Die Bush-Administration und ihre Verteidiger sind mehr mit dem PublicRelations-Desaster - der Weiterverbreitung der Bilder - beschäftigt als mit der komplexen Schuldfrage in Bezug auf die verantwortlichen Führungskräfte und mit den kriminellen Methoden, die durch diese Aufnahmen ans Licht kamen.
Als erstes ist die Realität auf die Bilder verlagert worden: Die US-Regierung zeigte sich schockiert und angewidert von den Aufnahmen - gerade so, als ob diese Bilder selbst das Entsetzliche wären und nicht das, was sie zeigen.
Auch das Wort Folter wurde sorgsam vermieden. Die Gefangenen seien möglicherweise "missbraucht", schließlich auch "gedemütigt" worden - mehr wurde nicht eingeräumt. "Mein Eindruck ist, dass den Soldaten vor allem Missbrauch vorgeworfen wird. Genau genommen ist das nicht dasselbe wie Folter", sagte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bei einer Pressekonferenz. "Deshalb werde ich das Wort Folter nicht verwenden".
Worte verändern, Worte verstärken oder reduzieren. Das angestrengte Vermeiden des Wortes "Genozid" während des Abschlachtens Hunderttausender Tutsis in Ruanda durch ihre Hutu-Nachbarn wies darauf hin, dass die amerikanische Regierung damals nicht beabsichtigte, etwas dagegen zu unternehmen.
Die Weigerung, die Vorkommnisse in Abu Ghraib - und in anderen Gefängnissen im Irak und in Afghanistan, oder in Guantanamo Bay - als Folter zu bezeichnen ist so unerhört wie die Weigerung, das Geschehen in Ruanda einen Genozid zu nennen.
Hier die Standard-Definition von Folter gemäß internationalem Recht und multilateralen Abkommen, zu deren Unterzeichnern die USA gehören: "Unter Folter...ist jede Handlung zu verstehen, durch die einer Person von einem Träger staatlicher Gewalt oder auf dessen Veranlassung hin vorsätzlich starke körperliche oder geistig-seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen".
(Diese Definition ist der UN-Konvention von 1984 gegen die Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen entnommen. Sie ist in mehr oder weniger dem selben Wortlaut in früheren Verträgen enthalten, angefangen bei der Genfer Konvention und ihren vier Abkommen von 1949, sowie in vielen neueren internationalen Menschenrechts-Abkommen wie dem Internationale Abkommen über Bürgerrechte und politische Rechte und der Europäischen, der Afrikanischen und der Inter-Amerikanischen Menschenrechtskonvention.)
In der UN-Konvention von 1984 wird ausdrücklich erklärt: "Keine besonderen Umstände irgend einer Art, sei es Krieg oder ein drohender Krieg, politische Instabilität innerhalb eines Landes oder irgend eine andere öffentliche Not- oder Ausnahmesituation können als Rechtfertigung von Folter dienen." In allen diesen Abkommen wird auch darauf hingewiesen, dass unter den Begriff Folter jede Behandlung fällt, durch die ihr Opfer gedemütigt werden soll - etwa indem es sich nackt in seiner Zelle oder auf dem Gefängnisgang aufzuhalten hat.
Was immer diese US-Regierung zur Begrenzung des Schadens unternehmen wird, den die wachsende Flut von Enthüllungen über Gefangenenfolter in Abu Ghraib und anderswo anrichtet - Prozesse vor Gerichten und Kriegsgerichten, unehrenhafte Entlassungen, Rücktritt von ranghohen Militärs und verantwortlichen Regierungsmitgliedern sowie hohe Entschädigungszahlungen an die Opfer -, das Wort "Folter" wird wohl tabu bleiben.
Das Eingeständnis, dass Amerikaner ihre Gefangenen foltern, würde allem Hohn sprechen, was diese Regierung der Öffentlichkeit über die hehren amerikanischen Absichten und die Universalität amerikanischer Werte vorgaukeln möchte. Auf diese Werte hat Amerika sich im entscheidenden Moment stets voll Stolz berufen, wenn es sein unilaterales Eingreifen auf der Weltbühne zur Verteidigung seiner Interessen und seiner Sicherheit als gerechtfertigt darstellte.
Auch als Amerikas guter Ruf weltweit immer größeren Schaden nahm und Präsident Bush schließlich nicht umhin konnte, das Wort "sorry" in den Mund zu nehmen, schien sich das Bedauern vor allem auf die Beschädigung von Amerikas Anspruch auf moralische Überlegenheit und seine hegemoniale Absicht zu fokussieren, dem ignoranten Nahen Osten "Freiheit und Demokratie" zu bringen.
Diese Folter-Fotos haben sehr viel mit Amerika zu tun
Ja, er bedaure, dass irakische Gefangene und ihre Familien gedemütigt worden seien, erklärte Bush am 6. Mai in Washington an der Seite des jordanischen Königs Abdullah II. Ebenso bedauere er aber, dass die Menschen, die diese Aufnahmen sehen, das wahre Wesen und das aufrichtige Herz Amerikas missverstehen würden, fuhr er fort.
Dass die amerikanischen Anstrengungen im Irak auf diese Bilder reduziert werden könnten, muss jedem, der einen Krieg zum Sturz eines der abscheulichsten Tyrannen unserer Zeit für einigermaßen gerechtfertigt hielt, tatsächlich als unfair erscheinen. Ein Krieg, die Besetzung eines Landes, besteht zwangsläufig aus einem dichten Gewebe von Aktionen. Woher kommt es, dass dabei nur bestimmte Handlungen als charakteristisch für ein Land gesehen werden? Ob die Folterungen das Werk einzelner waren oder allgemein praktiziert wurden - darauf kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
Alle Handlungen werden schließlich von Individuen ausgeführt. Die Frage ist vielmehr, ob Folter systematisch angewandt wurde. Von höherer Stelle genehmigt oder zumindest geduldet. Das war sie. Was zählt ist, ob die von dieser Regierung betriebene Politik und die Hierarchien, die zu ihrer Ausführung gebildet wurden, den Boden für solche Handlungen bereitet haben.
In diesem Licht betrachtet, haben die Folter-Fotos sehr viel mit Amerika zu tun. Sie sind bezeichnend für gewisse Grundsätze dieser US-Administration und für die fundamentale Korruption kolonialer Herrschaft. Die Belgier im Kongo und die Franzosen in Algerien haben ähnliche Scheußlichkeiten begangen; sie haben gefoltert, widerspenstige Einheimische verachtet und sie sexuell erniedrigt.
Nimmt man die allgemeine Korruption und den unverständlichen Mangel an Vorbereitung der amerikanischen Besatzer auf die komplexe Realität im Irak nach der "Befreiung" des Landes; nimmt man ferner die alles überspannenden Theorien der Bush-Administration - insbesondere die Theorie, die USA seien zu einem endlosen Krieg gegen einen proteischen Feind namens "Terrorismus" aufgebrochen; und fügt man schließlich noch hinzu, dass die in diesem Krieg Inhaftierten auf Beschluss von Präsident Bush als "gesetzlose Kombattanten" zu gelten haben - ein Grundsatz, den Donald Rumsfeld bereits im Januar 2002 bekräftigte, als er erklärte, dass diese Gefangenen "praktisch" keinerlei Rechte unter der Genfer Konvention beanspruchen könnten - so ergibt sich aus alledem die perfekte Rezeptur für Grausamkeiten und Verbrechen, begangen an Tausenden, die ohne formelle Anklage und ohne das Recht, sich einen Anwalt zu nehmen, in Gefängnissen unter amerikanischer Leitung inhaftiert sind, die seit dem 11.September 2001 errichtet wurden.
Sind also nicht die Aufnahmen selbst das Problem, sondern das, was den "Verdächtigen" unter amerikanischer Aufsicht gemäß den enthüllenden Bildern zugefügt wurde? Nein: Das Entsetzen über das, was die Aufnahmen zeigen, lässt sich nicht trennen von dem Entsetzen darüber, dass die Bilder aufgenommen wurden - mit den Tätern, die neben ihren hilflosen Gefangenen fröhlich in die Kamera grinsen.
Auch deutsche Soldaten fotografierten im 2. Weltkrieg Gräueltaten, die sie in Polen oder Russland begangen haben, doch Schnappschüsse, auf denen sich die Täter zusammen mit ihren Opfern ablichten ließen, sind höchst selten, wie in dem gerade erschienenen Buch "Photographing the Holocaust" von Janina Struk zu sehen ist.
Falls es vergleichbare Bilder gibt, dann vielleicht die Fotos von schwarzen Lynchopfern, die zwischen 1880 und 1930 aufgenommen wurden und amerikanische Kleinstadtbürger zeigen, wie sie unter den nackten, verstümmelten Leichen schwarzer Männer und Frauen posieren, die an einem Baum hängen. Die Lynch-Fotos waren Erinnerungen an gemeinschaftlich begangene Aktionen, deren Teilnehmer ihre Tat als vollkommen gerechtfertigt betrachteten. So sind auch die Aufnahmen von Abu Ghraib zu sehen.
Wenn es einen Unterschied gibt, dann den, dass Kameras heute allgegenwärtig sind. Die Lynch-Fotos waren noch Trophäen - aufgenommen von einem Fotografen, um gesammelt und in Fotoalben geklebt zu werden. Oder als Postkarten verschickt oder herumgezeigt zu werden. Die Aufnahmen, die amerikanische Soldaten in Abu Ghraib machten, spiegeln einen Wandel in der Art, wie mit ihnen umgegangen wird: Sie sind nicht mehr Sammelobjekte, sondern Botschaften, die in Umlauf gebracht werden.
Die meisten Soldaten besitzen eine Digitalkamera. Während einst Kriegsfotos die Domäne von Bildjournalisten waren, sind nun die Soldaten selbst alle Fotografen - sie dokumentieren den Krieg, ihren Spaß, ihre Beobachtungen dessen, was sie idyllisch finden, ihre Gräueltaten; und sie tauschen die Bilder untereinander aus oder verschicken sie per E-Mail rund um die Welt.
Die Menschen zeichnen immer häufiger auf, was sie tun. Zumindest in Amerika - oder gerade dort - gilt Andy Warhols Ideal, reale Ereignisse in Realzeit zu filmen: das Leben wird schließlich auch nicht redigiert, warum sollten es also die Aufzeichnungen darüber sein. Diese Norm gilt für Millionen von Webcasts, bei denen Menschen mit der Videokamera ihren Tagesablauf aufzeichnen. Jeder produziert seine eigene Reality-Show.
Hier bin ich, wie ich aufwache und gähne und mich strecke, meine Zähne putze, Frühstück mache, die Kinder zur Schule schicke. Menschen zeichnen alle möglichen Seiten ihres Lebens auf, speichern die Aufnahmen im PC und versenden sie. Zum Familienleben gehört die Aufzeichnung des Familienlebens - auch, oder gerade in Zeiten, in denen es in der Familie kriselt oder ihre Ehre auf dem Spiel steht, wie in dem Dokumentarfilm "Capturing the Friedmans" (2003) von Andrew Jarecki.
Die ständigen, hingebungsvollen Heimvideoaufzeichnungen, die die Long-Island-Familie über Jahre voneinander gemacht hat und sie im Dialog miteinander oder monologisierend zeigt, gehören gewiss zum erstaunlichsten Material, das Jarecki in seinen Filmbericht über die des Kindsmissbrauchs bezichtigte Familie integrierte.
Gewaltfantasien werden als unterhaltsamer Spaß betrachtet
Für immer mehr Menschen besteht ihr erotisches Leben in dem, was sie mit der Digitalkamera einfangen können. Vielleicht sollten auch die Folter-Aufzeichnungen durch sexuelle Komponenten attraktiver gestaltet werden. Je mehr Abu-Ghraib-Bilder an die Öffentlichkeit dringen, desto mehr fällt auf, dass die Folter-Aufnahmen mit pornografischen Bildern durchsetzt sind: Bilder von amerikanischen Soldaten, die Sex miteinander oder mit irakischen Gefangenen haben, oder die gezwungen werden, aneinander sexuelle Handlungen vorzunehmen oder vorzutäuschen.
Tatsächlich sind sexuelle Motive bei den meisten der Folterbilder festzustellen (mit Ausnahme des weithin bekannten Bildes von einem Mann, dessen Kopf mit einer Haube bedeckt ist und unter dessen Umhang Elektrodrähte hervorschauen; er steht auf einer Schachtel und es wurde ihm vermutlich mit einem tödlichen Stromschlag gedroht, sobald er herunterfällt.) Bilder von Gefangenen, die stundenlang in schmerzhaften Positionen verharren mussten, sind eher selten. Zweifellos zählt auch dies als Folter, wie an den entsetzten Mienen der Opfer abzulesen ist.
Bei den meisten Aufnahmen scheinen jedoch Folter und Pornografie ineinander zu fließen. Die junge Frau, die einen Nackten an einer Leine herumzerrt, entspricht der klassischen Domina-Vorstellung. Es fragt sich, wie viele der sexuellen Foltermethoden im Abu-Ghraib-Gefängnis durch das reiche Angebot pornografischer Bilder im Internet inspiriert wurden. Gewöhnliche Leute, die ihre Videoaufzeichnungen ins Internet stellen, versuchen vermutlich nun, diese nachzuahmen.
Leben heißt fotografiert werden und Aufzeichnungen vom eigenen Leben zu besitzen. Es bedeutet, sein Leben weiter zu leben, ohne auf die Kamera zu achten, die einen dabei non-stop beobachtet, oder zumindest so zu tun, als würde man sie nicht bemerken - oder innezuhalten und sich in Szene zu setzen. Vor der Kamera zu agieren heißt, Teil zu haben an gemeinschaftlich begangenen Aktionen, die im Bild festgehalten werden.
Der Ausdruck von Zufriedenheit angesichts der Folter, die hilflosen, gefesselten und nackten Opfern zugefügt wird, ist nur ein Teil der Story. Die Hauptbefriedigung gilt der Tatsache, dass die Kamera auf einen gerichtet ist. Heute wird seltener mit einem steifen Grinsen in die Linse gestarrt, sondern vergnügt gelacht.
Die Szenen auf den Bildern wurden zum Teil eigens für die Kamera gestellt. Das Grinsen ist ein Grinsen für die Kamera. Es hätte etwas gefehlt, wenn keine Aufnahme von den zu einer Pyramide aufgeschichteten nackten Leibern gemacht worden wäre.
Endloser Krieg, endloser Strom...
Beim Anblick dieser Bilder fragt man sich, wie jemand grinsen mag angesichts des Leidens und der Erniedrigung anderer Menschen; wie jemand Wachhunde auf die Genitalien und die Beine zusammen gekauerter nackter Gefangener hetzen mag; wie jemand Gefangene vergewaltigen oder durch Akte der Sodomie quälen mag; Gefangene mit Hauben über dem Kopf und in Handschellen zwingen mag, zu masturbieren oder aneinander sexuelle Akte vorzunehmen.
Man kommt sich ein wenig naiv vor, diese Fragen zu stellen, denn die Antwort ist bekannt. Menschen tun einander diese Dinge an. Vergewaltigung und Schmerzen, die Genitalien zugefügt werden, gehören zu den häufigsten Folterarten. Nicht nur in Nazi-Konzentrationslagern oder im Abu-Ghraib-Gefängnis zur Zeit Saddam Husseins.
Auch Amerikaner tun so etwas, wenn man ihnen erklärt oder das Gefühl gibt, dass diejenigen, über die sie absolute Macht haben, solche Misshandlungen, Qualen und Erniedrigungen verdienen. Sie tun es, wenn man sie überzeugt, dass die Menschen, die sie foltern, einer minderwertigen, verachtenswerten Rasse oder Religion angehören.
Die Bedeutung dieser Bilder liegt nicht nur darin, dass sie von solchen Handlungen Zeugnis geben, sie liegt auch darin, dass die Täter keinerlei Unrechtsbewusstsein hatten angesichts dessen, was die Bilder zeigen. Noch erschreckender ist, dass sie dabei Spaß hatten, denn die Bilder sollten ja in Umlauf gebracht und von vielen gesehen werden. Diese Vorstellung von Spaß gehört, leider, immer mehr zur "wahren Natur Amerikas" - entgegen der Ansicht, von der George Bush die Welt überzeugen möchte.
Die zunehmende Akzeptanz von Brutalität im Leben der Amerikaner ist schwer messbar, doch sie macht sich überall bemerkbar: angefangen bei den mörderischen Videospielen, die zum Lieblingszeitvertreib vieler Jungs gehören - kann da das Videospiel "Terroristen verhören" lange auf sich warten lassen? - bis hin zu der Gewalt, die häufig Bestandteil von Gruppenriten übermütiger Jugendlicher auf der Suche nach dem Extra-Kick geworden sind.
Brutale Gewaltverbrechen sind rückläufig, doch das leicht zu habende Ergötzen an Gewalt ist gestiegen. Von den qualvollen Initiationsriten, die an vielen suburbanen Highschools in Amerika neu aufgenommenen Schülern abverlangt werden - sie wurden in Richard Linklaters Film "Dazed and Confused" ("Sommer der Ausgeflippten", 1993) geschildert - bis hin zu Ritualen mit brutalen körperlichen Schikanen und erniedrigenden sexuellen Handlungen, die an Colleges, Universitäten und in Sport-Teams praktiziert werden - überall in Amerika werden Gewaltfantasien und Gewaltausübung zunehmend als unterhaltsamer Spaß betrachtet.
Was früher als Pornografie ausgegrenzt war, etwa extrem sado-masochistisches Verlangen - wie in Pasolinis letztem, beinahe unerträglichem Film Die 120 Tage von Sodom (1975) zu sehen - der Film schildert qualvolle Orgien in einem faschistischen Refugium in Norditalien am Ende der Ära Mussolini - bekommt nun unter den Aposteln eines neuen, kriegslüsternen imperialen Amerika als vergnügliche Unterhaltung oder als Mittel zur Spannungsabfuhr den Anstrich des Normalen.
Nackte Menschen übereinander zu schichten wird von einem Anrufer in der von 20 Millionen Hörern verfolgten Radio-Sendung des Moderators Rush Limbaugh mit den Streichen einer College-Burschenschaft verglichen. Hat der Anrufer die Folter-Fotos selbst gesehen? Egal. Er hat mit seiner Bemerkung, oder war es seine Vorstellung, ins Schwarze getroffen. Was vielleicht doch noch manche Amerikaner schockiert haben mag, war Limbaughs Reaktion: "Genau!", rief er aus, "das ist haargenau meine Ansicht.
Nichts anderes geschieht bei den Initiationsriten der Skull-and-Bones (Geheimbund an der Yale-Universität). Und deswegen wird nun das Leben (anständiger) Menschen ruiniert, und wir machen unsere militärischen Anstrengungen (im Irak) zunichte? Wir sollten nicht auf sie eindreschen, nur weil sie sich ein wenig Spaß erlaubt haben." Mit "sie" sind die amerikanischen Soldaten gemeint, die gefoltert haben. Limbaugh fuhr fort: "Soll ich Ihnen mal was sagen...auf diese Jungs wird täglich geschossen. Haben Sie schon mal etwas von Spannungsabfuhr gehört?"
Wir leben in einer Kultur der Bewunderung von Brutalität
Möglicherweise finden es ziemlich viele Amerikaner eher in Ordnung, wenn andere Menschen gefoltert und gedemütigt werden - Menschen, die als ihre mutmaßlichen Feinde ohnehin alle ihre Rechte verwirkt haben -, als sich den Irrsinn und die Absurdität und die fehlende Legitimation des amerikanischen Abenteuers im Irak einzugestehen.
An der Tendenz, Folter und sexuelle Demütigung als Spaß zu verstehen, wird sich wenig ändern, solange Amerika sich immer mehr in eine Festung verwandelt, in der nur als Patriot gilt, wer sich vor Waffengewalt mit bedingungslosem Respekt verneigt und maximale staatliche Überwachung als Notwendigkeit anerkennt. Schock und Einschüchterung hatte das amerikanische Militär jenen Irakern versprochen, die sich ihren Befreiern entgegenstellen. Doch Schock und Schreckliches haben sie über das Land gebracht, wie die Folter-Fotos zeigen: kriminelle Verhaltensmuster, die allen Menschenrechtskonventionen spotten.
Kann es uns wirklich überraschen, dass amerikanische Soldaten sich mit hochgerecktem Daumen bei ihrem scheußlichen Tun fotografieren oder filmen lassen und die Bilder an ihre Kumpels und ihre Familie versenden? Wir leben schließlich in einer Gesellschaft, in der Geheimnisse aus dem Privatleben, die wir früher diskret verschwiegen hätten, in TV-Talkshows laut hinaus posaunt werden. Was uns diese Folter-Bilder verdeutlichen ist eine Kultur der Schamlosigkeit und der offenen Bewunderung von Brutalität.
Die Vorstellung, Entschuldigungen oder Bekundungen von Entsetzen oder Abscheu durch den US-Präsidenten und seinen Verteidigungsminister seien eine angemessene Reaktion auf die systematische Folter im Abu-Ghraib-Gefängnis, ist ein Schlag ins Gesicht jedes historischen oder moralischen Bewusstseins.
Die Folter von Gefangenen ist keine simple Verfehlung. Sie ist vielmehr die logische Konsequenz einer Ideologie des "wer nicht mit uns ist, ist gegen uns", mit der die Bush-Administration die Position Amerikas auf der internationalen Bühne grundlegend stärken und manche nationalen Institutionen und Vorrechte neu definieren wollte. Diese Regierung schwor das Land auf eine pseudo-religiöse Kriegsdoktrin ein - auf einen endlosen Krieg - denn nichts anderes ist dieser Krieg gegen den Terror.
Was in dem neuen Machtbereich internationaler Gefangenenlager unter der Führung des US-Militärs vor sich geht, übertrifft sogar die berüchtigten Prozeduren auf der Teufelsinsel vor der Küste von Französisch-Guayana und im sowjetischen Gulag. Den Häftlingen auf der französischen Gefängnisinsel war wenigstens ein Strafprozess mit abschließendem Urteilsspruch beschieden, und die russischen Gefangenen wussten immerhin, weswegen sie angeklagt waren und wie viele Jahre sie zu verbüßen hatten.
Ein endloser Krieg scheint jedoch eine Inhaftierung ohne erkennbares Ende zu rechtfertigen. Eine Inhaftierung ohne Anklage, ohne Bekanntgabe der Häftlingsnamen und ohne jeden Kontakt zu Familienangehörigen und Anwälten, ohne Prozess und ohne Urteil. Die Häftlinge unter amerikanischer Herrschaft, die aber nicht amerikanischem Recht unterstehen, werden als "Internierte" bezeichnet. Das Wort "Gefangene" scheint neuerdings obsolet zu sein.
Es könnte ja zu dem Schluss verführen, dass die Lagerinsassen gewisse Ansprüche nach internationalem Recht oder nach dem Recht zivilisierter Nationen haben. Dieser "Global War on Terror" (GWOT) - unter den laut Pentagon-Erlass die gerechtfertigte Invasion in Afghanistan ebenso wie der zum Scheitern verurteilte Wahnsinn im Irak fällt - führt unweigerlich zur Entmenschung eines jeden, der von der Bush-Administration als möglicher Terrorist verdächtigt wird. Eine öffentliche Debatte, was darunter zu verstehen ist, wird nicht geführt. Darüber wird meist im Geheimen entschieden.
Da gegen die wenigsten Inhaftierten im Irak und in Afghanistan konkrete Erkenntnisse einer Schuld vorliegen, wird als Grund für ihre Internierung meist "Vernehmung" angegeben. Laut Berichten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) scheinen zwischen 70 und 90 Prozent der Gefangenen nichts anderes verbrochen zu haben, als zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen und so in eine Razzia geraten zu sein. Worüber werden die Gefangenen befragt? Über alles mögliche, was der Befragte wissen könnte. Solange das Vernehmen aber der einzige Anlass ist, einen Gefangenen auf unabsehbare Zeit festzuhalten, werden körperlicher Zwang, Demütigung und Folter nicht ausbleiben.
Zur Erinnerung: Wir sprechen hier nicht von der seltenen Ausnahmesituation der "tickenden Zeitbombe". Dieses Szenario wird gelegentlich als einschränkende Rechtfertigung für das Foltern von Gefangenen angeführt, die von einem unmittelbar bevorstehenden Angriff wissen. Hier ist vielmehr die Rede vom Sammeln nicht-spezifischer Informationen mit dem Einverständnis amerikanischer Militär- und Zivilverwalter, die Näheres über ein finsteres Schurkenreich erfahren wollen, über das sie so gut wie nichts wissen.
Im Prinzip scheint hier jede Information irgendwie nützlich. Nur eine Befragung, bei der gar nichts herauskommt, würde als Fehlschlag verstanden. Dies erklärt, weshalb es so sehr darauf ankommt, die Gefangenen zum Reden zu bringen. Sie weich kriegen, sie unter Druck setzen - dies sind die üblichen Euphemismen für die bestialischen Praktiken, die in amerikanischen Gefängnissen um sich greifen, in denen "verdächtige Terroristen" festgehalten werden. Dummerweise wurden ein paar von ihnen anscheinend so "weich gemacht", dass sie dabei starben.
Die Folterbilder lassen sich nicht mehr aus der Welt schaffen. Dies liegt an unserer digitalen Welt. Sie scheinen sogar notwendig gewesen zu sein, damit Amerikas Führer sich endlich dem Problem stellen. Schließlich waren die Berichte des IKRK und von Journalisten sowie die Proteste von Menschenrechtsorganisationen bereits seit einem Jahr in Umlauf.
Es darf bezweifelt werden, dass Bush, Cheney, Rice oder Rumsfeld sie je gelesen haben. Erst die Fotos und Filme konnten ihr Interesse wecken, als klar war, dass sie an die Öffentlichkeit gelangen werden. Es bedurfte der Bilder, um das Entsetzliche für sie Wirklichkeit werden zu lassen. Bis dahin hatte es nur Worte gegeben. Worte sind in unserem Zeitalter der unendlichen digitalen Selbstverbreitung leichter zu vertuschen und werden schneller vergessen.
Diese Bilder werden das Land weiter heimsuchen
Nun werden diese Bilder also weiterhin das Land "heimsuchen". Werden die Menschen sich daran gewöhnen? Manche Amerikaner meinen bereits jetzt, sie hätten langsam genug davon. Nicht so der Rest der Welt. Endloser Krieg: endloser Strom von Fotos. Wird es unter den Redakteuren amerikanischer Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehsendungen zu einer Debatte darüber kommen, ob die Veröffentlichung weiterer Bilder, oder unzensierter Bilder, als schlechter Geschmack oder als zu große politische Beeinflussung zu gelten hat?
Mit letzterem ist gemeint, dass sie dem endlosen Krieg der Bush-Administration zu kritisch gegenüberstehen. Die Fotos schaden natürlich, wie Rumsfeld in seiner Zeugenaussage festgestellt hat, dem "guten Ruf ehrenhafter Männer und Frauen in der (amerikanischen) Armee, die mutig, verantwortungsbewusst und professionell für unsere Freiheit auf der Welt eintreten."
Es ist dieser Schaden für das Image und den Erfolg Amerikas als imperiale Macht, den die Regierung Bush am meisten bedauert. Worüber unsere gewählten Repräsentanten jedoch kaum debattieren ist die Frage, weshalb Amerika zum Schutz seiner "Freiheiten" - damit sind natürlich nur die der Amerikaner gemeint, die fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen - in jedem Land seiner Wahl, überall auf der Welt, seine Soldaten stationieren muss. Amerika sieht sich als potenzielles Opfer künftiger terroristischer Angriffe und will sich nur verteidigen gegen seine unversöhnlichen, hinterhältigen Feinde. Die Gegenreaktion hat bereits eingesetzt.
Amerikaner werden davor gewarnt, in einer Orgie der Selbstverurteilung zu versinken. Viele sehen in der andauernden Veröffentlichung neuer Bilder einen Angriff auf das Recht des Landes, sich zu verteidigen. Schließlich haben die anderen - die Terroristen, die Fanatiker - angefangen. Sie - Osama bin Laden? Saddam Hussein? Aber wo liegt schon der Unterschied? - haben zuerst angegriffen. James Inhofe aus Oklahoma, republikanisches Mitglied des Streitkräfteausschusses im Kongress, vor dem Rumsfeld ausgesagt hat, erklärte, er sei wohl nicht als einziger in diesem Ausschuss mehr über die allgemeine Empörung empört als über das, was die Fotos zeigen.
"Diese Gefangenen sind nicht wegen der Übertretung irgend einer Verkehrsregel eingesperrt. In Zellenblock 1-A oder 1-B werden Mörder festgehalten, Terroristen und Aufständische. Viele von ihnen haben wahrscheinlich amerikanisches Blut an ihren Händen kleben, und wir machen uns hier verrückt wegen der Behandlung dieser Individuen." An alledem sind natürlich "die Medien" schuld.
Meist werden sie "die liberalen Medien" genannt. Sie provozieren zu weiterer Gewalt gegen Amerikaner überall auf der Welt. "Sie" werden sich revanchieren. Noch mehr unserer Landsleute werden sterben. Wegen dieser Fotos. Und die Fotos werden neue Fotos hervorbringen - "ihre" Antwort auf die unseren.
Es wäre ein Fehler, die Enthüllungen über das amerikanische Militär und die zivile Genehmigung von Folter im "globalen Krieg gegen den Terrorismus" zu einer Geschichte über den Krieg der Bilder - und gegen die Bilder - umzuschreiben. Es sind nicht die Fotos, auf die es ankommt, sondern das, was sie enthüllen; das, was geschehen ist auf Veranlassung und mit dem stillen Einverständnis einer Kommandokette, die bis in die höchsten Ränge der Bush-Administration hinaufreicht.
Doch das Vermögen, zwischen Foto und Wirklichkeit, zwischen Grundsätzen und Taktieren zu unterscheiden, kann leicht dahinschwinden. Darauf hofft die US-Regierung. "Es existieren noch weit mehr Fotos und Videos", bestätigte Rumsfeld in seiner Aussage. "Gelangen sie an die Öffentlichkeit, wird alles noch schlimmer".
Schlimmer für die Regierung und ihre Vorhaben vielleicht, nicht aber für tatsächliche und potenzielle Folteropfer. Die Medien können sich selbst beschränken, wie es die Regierung wünscht. Doch es ist schwierig, Soldaten im Ausland einer Zensur zu unterwerfen, wie Rumsfeld einräumte. Sie schreiben heute keine Briefe mehr nach Hause wie früher, die von militärischen Stellen geöffnet werden konnten, um inakzeptable Stellen zu schwärzen.
Stattdessen laufen sie wie Touristen herum, oder, um es mit Rumsfelds Worten auszudrücken: "Sie laufen mit ihren Digitalkameras herum, knipsen diese unglaublichen Fotos und reichen sie verbotenerweise und zu unserer Überraschung an die Medien weiter." Die US-Administration ist bemüht, sich der Bilderflut an mehreren Fronten entgegenzustemmen. Zur Zeit wird auf juristische Argumente gesetzt.
Die Fotos gelten jetzt als "Beweismaterial" für künftige Strafprozesse, und es könnte als unberechtigte Einflussnahme gewertet werden, wenn sie vorher an die Öffentlichkeit gelangen. Die Veröffentlichung der neueren Bilder, die noch grauenvollere Gewalt gegen Gefangene und üblere sexuelle Demütigungen zeigen, wird umstritten bleiben.
Der republikanische Vorsitzende des Streitkräfteausschusses, John Warner aus Virginia, erklärte nach der Dia-Show am 12. Mai im Kongress, er sei "strikt dagegen", diese neueren Fotos für die Öffentlichkeit frei zu geben. "Ich fürchte, dass die Männer und Frauen in der Armee, die ihren Dienst unter hohem Risiko leisten, dadurch in Gefahr geraten könnten."
Der entscheidende Antrieb, die Aufnahmen unter Verschluss zu halten, rührt indes von den Bemühungen her, die Bush-Administration zu schützen und die Misswirtschaft der Amerikaner im Irak zu vertuschen. Empörte Äußerungen über die Fotos sollen künftig mit einer Kampagne zur Untergrabung amerikanischer Militärmacht und ihrer derzeitigen Ziele gleichgesetzt werden. Auch als im Fernsehen Bilder hingerichteter amerikanischer Soldaten gezeigt wurden, werteten viele dies als verdeckte Kritik am Irakkrieg. Wer trotzdem weiterhin neue Folter-Fotos verbreitet und damit dem Ruf und dem Image Amerikas schadet, wird sich zunehmend dem Vorwurf aussetzen, unpatriotisch zu sein.
Schließlich befinden wir uns im Krieg. In einem endlosen Krieg. Und Krieg ist die Hölle. "Mich interessiert nicht, was internationale Anwälte daherreden. Wir werden der Welt noch zeigen, wer wir sind." (George W. Bush am 11. September 2001). Hey, wir wollen doch nur ein bisschen Spaß haben. In unserem digitalen Spiegelsaal werden die Bilder wieder und wieder auftauchen. Es scheint wahr zu sein, dass ein Bild tausend Worte wert ist. Auch wenn unsere Politiker nicht mehr hinsehen wollen: Es werden noch Tausende neuer Schnappschüsse und Videos auftauchen, und nichts wird sie aufhalten können.
Weil sie für die "Würde des freien Denkens" eintrat, hat die 1933 in New York geborene Schriftstellerin Susan Sontag 2003 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. Zuletzt erschien ihr Roman "In America" und ein Band über Kriegsfotografie: "Das Leiden anderer betrachten".