"Foreign Fighters" des IS:Brutkasten für eine neue Terror-Generation

A man fires a RPG in this still image taken from an undated recruitment video for the Islamic State in Iraq and the Levant (ISIL)

Dschihadisten-Propaganda: Standbild aus einem im Internet veröffentlichten Video, mit dem der IS versucht, Kämpfer zu rekrutieren.

(Foto: Reuters)

Der Dschihad-Tourismus boomt. Mehr als 15 000 Freiwillige aus dem Ausland kämpfen für die Terrorgruppe IS. Vor allem die Amerikaner fürchten die "Foreign Fighters" - weil die mit Touristenvisa in die USA einreisen könnten.

Von Tomas Avenarius und Reymer Klüver

Zweifellos ist es mit Bedeutung aufgeladen, wenn Amerikas Präsident die Leitung des UN-Sicherheitsrats persönlich übernimmt. In mehr als sechs Jahrzehnten war das nur einmal der Fall. 2009 hatte sich Barack Obama zum ersten Mal auf den grauen Stuhl des Präsidenten des Sicherheitsrats gesetzt, damals ein Zeichen der neuen Bedeutung, die internationale Zusammenarbeit in Amerikas Außenpolitik spielen sollte.

Am Mittwoch nun kam Obama erneut in den Norwegischen Saal, wo der Mächte-Rat im New Yorker UN-Hauptquartier tagt. So wollte er demonstrieren, wie wichtig der Weltmacht die Verabschiedung der von ihr eingebrachten Resolution gegen die Foreign Fighters ist, gegen die internationalen Unterstützer der Dschihadisten, die es in den vermeintlich heiligen Krieg vor allem nach Syrien und in den Irak zieht.

Westliche Dschihadisten - ein Propagandamittel

Über deren Zahl gibt es nur Schätzungen auf einer nach oben offenen Unsicherheitsskala. Die seriösesten Zahlen hat im Sommer wohl das Soufan Institute vorgelegt. Die New Yorker Politik-Beratungsfirma schätzte damals, dass seit Beginn des Konflikts vor drei Jahren mehr als 12 000 Ausländer aus 81 Ländern nach Syrien gekommen sein dürften.

Ein Viertel von ihnen stammt der Studie zufolge aus dem Westen: sehr viele aus Frankreich (mehr als 700) und Großbritannien (400), aber auch aus Deutschland (270), Australien (250), Kanada (30) oder den USA selbst (mehr als 70). Aus Russland kommen mehr als 800 Kämpfer. Die meisten der Foreign Fighters indes sind Glaubensbrüder aus dem arabischen Raum.

Die Zahlen dürften sich seither deutlich erhöht haben. Präsident Obama sprach vor dem Sicherheitsrat von mehr als 15 000 ausländischen Terroristen. Der deutsche Verfassungsschutz taxiert die Zahl der Terrormigranten aus Deutschland inzwischen auf "weit" mehr als 450. Die meisten zog es zur IS-Miliz.

Neben dem Kalifen Ibrahim dürfte ein Foreign Fighter der bekannteste Mann des "Islamischen Staats" sein: Dschihadi-John. Der junge Brite hat zwei US-Journalisten und einen britischen Nothelfer vor der Kamera enthauptet und so das Image des Kalifat-Staats als Barbarenhorde mitmodelliert.

Militärisch sind die Westler indes weniger wichtig: Die Kampferfahrungen von Figuren wie dem deutschen Rapper Denis Cuspert alias "Deso Dogg" dürfte über Prügeleien mit Club- Türstehern und Messerstechereien unter Kleinkriminellen kaum hinausreichen. So bewachen - und ermorden - Terror-Touristen wie Dschihadi-John meist Gefangene, andere sterben als Kanonenfutter oder Selbstmordbomber wie der 21-jährige Deutsche, der sich vermutlich im Juli in Bagdad in die Luft sprengte und 54 Menschen in den Tod riss.

Ihre über die sozialen Netzwerke mit großen Aufwand bekannt gemachte Anwesenheit im Kalifat erweckt aber in jedem Fall den Eindruck, der IS sei eine irgendwie attraktive politisch-religiöse Kraft selbst in nicht-islamischen Teilen der Welt. Und darauf kommt es dem "Islamischen Staat" an.

Woher die Mehrzahl der IS-Kämpfer kommt

Als Kämpfer stützt sich der Kalif neben den sunnitischen Einheimischen aus dem Irak und Syrien auf ganz andere: Bei den "Gotteskriegern" aus den arabischen und islamischen Staaten sind die Zahlen weit höher als bei den Westlern. Die größte Gruppe ausländischer Mudschaheddin stellen angeblich die Tunesier mit mindestens 3000 Kämpfern. Dazu 2500 Saudis, 2000 Jordanier, 1500 Marokkaner und jeweils Hunderte Libanesen, Ägypter, Libyer, Türken.

Auch diese Zahlen dürften deutlich zu niedrig sein: Dschihad-Aspiranten werden wegen der Geheimdienstüberwachung der Islamistenszene in ihren Heimatländern kaum noch direkt an die türkisch-syrische Grenze reisen, sondern Umwege nehmen. In der Türkei waren allein 2013 rund 1100 ausländische Dschihadisten festgenommen worden. In Ländern wie Libyen, wo fast schon Bürgerkrieg herrscht, erhebt ohnehin keiner Zahlen: Der Staat ist lahmgelegt. Bescheid wissen über die internationale Kämpferszene dort dürften am ehesten die Dschihadisten-Milizen, die in Teilen Libyens regieren.

Sehr wichtig für den IS sind auch die Kämpfer aus weiter nördlich oder östlich gelegenen Muslim-Staaten: Afghanen, Pakistaner, Bangladeschis, angeblich sogar chinesische Uiguren. Neben Zentralasiaten wie Usbeken und Tadschiken gesellen sich aus den muslimischen Teilen des Kaukasus Tschetschenen, Inguschen und Dagestaner dazu. Dass Moskaus Dienste den Überblick haben, steht zu bezweifeln. Die oft genannte Zahl von knapp 200 Tschetschenen etwa scheint angesichts der massiven Präsenz ihrer "Brigaden" im Internet viel zu niedrig.

Wichtiger als die nackten Zahlen ist zudem, dass Araber, Afghanen, Pakistaner, Zentralasiaten und Kaukasier längst Dschihad-gestählt sind. Viele libysche Islamisten zogen während der Gaddafi-Diktatur auf Druck des Regimes in ferne Kriege, seit dem Sturz des Herrschers 2011 kämpfen sie untereinander in ihrer Heimat. Das Schießen muss ihnen jedenfalls keiner mehr beibringen.

Hohes Ansehen genießen auch die Tschetschenen. Weniger, weil die Kaukasier den Islam besonders gut kennen oder verständliches Arabisch sprechen, sondern wegen ihrer Expertise: Die Tschetschenen haben zwei Kriege gegen Moskau ausgefochten.

Afghanen, Pakistaner und Zentralasiaten haben ohnehin jahrelang geschossen, im Dauerkrieg am Hindukusch. Afghanistan, aber auch Bosnien sind oder waren Dschihad-Hochschulen. Viele ausländischen IS-Kämpfer haben dort "gelernt", Netzwerke geknüpft und so den Weg ins Kalifat gefunden.

Furcht vor den neuen Terror-Eleven

Indes ist es wohl weniger die Angst vor der militärischen Kampfkraft der Dschihad-Veteranen oder die Abscheu über die Brutalität der jungen Kopfabschneider aus dem Westen wie Dschihadi-John, die die Amerikaner dazu veranlasst hat, die Foreign Fighters per UN-Resolution international ächten zu lassen.

Vielmehr dürfte es die Sorge sein, dass die internationale Migration der Dschihadisten nach Syrien "ein Brutkasten für eine neue Generation von Terroristen" wird, wie es warnend in der Studie des Soufan Institute heißt. Eine neue Generation von Terror-Eleven, die sich nur schwer überwachen und kontrollieren lassen, weil sie Pässe befreundeter Nationen besitzen und - theoretisch zumindest - mit simplem Touristenvisum in die USA einreisen könnten.

"Wenn es je eine Herausforderung in unserer vernetzten Welt gegeben hat, die nicht von einer Nation allein bewältigt werden kann," sagte Barack Obama denn auch bei den Vereinten Nationen, "dann ist es diese: Terroristen, die Grenzen überwinden und unsägliche Gewalt entfesseln könnten."

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