Nach vier Jahren, drei Monaten und elf Tagen schwiegen die Waffen. Und danach war fast nichts mehr, wie es vorher gewesen war. Zumindest erschien es vielen Zeitgenossen so, die miterlebt hatten, welch unfassbare Leiden der große Krieg über die Menschen gebracht hatte.
Das alte Europa ging in diesen turbulenten Tagen des Winters 1918 unter - mit dem ersten Krieg, der fast die ganze Welt erfasst hatte, dem ersten totalen Krieg: einem Krieg mit totalen Zielen, geführt mit dem totalen Einsatz aller verfügbaren technischen Mittel und, damit verbunden, einem unbeschreiblichen Massensterben in den Schützengräben sowie einer bis dahin ungekannten Mobilisierung der "Heimatfront".
Am 11. November 1918 unterzeichnete Staatssekretär Matthias Erzberger im Wald von Compiègne einen Waffenstillstandsvertrag. Und dieser Vertrag besiegelte die totale Niederlage des deutschen Hegemonialstrebens in Europa - für kurze Zeit.
Zweig träumt von einer besseren Welt, ein anderer Österreich beschließt "Politiker zu werden"
Diese vier Jahre des totalen Krieges hinterließen bei allen Beteiligten tiefe Spuren, und das Ende, nachdem ganze Landstriche in Frankreich und Belgien buchstäblich von Granaten umgepflügt und blutgetränkt zurückgelassen worden waren, rief die unterschiedlichsten Reaktionen hervor.
Der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig glaubte, naiv, wie er in der Rückschau ("Die Welt von gestern") zugab, nun sei "der Krieg für alle Zeiten erledigt. (...) Nie war so viel Gläubigkeit in Europa wie in diesen ersten Tagen des Friedens. Denn jetzt war doch endlich Raum auf Erden für das langversprochene Reich der Gerechtigkeit und Brüderlichkeit, jetzt oder nie die Stunde für das gemeinsame Europa, von dem wir geträumt. Die Hölle lag hinter uns, was konnte nach ihr uns noch erschrecken? Eine andere Welt war im Anbeginn. Und da wir jung waren, sagten wir uns: es wird die unsere sein, die Welt, die wir erträumt, eine bessere, humanere Welt."
Zeitgleich lag ein anderer junger Österreicher, der als Freiwilliger für die bayerische Armee gekämpft hatte, in einem Lazarett in Pommern. Als er von der Niederlage erfuhr, brach seine Welt zusammen. Der 29 Jahre alte Gefreite Adolf Hitler beschloss, wie er es später stilisierte, "Politiker zu werden".
Der Erste Weltkrieg, diese "Urkatastrophe" des 20. Jahrhunderts, wie der US-Diplomat und Historiker George F. Kennan 1979 schrieb, lässt sich in Statistiken nicht annähernd beschreiben. Und doch geben ein paar Zahlen zumindest eine Ahnung von den kaum fassbaren Dimensionen.
1918 befanden sich knapp 40 Staaten direkt oder indirekt miteinander im Kriegszustand, etwa 60 Millionen Soldaten (in Deutschland: 13,2 Mio.) standen unter Waffen, etwa zehn Millionen Männer (in Deutschland: 2,04 Mio.) wurden in dieser "Knochenmühle" getötet - niedergemäht im Kugelhagel, abgeschlachtet in bestialischen Nahkämpfen, verreckt an Erschöpfung in den Schützengräben.
Etwa 20 Millionen Kombattanten wurden verwundet. Und auch die Zahl der zivilen Opfer geht in die Millionen. Nicht zu erfassen mit Statistiken sind freilich die millionenfachen Traumatisierungen und psychischen Verwundungen - die der Soldaten und die der Angehörigen in der Heimat. Und nicht erfasst sind auch die unterschiedlichsten Hoffnungen und Befürchtungen, die sich an das Kriegsende knüpften.
Eine friedlichere, bessere und humanere Welt im Sinne von Stefan Zweig wurde aber nach dem Blutrausch ganzer Völker nicht geschaffen.
Geschaffen wurden vielmehr zahllose neue Konfliktherde nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie, dem Untergang des Osmanischen Reiches und den revolutionären Umwälzungen im einstigen Zarenreich; geschaffen wurden neuer Hass, etwa durch den Genozid der Türken an den Armeniern, und ethnische Konflikte durch die Entstehung neuer, oft wenig homogener Staaten in Südost- und Osteuropa, was zum fatalen Aufstieg diverser autoritärer Systeme führte; geschaffen wurde neuer Streit durch die Neuordnung der Herrschaftsansprüche in Afrika und Asien (da Deutschland alle seine Kolonien an die Siegermächte abtreten musste).
Und geschaffen hatte der Krieg letztlich auch eine neue Großmacht jenseits des Atlantiks: Die Vereinigten Staaten blieben seit dem Kriegseintritt 1917 ein entscheidender Machtfaktor in Europa - sei es durch ihre politischen Forderungen nach einer demokratischen Neuordnung auf dem alten Kontinent, sei es später durch die Wiederaufbauhilfe für die "Weimarer Republik".