Foltersekte:Gauck über Colonia Dignidad: zu lange weggeschaut

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  • Bundespräsident Gauck sagt in Chile, deutsche Diplomaten hätten die Geschehnisse in der Foltersekte Colonia Dignidad zu lange ignoriert.
  • Er lobte den Vorstoß von Außenminister Steinmeier, der im Frühjahr Akten öffnen ließ, um Details der deutschen Verwicklungen aufzuarbeiten.
  • Eine Mitverantwortung Deutschlands für Verbrechen der Pinochet-Diktatur aber schloss Gauck aus.

Opfervertreter und Experten erwarteten eine symbolische Geste von Joachim Gauck in Chile. Nun hat der Bundespräsident sie geliefert. Deutsche Diplomaten, so sagte es Gauck in einer Rede, hätten weggeschaut, "wenn in der deutschen Sekte Colonia Dignidad Menschen entrechtet, brutal unterdrückt und gefoltert wurden, und dann gar der chilenische Geheimdienst dort foltern und morden konnte". Es sei erschreckend, "was Demokraten zu verdrängen und zu verschweigen vermochten."

In der Kolonie hatte der Deutsche Paul Schäfer Anfang der 1960er Jahre ein totalitäres Sekten-Regime errichtet. Kinder wurden dort sexuell missbraucht, viele Menschen mussten Zwangsarbeit leisten. Während der Diktatur Augusto Pinochets wurden dort politische Häftlinge gefoltert. Auf die Gräuel machte zuletzt der Kinofilm "Colonia Dignidad" des Münchner Regisseurs Florian Gallenberger aufmerksam.

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Im Frühjahr lud Außenminister Frank-Walter Steinmeier Betroffene nach Berlin ein und ließ Akten zu der Foltersekte öffnen. Sie zeigen, dass deutsche Politiker und Diplomaten kaum etwas unternahmen, um das Grauen in der umzäunten Kolonie zu beenden. In Chile begrüßte Gauck diesen Schritt des Außenministers. Die wichtigeren Dokumente über Folter und Unterdrückung befänden sich aber in Chile.

Eine Mitschuld Deutschlands an den Verbrechen der Pinochet-Diktatur schloss Gauck der chilenischen Zeitung La Tercera zufolge aber aus. Auf einer Pressekonferenz mit der chilenischen Präsidentin Michelle Bachelet sagte er, die Diplomaten hätten zwar etwas gegen die Zustände in der deutschen Siedlung unternehmen können. Folterungen politischer Häftlinge zu unterbinden wäre ihnen aber nicht möglich gewesen.

Während der Pinochet-Diktatur wurden in dem Andenstaat schätzungsweise 3200 Menschen ermordet und mehr als 30 000 gefoltert. Von vielen Opfern fehlt bis heute jede Spur.

In Deutschland läuft derzeit ein Verfahren gegen den Sektenarzt Hartmut Hopp, der die rechte Hand Schäfers gewesen sein soll. Hopp war 2011 in Chile wegen Beihilfe zu sexuellem Kindesmissbrauch in 16 Fällen verurteilt worden. Er hatte sich aber nach Deutschland abgesetzt. Die Staatsanwaltschaft Krefeld beantragte Anfang Juni, die Freiheitsstrafe von fünf Jahren in Deutschland zu vollstrecken. Eine Entscheidung steht noch aus.

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