Foto- und Videoprojekt terra arMEnia:Armenien jenseits des Völkermords

Foto- und Videoprojekt terra arMEnia: Skyline der armenischen Hauptstadt Eriwan, im Hintergrund ist der Berg Ararat zu sehen. Foto aus der Ausstellung 'terra arMEnia'

Skyline der armenischen Hauptstadt Eriwan, im Hintergrund ist der Berg Ararat zu sehen. Foto aus der Ausstellung 'terra arMEnia'

(Foto: Erol Gurian Photography)

Die Sehnsucht nach dem unbekannten, gelobten Land der Ahnen - sie eint die Diaspora-Armenier rund um den Globus. Halten ihre Idealbilder der Realität stand? Fotograf Erol Gurian hat sich auf Spurensuche gemacht.

Von Dorothea Grass

Der Name verrät es schon: Gurian. Mit -ian hören die meisten armenischen Familiennamen auf. Erol Gurian ist in München geboren und aufgewachsen, viel herumgekommen und lebt bis heute als Fotojournalist in München. Wenn er, Kind eines armenischen Vaters und einer ungarischen Mutter, seine eigene Nationalität beschreiben soll, sagt er: "Ich fühl mich am ehesten als Münchner."

Als er geboren wurde, bekam Erol Gurian einen türkischen Pass - wie der Vater, dessen Familie seit drei Generationen in Istanbul ansässig war und dort zu einer armenischen Minderheit gehörte. Die eigenen Wurzeln waren für die Familie immer wichtig - egal, wie lange sie ihr Ursprungsland nicht mehr gesehen hatten.

Erol Gurians Vater hat Armenien, das Land seiner Urgroßväter, nie besucht, trotzdem trug er das Gefühl seines entwurzelten Volkes mit sich. "Wenn ich ihn danach gefragt habe, warum er nie in Armenien war, sagte er immer den Satz 'Das würde mich nur traurig machen.'" Als Kind habe er das nie kapiert. Inzwischen aber verstehe er, was der Vater gemeint haben könnte.

Das Gefühl eines entwurzelten Volkes

Heute ist Erol Gurian 50 Jahre alt und tut das, was seiner Meinung nach für sein Alter nichts Außergewöhnliches ist: sich mit der eigenen Identität auseinandersetzen. Und zwar auf seine eigene Weise - mit dem Fotoapparat in der Hand, auf der Suche nach Menschen und ihren Geschichten. So entstand das Fotoprojekt "terra arMEnia", das momentan im Münchner Gasteig zu sehen ist.

Es geht dabei um die so genannten Diaspora-Armenier. Hätte es die Vertreibungen - die auch schon vor dem Genozid vor 100 Jahren begannen -, die mehrmals veränderten territorialen Grenzen und auch den Völkermord nicht gegeben, gäbe es auch die Diaspora-Armenier nicht. Sie flohen in alle Ecken der Welt. Leben dort nun schon seit Generationen.

Gurian selbst hat Verwandte in Frankreich und in den USA. Als er noch ein Kind war, kam die Großfamilie oft an Weihnachten zusammen, von überall her. Keiner sprach richtig armenisch, aber wenn es Essen gab, wurde "Ramezek" gerufen - und alle, die Cousinen aus Italien und Deutschland genau so wie die Tante aus der Türkei, verstanden die Botschaft: "Zu Tisch!".

Bei diesen Treffen umgab die Familie das Gefühl, zu einem besonderen Volk zu gehören. Einem, mit einer großen Vergangenheit, großen Ideen, wertvollen Kulturschätzen. Über die große Katastrophe, den "Aghet", wurde dagegen nie gesprochen. Erol Gurian erinnert sich, dass Franz Werfels Buch "Die 40 Tage des Musa Dagh", eines der wenigen litarischen Werke über den Völkermord an den Armeniern, immer im Regal stand. Als stummes Mahnmal.

Armenien - das gelobte Land. Jeder Diaspora-Armenier hat seine eigene Vorstellung davon, doch alle verbindet eine eigenartige Sehnsucht nach einem Land, das nur noch in ihrer Erinnerung so existiert, wie sie es kennen. Eine vergangenes Idyll.

Erol Gurian

Erol Gurian

(Foto: Erol Gurian Photography)

Genau an diesem Punkt setzte der Fotojournalist an. Mehr als zwei Jahre lang besuchte er 37 Menschen mit armenischen Wurzeln, die in Paris, Beirut, Los Angeles, Köln oder München leben. Allen stellte er die gleiche Frage: Welcher Ort in Armenien bedeutet Dir am meisten? Mit den Bildern der Menschen und ihren Bilder der Heimat im Kopf flog Gurian im Anschluss in die Kaukasusrepublik, die heute allerdings nur einen Bruchteil der einstigen armenischen Siedlungsgebiete umfasst.

Dort machte er sich auf die Suche nach den Orten, die ihm die Diaspora-Armenier genannt hatten. Er fuhr an den Sevan-See, zu einem Kloster am Berg Aragats, zu einer Kirche nach Etschmiadzin, zum Yerablour-Friedhof. Er machte Fotos von der lebendigen Nachtkulisse auf dem Platz der Republik und vom Innenhof der blauen Moschee in Eriwan. Und immer wieder auch vom großen Berg, dem Ararat, wo dem Mythos nach Noahs Arche gestrandet sein soll und der heute auf türkischem Territorium liegt.

Expats, die nach Armenien siedeln

In Armenien traf Gurian auch eine sonderbare Truppe von Einwanderern. Diaspora-Armenier, die nach Armenien gezogen sind - einem Land, das sie vorher nur aus Erinnerungen oder Überlieferungen kannten. Zum Beispiel ein älteres Ehepaar aus Los Angeles, das den USA den Rücken gekehrt hat, um im Umland der Hauptstadt Eriwan ein Ökohotel zu errichten, das mittlerweile gut besucht ist.

Oder einen Winzer, der früher in den USA und in Italien zu Hause war und nun Weinreben auf den sonnenverbrannten kaukasischen Berghängen bewässert und erstklassigen Wein herstellt. Sogar einen Verein gibt es dort, in dem sich die "Expats" zusammengetan haben, um sich darüber auszutauschen, wie es ist, nach unendlich langer Zeit in ein fremdes, armes Land zurückzukehren, das eigentlich die Heimat sein soll. Wo die Menschen herzlich sind, aber irgendwie doch von einem ganz anderen Schlag.

Diese Bilder, die Menschen und ihre Geschichten, sind nun in einer Ausstellung im Münchner Gasteig zu sehen. Erol Gurian selbst hat viele positive Reaktionen von anderen armenischstämmigen Menschen bekommen. Was ihn am meisten freut, ist, wenn sie ihm sagen, dass sie es schön finden, dass endlich jemand mal ihr Ursprungsland jenseits von Völkermord und Studiosus-Reiseprospekten zeigt. Diese Lücke ein wenig zu füllen, ist ihm wichtig.

Bewusst hat Erol Gurian in seinem Projekt, dass er "terra ArMEnia" genannt hat, das Thema Völkermord ausgeklammert. "Ich gehöre zu denen, die sagen: 'Es muss weitergehen! Lasst uns nicht immer zurückschauen und die alten Feindbilder schüren." Für ihn sei die Reise zu seinen eigenen Wurzeln vor allem von einer Erkenntnis geprägt: "Je mehr ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, umso klarer ist mir geworden, wie wenig ich eigentlich weiß."

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