Foltermethoden der USAScham ist stärker als Schweigen

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US-Veteranen, die einst Nazi-Gefangene in Geheimlagern verhörten, prangern die heutigen Foltermethoden Amerikas an.

Christian Wernicke, Fort Hunt

Die Älteren nahmen ihr Geheimnis mit ins Grab. Und die Jüngeren, inzwischen alle älter als 80 Jahre, haben geschwiegen. Eisern, und beinahe ewig. Henry Kolm zum Beispiel, der Physiker, mochte allein seiner Frau anvertrauen, was er da einst getrieben hat in den Wäldern südlich von Washington D.C. Wie er 1945 mit Mördern und Nazi-Schergen Pingpong oder Schach spielen musste.

George Frenkel, der greise Lehrer mit dem Gehstock und den wachen, flinken Augen, hat sich völlig seinem Eid unterworfen: "Kein Wort zu niemandem", nicht mal zu Frau und Kindern, ein halbes Jahrhundert lang. Oder Peter Weiss, der Jurist mit dem zauseligen Kinnbart, der sich seit jeher für die Menschenrechte einsetzt und doch seinem Sohn Daniel erst vor zwei Jahren offenbarte, dass er mit dabei war in Amerikas einst geheimstem Lager. Hinter Zaun und Stacheldraht von Fort Hunt, in den Holzbaracken der Operation "MIS-Y", die offiziell nicht mehr als ein Postfach waren. "P.O. Box 1142" lautete die Chiffre.

Doch nun reden sie, sehr spät und sehr öffentlich. Peter Weiss hat Fort Hunt vorige Woche sogar kurz im US-Kongress zur Sprache gebracht, bei einer Anhörung vor dem Justizausschuss des Repräsentantenhauses. Der 81-Jährige war als Experte geladen, durfte referieren über etwas, was alle Welt von George W. Bush vermisst: "Amerikas globale Führung durch internationales Recht und Gerechtigkeit." Weiss' Stimme grollt, als er Amerikas "illegalen Krieg im Irak" verdammt. Seine schmalen Lippen rühren sich kaum, da er den neuen US-Justizminister geißelt, der übelste Verhörmethoden der CIA nicht klar als das begreifen wolle, was sie seien: "Das ist Folter."

Weiss weiß, wovon er spricht. Als Vizepräsident des Center for Constitutional Rights (CCR) hat er den Skandal um Abu Ghraib angeprangert. Oder geholfen, Häftlingen in Guantanamo einen Anwalt zu besorgen. Und er hat Erfahrung, ganz praktisch: Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, da der Feind noch deutsche Namen trug und Heinz oder Horst hieß statt Ahmed oder Abdul, da führte er in Fort Hunt Geheimverhöre: "Keinem von uns wäre es damals eingefallen, gegenüber Kriegsgefangenen das anzuwenden, was man heute 'aggressive Methoden' nennt."

Die Masche mit dem Russen

Es sind die Auswüchse von Amerikas "Krieg gegen den Terror", die diese US-Veteranen zu zornigen alten Männern machen. Die sie zwingen, Zeugnis abzulegen über das, was sie selbst getan haben in der "P.O. Box 1142": Insgesamt mehr als 4000 Kriegsgefangene schleuste die US-Armee zwischen Dezember 1941 und November 1946 durch Fort Hunt. Anfangs waren es meist U-Boot-Offiziere, die im Durchschnitt drei Monate lang interniert wurden. Nach der deutschen Kapitulation kamen vermehrt deportierte Nazi-Wissenschaftler, denen die USA - als Lohn für ihre Hilfe im heraufziehenden Kalten Krieg - eine neue Karriere offerierten.

Wer in Fort Hunt als POW, als Prisoner of War einsaß, galt daheim als tot oder vermisst. Das Rote Kreuz erfuhr von der Existenz der Gefangenen erst, sobald der militärische Geheimdienst MIS sie - ausgehorcht und abgeschöpft - in reguläre Lager überstellte. Ein Verstoß gegen die Genfer Konvention, wenn auch - im Vergleich zu heutigen Torturen in den black sites der CIA - eine lässliche Sünde.

Aber deshalb verdammte die US-Armee alle Veteranen zum Schweigen. Erst drei, vier Jahrzehnte später begann Washington, seine Archive langsam zu öffnen. So kam heraus, dass hier etwa Reinhard Gehlen zehn Monate einsaß - einst Hitlers oberster Ost-Spion, unter dem Schutz der USA später Gründervater des BND. Draußen am Potomac, wo einst Holzhütten und Wachtürme standen, wuchert Gras und Gestrüpp über die Geschichte. Fort Hunt ist heute ein Nationalpark, ideal für die kurze Stadtflucht samt Picknick auf der Wiese und einem Spaziergang im Herbstlaub. Am Waldrand verfällt die alte Betonbastion, davor ragt ein Mast in den Himmel. Ohne Fahne.

Neulich jedoch flatterten dort wieder die Stars and Stripes. Das war im Oktober, just an einem jener Tage, da der Präsident im Oval Office erneut versicherte: "Die Vereinigten Staaten dulden keine Folter." Zur exakt gleichen Stunde hatte die Armee ihre greisen Veteranen zu einer Feierstunde zurück nach Fort Hunt geladen. Ein General dankte namens der Nation, überreichte Ehrenurkunden. In denen pries das Pentagon den Dienst am Vaterland "als größte Tradition der Armee" - und es erinnerte daran, dass dies bis heute ebenso sei: "Unser globaler Krieg gegen den Terrorismus ist ein Krieg, der uns alle berührt und den wir gewinnen müssen." Da hörte Peter Weiss, wie ihm ein alter Kamerad ins Ohr flüsterte: "Die benutzen uns hier." Weiss nickte, und wurde laut, als die Reihe an ihn kam oben auf dem Podium. Er danke ja für die Auszeichnung, aber: "Ich will hier klarstellen, dass meine Anwesenheit heute nicht den gegenwärtigen Krieg unterstützt."

Ein Affront. Aber einer, den alle Alten billigten. "Keiner ist hinterher zu mir gekommen und hat sich beschwert", sagt Weiss. George Frenkel etwa, mit 87 Jahren einer der Ältesten unter ihnen, redet mit Stolz von seiner Zeit im Geheimlager von Fort Hunt: "Wir waren angehalten, die Gefangenen moralisch zu behandeln." Daran hielt er sich auch später, da er als "mobiler Verhörer" 1945 in den Ardennen mutmaßliche deutsche Kriegsverbrecher vernahm.

Studieren der Haager Konventionen

Frenkel macht ein gequältes Gesicht, sobald er an Abu Ghraib denkt. Oder an Guantanamo: "Es ist für mich einfach unglaublich, dass meine jetzigen Landsleute so etwas tun." Eher seinen gebürtigen Landsleuten, den Deutschen, hätte Frenkel so etwas zugetraut. Jedenfalls damals, wenige Jahre nachdem er als junger Jude aus Berlin hatte fliehen müssen. Die meisten Verhörexperten in Fort Hunt waren jüdischer Herkunft, ursprünglich Deutsche oder - wie Peter Weiss - Österreicher. Sie kannten die Sprache, die Kultur, das Denken derer, die ihnen da gegenübersaßen. Und die sie, mit Hilfe klobiger Abhörtrichter in den Holzdecken der Schlafsäle, Tag und Nacht belauschten. Sie ahnten, was das Dritte Reich ihren Verwandten antat. Oder wussten es.

Henry Kolm stammt aus Wien. Schon Ende der dreißiger Jahre, vor seiner Ankunft in Amerika, hörte er von Konzentrationslagern. Er hätte durchaus Grund gehabt, sich zu rächen und hier und da mal zuzuschlagen beim Verhör im Fort. Er tat es nicht. "Wir waren regelrecht gedrillt, so etwas nicht zu tun", erinnert sich der 83-jährige Physiker. Tagelang habe er während seiner Ausbildung zum Militärverhörer im legendären Camp Ritchie (heute Camp David) die Genfer wie die Haager Konventionen studieren müssen.

Als härteste Masche in Fort Hunt galt es, einen US-Soldaten in russischer Uniform in den Raum zu rufen und zu drohen: "Wenn du nicht redest, übernimmt der da." Das wirkte. Einmal, so erzählt ein Veteran verlegen und nur anonym, hätten sie einem renitenten Offizier der Waffen-SS noch übler zugesetzt: Der Nazi wurde in einen Kleinlaster gesperrt, herumgefahren, schließlich in eine Bunkerzelle gesperrt: "Und dann hat einer gerufen - 'Iwan, das Gas!'" Der Zeuge versichert, man habe "das nur einmal gemacht - denn der Kerl hatte Mithäftlinge tätlich angegriffen, die auspacken wollten." Er weiß: Den Genfer Konventionen entsprach das nicht.

Fort Hunt als Vorbild für die Geheimdienstarbeit

Henry Kolm jedenfalls arbeitete statt mit Gewalt lieber mit Gewissensdruck: "Ich fragte die Gefangenen, wie sie nur mitmachen konnten bei all dem Gräuel" - beim Schachspiel mit einem Militärberater Hitlers, beim Pingpong mit Generälen, denen die Alliierten später in Nürnberg den Prozess machten. Auf langen Spaziergängen gewann der junge Amerikaner das Vertrauen hoher, meist sehr viel älterer deutscher Offiziere. Seine Fragen hatten gewirkt, auch bei manch hohem Nazi: "Viele haben ihre Scham in Fort Hunt entdeckt. Mit Qualen. Für mich war das eine bessere Art der Vergeltung als Schläge ins Gesicht."

Kolm ist sicher, dass Fort Hunt den Krieg verkürzt hat: "Wir haben Leben gerettet." Per Lauschangriff im Briefkasten 1142 erfuhren die USA von Peenemünde, der unterirdischen Produktionsstätte gefürchteter Raketen. Zwei Offiziere hatten über den Fortgang des Krieges getuschelt, und einer gab dabei den Ort preis, von dem "unsere Wunderwaffe" kommen sollte. Anderswo hat Kolm später sogar Wernher von Braun, den besessenen Ingenieur, verhört - lange ehe der Ex-Nazi den USA half, auf den Mond zu gelangen.

Fort Hunt, so lobte kürzlich Oberst Steven Kleinman, führender Verhörexperte der US-Luftwaffe, sei "ein unglaublich effektives Programm" gewesen. Der Oberst empfahl, das verschwundene Lager wiederzuentdecken - als Vorbild für die Geheimdienstarbeit heute. Solch historische Nacharbeit leistet bisher nur der National Park Service, der das Areal am Potomac nach dem Krieg übernahm. Einer der Park Ranger dort ist Brandon Bies, er hat die Feier für die Veteranen mitorganisiert, er brachte die Veteranen zum Reden. Nun würde der junge Historiker gern auch ehemalige Gefangene interviewen, nur: "Das Problem ist, die wissen bis heute nicht, dass sie je in Fort Hunt waren."

© SZ vom 8.11.2007/dawa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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