Justiz:Der Folterknecht von Homs

Justiz: Alaa M. im Gerichtssaal in Frankfurt, wo er sich wegen Mord und Folter verantwortet muss.

Alaa M. im Gerichtssaal in Frankfurt, wo er sich wegen Mord und Folter verantwortet muss.

(Foto: Boris Roessler/AFP)

In Frankfurt steht ein Mann vor Gericht, der in Syrien Gefangene misshandelt und sich als Erfinder einer neuen Foltermethode gerühmt haben soll. In Deutschland arbeitete er als Arzt - und galt als Beispiel geglückter Integration.

Von Annette Ramelsberger, Frankfurt

Wer sich mit den Abgründen der Menschheit beschäftigt, erfährt immer wieder Dinge, die man gar nicht wissen will. Dass es verschiedene Arten von Folterknechten gibt, zum Beispiel. Kategorie eins: die Befehlsempfänger, die stur nach Befehl handeln und das Gewissen ausschalten. Kategorie zwei: die Zweifelnden, die sich ihr Tun schönreden und irgendwann den Dienst quittieren. Und Kategorie drei: die Überzeugungstäter und Sadisten, die es richtig finden oder denen es sogar gefällt, was sie tun. Es gibt auch verschiedene Handschriften von Folterern: Der eine schlägt, der andere setzt auf Elektroschocks.

In Frankfurt steht nun ein Mann vor Gericht, der eine ganz eigene Foltermethode entwickelt haben soll: Laut Anklage des Generalbundesanwalts schüttete er Alkohol auf die Genitalien seiner Opfer und zündete sie dann an.

Was Überlebende aus den Folterkellern des syrischen Machthabers Assad über diesen Mann erzählen, kann man kaum glauben. Und doch berichten mehrere Zeugen, wie der Angeklagte einem 14 Jahre alten Jungen, fast noch ein Kind, in der Notaufnahme des Militärkrankenhauses Nr. 608 in Homs im Sommer 2011 den Penis verbrannte. "Lass uns mal gucken, ob du ein Mann bist", soll er gesagt haben. Auch einen erwachsenen Mann habe er auf diese Weise gefoltert und dabei zugeschaut, wie sein Penis brannte.

Ehemalige Kollegen des Angeklagten berichten, er habe damit geprahlt, dass er eine neue Foltermethode erfunden habe. Der Folterknecht von Homs raubte den Gefangenen laut Anklage die Möglichkeit, sich fortzupflanzen. Dies gilt nach dem Völkerstrafgesetzbuch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Er raubte den Männern aber auch ihr Sexualleben und ihr Selbstwertgefühl.

Was rechtlich noch schwerer wiegt: Der Mann soll einen Häftling, der sich gegen ihn gewehrt hatte, von Schergen festhalten lassen und ihn dann mit einer Giftspritze getötet haben, um seine Macht vor den anderen Gefangenen zu demonstrieren. Er werde ihn in den Himmel schicken, wo die Jungfrauen warten, soll er gesagt haben, berichten Zeugen. Der Gefangene bat noch, seine Mutter zu grüßen, dann starb er.

Die Kollegen von Alaa M. konnten es nicht glauben, als er an seinem Arbeitsplatz festgenommen wurde

Für alle diese Taten steht vor dem Oberlandesgericht Frankfurt der Syrer Alaa M., 37, vor Gericht. Die Bundesanwaltschaft hat ihn des Mordes an einem sowie der Folter an 18 Menschen angeklagt. Das Erschreckende: Der Mann ist Arzt, in Deutschland. Seit Jahren praktiziert er hier. Er wohnt mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern in Hessen, verdiente sehr gut, wollte sich bald ein Haus kaufen. Eine erfolgreiche Karriere. Seine Kollegen schätzten ihn. Sie konnten es nicht glauben, als er im Juni 2020 an seinem Arbeitsplatz festgenommen wurde.

Dieses Gefühl schleicht sich auch in den Gerichtssaal in Frankfurt: Aus dem Anorak, dessen Kapuze er sich tief ins Gesicht gezogen hat, schält sich ein adretter Herr in dunklem Anzug und weißem Hemd. Sauber rasiert, mit dunkler, ruhiger Stimme, er spricht relativ gut Deutsch, lernt es seit vielen Jahren, schon als er noch in Syrien lebte. Unaufgeregt wirkt der Angeklagte, besonnen, nur hin und wieder macht er sachgerechte Anmerkungen, nicht zu viel, nicht zu wenig. Man kann ihn sich gut bei der Visite im Krankenhaus vorstellen. Dieser Mann soll auf so unvorstellbare Weise gefoltert haben?

"Wir werden die Anklage widerlegen", sagt sein Anwalt Ulrich Endres. "Die Beweise, die der Generalbundesanwalt vorlegt, halten der Prüfung nicht stand." Alaa M. sei 2011 und 2012, als er gefoltert haben soll, gar nicht in einem Militärkrankenhaus gewesen.

Alaa M. ist 2015 nach Deutschland gekommen, nicht mit dem großen Flüchtlingstreck, sondern per Flugzeug mit dem Visum der deutschen Botschaft, als Mediziner, ein Beruf, an dem in Deutschland Mangel herrscht. Er kam, ließ sich nieder, fand schnell Arbeit. Die niedersächsische Ärztekammer verlieh ihm 2019 den Facharzttitel für Orthopädie und Unfallchirurgie. Ein ruhiger, unauffälliger, sensibler Kollege, hat einer seiner Arbeitgeber mitgeteilt. Eine geglückte Integration - auf den ersten Blick.

Patienten soll er als "Küchenschaben" und "Terroristen" beschimpft haben

Auf den zweiten scheint Alaa M. ein überzeugter Anhänger des Assad-Regimes zu sein, der Patienten, die ins Militärkrankenhaus kamen, wie Feinde behandelte, sie ins Gesicht oder auf vereiterte Wunden trat und auch vor einem Epileptiker nicht Halt machte. Der Mann starb nach den Misshandlungen. Immer wieder berichteten Zeugen von seiner Spezialität, Gefangene mit Alkohol zu übergießen und sie dann anzuzünden. Die beiden Staatsanwältinnen werfen Alaa M. vor, er habe die Patienten als "Küchenschaben" und "Terroristen" beschimpft und seine absolute Macht über die Gefangenen demonstrieren wollen. Der Mann sitzt wegen Fluchtgefahr in Haft, er hatte die syrische Botschaft kontaktiert, um außer Landes zu fliehen.

Alaa M. kommt aus einer arrivierten christlichen Familie. Die Mutter Lehrerin, der Vater Steuerberater, man fühlt sich dem Assad-Regime verbunden. Er selbst studierte von 2003 bis 2009 in Aleppo Medizin, bestand mit der Note "gut", die Facharztausbildung mit "sehr gut". Dann habe er seine Erkenntnisse vertiefen und ins Ausland gehen wollen, sagt er. Das Gericht liest seine Zeugnisse vor. Ein fleißiger, zuverlässiger und engagierter Arzt, sei er. "Sein Verhalten war vorbildlich." Das Gesundheitsamt Homs schreibt: "Er zeichnet sich durch einen guten Charakter und guten Ruf aus."

Das mit dem Charakter sieht die Bundesanwaltschaft geringfügig anders. Man kämpfe mit der Anklage gegen Alaa M. auch für die Geltung des Weltrechtsprinzips und gegen die Straflosigkeit schwerster Straftaten, erklärte Oberstaatsanwältin Anna Zabeck. Sie dankte den Überlebenden für ihren Mut, an der Strafverfolgung als Zeugen teilzunehmen.

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