Forderung des Europarats:Kiewer Regierung soll Todesschüsse vom Maidan aufklären

Haben auch Angehörige der Oppositionsgruppen auf Demonstranten geschossen? Diese Frage soll die ukrainische Übergangsregierung schleunigst klären, fordert der Generalsekretär des Europarats. Auch andere Punkte machen ihm Sorgen.

Von Stefan Braun

Am gleichen Tag, an dem die EU in Brüssel den ersten Teil des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine unterzeichnete, hat der Europarat die ukrainische Übergangsregierung erneut aufgefordert, alles zu unternehmen, um die Todesschüsse auf dem Maidan-Platz in Kiew Ende Februar aufzuklären. Generalsekretär Thorbjørn Jagland sagte der Süddeutschen Zeitung, diese Verbrechen müssten dringend geklärt werden, um allen Spekulationen entgegenzuwirken.

Ursprünglich hatte es in Berichten aus Kiew geheißen, dass die Todesschützen, die um den 20. Februar herum auf dem Maidan etwa 100 Menschen getötet hatten, fast ausschließlich aus den Reihen der damaligen Sicherheitsbehörden und der Bereitschaftspolizei gekommen seien. Berichte von Augenzeugen, dass auch Angehörige von Oppositionsgruppen geschossen hätten, haben den Europarat hellhörig gemacht. Auch der estnische Außenminister Urmas Paet hatte entsprechende Vermutungen geäußert und später eine internationale Untersuchung verlangt.

Jagland, der am Freitag in Berlin mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier zusammentraf, mahnte die Regierung in Kiew, dringende Reformen der Justiz und des Wahlrechts in Angriff zu nehmen. Der Norweger erinnerte an die Kiewer Vereinbarung vom 21. Februar, die von den Außenministern Deutschlands, Polens und Frankreichs mit dem damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch und Vertretern der Opposition ausgehandelt worden war.

In ihr hatten sich Regierung und Opposition verpflichtet, den Schutz von Minderheiten und die Beteiligung aller Parteien und Regionen in einer Übergangsregierung sicherzustellen. Bislang ist das nicht erreicht. Jagland fürchtet, dass weitere Verzögerungen die derzeitige Regierung delegitimieren und das Land destabilisieren.

Jagland kritisiert auch die Stellung des Generalstaatsanwalts, der sehr viel Macht hat. Das ist angesichts der Tatsache, dass dieser Posten von einem Mitglied der rechtsextremen Swoboda-Partei bekleidet wird, besonders problematisch. Der Europarat ist seit Jahren in Kiew vertreten. Seit Donnerstag reist eine Delegation des Europarats durch die Ukraine, um den Schutz der Minderheiten anzumahnen.

Wegen des Verdachts der Veruntreuung von vier Milliarden US-Dollar ist der Chef des staatlichen ukrainischen Gaskonzerns Naftogas am Freitag festgenommen worden. Jewgeni Bakulin sei Anführer einer "kriminellen Bande", es liefen drei Ermittlungsverfahren gegen ihn, teilte Innenminister Arsen Awakow auf Facebook mit. Naftogas ist auch für die Gasimporte aus Russland zuständig. Die neue Regierung in Kiew hatte versprochen, die Korruption zu bekämpfen.

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