Süddeutsche Zeitung

Forderung nach NPD-Verbot:"Trauriges Zeichen der Hilflosigkeit"

Es ist schon zum Reflex geworden, nach einem NPD-Verbot zu rufen, wenn die Rechtsextremen mal wieder Negativ-Schlagzeilen gemacht haben. Ein Interview mit Extremismusforscher Eckhard Jesse, warum ein Verbotsverfahren kontraproduktiv und zugleich ein Armutszeugnis ist.

Thorsten Denkler

Eckhard Jesse ist Extremismusforscher an der TU Chemnitz und war Gutachter im gescheiterten NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht im Jahr 2003.

sueddeutsche.de: Herr Jesse, muss es ein neues NPD-Verbotsverfahren geben?

Eckhard Jesse: Nein, auf keinen Fall. Man muss unterscheiden, ob ein Verbotsantrag erfolgreich sein kann, und andererseits, ob ein Verbot wünschenswert ist. Ich räume ein, man kann die NPD verbieten, wenn vorher die V-Leute abgeschaltet werden. Die Verfassungsfeindlichkeit der NPD ist ja eindeutig gegeben. Es besteht dennoch die Gefahr des Scheiterns. Das wäre eine Blamage. Die NPD könnte dann den Eindruck erwecken, sie hätte einen demokratischen Persil-Schein. Aber es gibt durchschlagende Argumente, die grundsätzlich gegen ein Parteiverbot sprechen.

sueddeutsche.de: Welche sind das?

Jesse: Eine Partei zu verbieten, die in zwei Landtagen vertreten ist, das wäre ein Armutszeugnis für eine offene Gesellschaft. Das vermittelt den Bürgern den Eindruck, man werde auf andere Weise mit der Partei nicht fertig. Das Problem ist: Gedanken kann man nicht verbieten. Binnen kurzem würde sich nach einem Verbot eine neue Partei bilden.

sueddeutsche.de: Warum konnte die NPD überhaupt so stark werden?

Jesse: Das hängt mit einer Reihe von Verboten zusammen, die in den vergangenen Jahren gegen rechtsextreme Organisationen - wie etwa die Wiking-Jugend - ausgesprochen worden sind. Deren Anhänger haben sich dann eben der NPD angeschlossen. Mit den Verboten wurde einer Radikalisierung und Konzentration der rechtsextremen Kräfte Vorschub geleistet. Ohne die Verbote hätten wir heute das Problem einer aggressiven NPD nicht in diesem Maße.

sueddeutsche.de: Also keine Angst vor der NPD?

Jesse: Nein. Die NPD ist völlig isoliert. Keine tragende gesellschaftliche Gruppierung will mit ihr etwas zu tun haben. Sie wird von Gewerkschaften, Arbeitgebern, Kirchen geächtet. Sie hat keine Machtoption. Das war anders in der Weimarer Republik. Da war der Rechtsextremismus fest in der Gesellschaft verankert.

sueddeutsche.de: Warum immer dieser Verbotsreflex, wenn die NPD mal wieder in den Schlagzeilen ist?

Jesse: Das ist ein trauriges Zeichen der Hilflosigkeit. Politiker glauben, mit dem Verbot ein Patentrezept gegen die NPD in der Hand zu haben. Das ist nicht der Fall.

sueddeutsche.de: Die NPD fällt in Wahlkämpfen gerne mit Familienfesten und sozialen Versprechen auf.

Jesse: Die NPD ist nicht mehr die klassische rechtsextreme Partei, wie wir sie noch vor 20 Jahren kannten. Sie geriert sich als antikapitalistisch und argumentiert sozialpopulistisch. Die Wähler trauen den etablierten Parteien nicht mehr zu, ihre sozialen Probleme lösen zu können. Und da bietet sich die NPD mit ihren einfachen Wahrheiten als Alternative an. Das Dümmste, was man machen kann, ist eine Wählerbeschimpfung, die sich indirekt in einem Verbotsverfahren ausdrücken würde.

sueddeutsche.de: Wie können die etablierten Parteien das verlorene Vertrauen zurückgewinnen?

Jesse: Die Wähler der NPD sind zum großen Teil Protestwähler. Sie müssen das Gefühl bekommen, es geht vorwärts, ihnen geht es besser, die Arbeitslosigkeit sinkt. Dann ist es sehr wahrscheinlich, dass die Zahl der NPD-Wähler sinkt.

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