Folgen der deutschen Libyen-Politik:Saat des Misstrauens

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Altkanzler Kohl bescheinigt Deutschland, international keine berechenbare Größe mehr zu sein - und er hat recht. Mit ihrer einsamen Entscheidung zur Nato-Operation in Libyen haben Kanzlerin Merkel und Außenminister Westerwelle den Verdacht genährt, dass auf die deutsche Außenpolitik kein Verlass ist. Die Regierung muss deutlich machen, wo sie steht. Die Verbündeten haben ein Anrecht darauf.

Daniel Brössler

Je kleiner die Zweifel am Ende des Regimes von Muammar al-Gaddafi werden, desto mehr redet der Außenminister. Guido Westerwelle erinnert an die vielen Opfer der Kämpfe in Libyen. Er äußert Sorge, weil der verbrecherische Herrscher immer noch nicht endgültig besiegt zu sein scheint und bekundet die Hoffnung, dass die Aufständischen den Weg zur Einigkeit und zur Demokratie finden.

Außenminister Westerwelle erntet noch immer Kritik wegen der einsamen Entscheidung der Bundesregierung zum Libyen-Einsatz. (Foto: dpa)

Er hat mit alledem Recht. Das ist so, obwohl alle Welt weiß, dass er so viel spricht, weil er doch noch recht behalten will mit der einsamen Politik Deutschlands in Sachen Libyen. Falsch klingen seine Worte nur, weil Guido Westerwelle für die Leistungen der Verbündeten kein Wort der Anerkennung findet. Es ist dieses Schweigen, das beweist, dass auch Helmut Kohl recht hat.

Der Altbundeskanzler bescheinigt Deutschland, seit Jahren keine berechenbare Größe und kein verlässlicher Partner mehr zu sein. Er meint dabei das Lavieren durch die Krise Europas, aber auch das Verhalten im Sicherheitsrat im Falle Libyen. Die Bundesregierung hatte sich in der Abstimmung über die Flugverbotszone der Stimme enthalten und dies damit begründet, man sei in einem sehr speziellen Fall zu einer etwas anderen Einschätzung gelangt als die Partner.

Eine Abwägung nannte es der Außenminister. Das sollte verhüllen, dass es sich um eine historische Entscheidung handelte. Etwas näher bei der Wahrheit wurde die Sorge ins Feld geführt, die Bundeswehr überzustrapazieren, die bereits in Afghanistan, auf dem Balkan und den Weltmeeren eingesetzt ist. Ein Ja zur UN-Resolution, wurde behauptet, wäre automatisch als Ja zu einer Beteiligung an einer Nato-Operation in Libyen verstanden worden.

Nicht nur Kohl musste den Eindruck einer Entscheidung gewinnen, die nur aus dem Moment heraus getroffen wurde in Furcht vor den Wählern in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, wo kurz danach Landtagswahlen anstanden. Die Dinge liegen leider noch schlimmer, denn es gibt sehr wohl eine Richtung und ein Ziel.

Mit voller Unterstützung von Kanzlerin Angela Merkel verfolgt der Außenminister eine Art Westerwelle-Doktrin. Sie postuliert schlicht: so wenig militärisches Engagement im Ausland wie möglich. Das gilt zwar, seit das vereinigte Deutschland überhaupt wieder vor dieser Frage steht.

Bis vor kurzem aber galt jener Zusatz, der Bundeswehr-Soldaten zunächst ins frühere Jugoslawien und dann nach Afghanistan geführt hat. So viel militärisches Engagement im Ausland wie nötig, um der internationalen Verantwortung und den Pflichten im Bündnis gerecht zu werden, lautet er. Von Westerwelle wird bleiben, dass dieser Satz weggefallen ist.

Mit den Folgen dieser Wende bekommt es die deutsche Politik künftig zu tun. Die Ehrungen, mit denen die Kanzlerin in Washington überhäuft worden ist, können davon allenfalls ablenken. Wenn die Bundesregierung nun darauf verweist, alle seien doch nach wie vor nett zu ihr, so ist das rührend. Deutschland ist, mit Verlaub, nicht Luxemburg. Andauerndes öffentliches Grollen können sich die Partner gar nicht erlauben.

Deutschland wird gebraucht, nicht zuletzt wegen seiner Wirtschaftsmacht. Was die Bundesregierung sicherheitspolitisch gesät hat, ist stilles Misstrauen. Trotz des erheblichen Einsatzes der Bundeswehr etwa in Afghanistan wird der Verdacht bleiben, dass auf die Deutschen im Zweifelsfall kein Verlass ist. Die Folgen lassen sich erahnen.

Kurzfristig geht es um die routiniert in Abrede gestellte deutsche Bringschuld in Libyen. Wenngleich die Verbündeten und auch die libyschen Übergangsführer taktvoll darüber hinweggehen, muss die Bundesregierung mit einer fürchterlichen Annahme leben: jener, dass es heute gar keine libysche Opposition mehr gäbe, hätte sich Deutschland mit seiner Skepsis durchgesetzt.

Mag sein, dass Westerwelle wirklich glaubt, dass seine Sanktionspolitik ausgereicht hätte, um Gaddafi zu stoppen , und dass ihn darum kein schlechtes Gewissen plagt. Die anderen aber werden die potentielle Schuld nicht vergessen und sie beim Aufbau in Libyen in Rechnung stellen. So erklärt sich, dass Verteidigungsminister Thomas de Maizière die Entsendung von Blauhelm-Soldaten "konstruktiv" prüfen will, bevor die UN danach gefragt haben.

Damit die bisherige Libyen-Politik noch einen Sinn ergibt, käme aber nur eine Entsendung in einen relativ risikoarmen Einsatz in Frage. Der Verteidigungsminister, der nach seinem Amtsantritt über die Verantwortung Deutschlands in der Welt gesprochen hatte, wird Schwierigkeiten bekommen, diesen Anspruch auch einzulösen.

Deutschland muss erst einmal klären, welche Lehren es aus den vergangenen 20 Jahren zieht: War es falsch, den Kosovaren zur Hilfe zu kommen? Würde es nach einem neuen 11. September seine Solidarität verweigern?

Bequem ist es, mit Verweis auf die Ohnmacht im Falle Syriens die Doppelmoral in der Welt zu beklagen. Doch das klärt noch nicht, was man selbst von der Schutzverantwortung für Zivilisten im Völkerrecht hält. Helmut Kohl hat recht. Die Deutschen müssen deutlich machen, wo sie stehen. Die Verbündeten haben einen Anspruch darauf zu erfahren, ob sie auf Deutschland noch zählen können.

© SZ vom 25.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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