ist inzwischen wieder in mächtige Funktionen zurückgekehrt.

Anders agierte die Parteispitze, als Ende Oktober 2019 ein weiteres Liederbuch publik wurde, wo davon die Rede ist, dass "Rothschild" das "größte Schwein" sei, von Hakenkreuzen auf Genitalien, und davon, dass jemand "Judenmädchen fickte".

Für den steirischen FPÖ-Funktionär, dessen Männerbund die Liedgutsammlung gewidmet war und der selbst ein Exemplar besitzt, gab es keinerlei Konsequenzen. Stattdessen beklagten die Parteioberen in bewährter Parteitradition die FPÖ zum Opfer einer "Schmutzkübelkampagne".

Aktualisierte Version des Textes, der zuerst in der SZ vom 28. Oktober 2019 erschienen ist.

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