Flutkatastrophe:Tag des Schmerzes

Flutkatastrophe: Ein Jahr nach der Katastrophe: Kanzler Olaf Scholz, Landrätin Cornelia Weigand und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer bei der Gedenkfeier im Ahrtal.

Ein Jahr nach der Katastrophe: Kanzler Olaf Scholz, Landrätin Cornelia Weigand und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer bei der Gedenkfeier im Ahrtal.

(Foto: Thomas Frey/dpa)

In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli zerstörte in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen ein Hochwasser ganze Regionen. Ein Jahr später bemüht sich die Politik um ein Signal: Wir haben die Menschen nicht vergessen. Aber viele Fragen sind noch offen.

Von Gianna Niewel, Bad Neuenahr-Ahrweiler

Da ist die Frau aus Sinzig, die 50 Meter von der Ahr entfernt gewohnt hat. Ihre Großeltern haben das Haus 1947 gebaut, die sagten: "Die Ahr kütt net in de Jarden." Aber sie kam, erst in den Garten, dann ins Haus, 1,70 Meter hoch. "Wir sind körperlich und seelisch erschöpft." Da ist die Frau aus Schuld, die ihr Haus nur verlassen hat, weil die Kinder sie darum baten, und als sie in Sicherheit war, konnte sie sehen, wie das Wasser die Fensterscheiben zerdrückt. Sie haben entrümpelt, entschlammt, aber erst jetzt merkt sie, was ihr fehlt, zum Beispiel Fotoalben. Da ist die Frau, die am Abend in einem Seniorenheim in Altenburg gearbeitet hat. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen hat sie 87 Menschen nach oben gebracht, niemand ist gestorben. Als sie das sagt, klatschen die Menschen bei der Gedenkveranstaltung im Kurpark in Bad Neuenahr-Ahrweiler.

Ein Jahr ist seit der Flutkatastrophe vergangen. Ein Jahr erst.

In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 regnete es über Teilen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, so wie es in den Tagen zuvor geregnet hatte. An den Bächen stiegen die Pegel, Flüsse traten über die Ufer, aus Mosel, Erft, Ahr wurden Ströme. Hubschrauber kreisten über die Dörfer und retteten Menschen mit Seilwinden von den Dächern ihrer Häuser.

184 Menschen starben in der Nacht. Hunderte wurden verletzt, Tausende traumatisiert.

An diesem Donnerstag wollen die beiden Länder erinnern an die Katastrophe, sie wollen zurückschauen, vor allem aber nach vorne. Schon am Mittag war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Altenahr und hatte den Besitzer eines Weinlokals getroffen. Dessen Vater war in der Nacht ertrunken, 83 Jahre alt, er hat nicht nur wiederaufgebaut, er hat auch 99 Weinstöcke gepflanzt für die Helferinnen und Helfer. Die Reben müssen noch gestützt werden, geschützt werden, aber sie wachsen. Am Abend fuhr der Bundespräsident weiter nach Euskirchen, wo er gemeinsam mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) an die Toten erinnerte. "Es ist ein Tag, an dem der Schmerz wieder kaum zu ertragen ist." Es werde noch Jahre dauern, bis die Zerstörungen ganz beseitigt seien.

Flutkatastrophe: Die Kolonne des Bundespräsidenten passiert beim Besuch an der Ahr ein zerstörtes Hotel.

Die Kolonne des Bundespräsidenten passiert beim Besuch an der Ahr ein zerstörtes Hotel.

(Foto: Thomas Frey/dpa)

Zur gleichen Zeit erinnerten im Kurpark in Bad Neuenahr-Ahrweiler, ein paar Meter entfernt von der Ahr, ein paar Meter entfernt von Häusern, die mit Planen verhangen sind und mit Bauzäunen umstellt, nicht nur Betroffene an die Flutkatastrophe. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) war gekommen, Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) auch.

134 Tote, 9000 beschädigte oder zerstörte Häuser

In ihrer Rede sagte Dreyer, sie könne verstehen, dass es den Menschen nicht schnell genug gehe. Erst vor ein paar Wochen hatten 200 Betroffene in Mainz demonstriert, weil sie auf Wiederaufbauhilfe warten, auf Gutachter, Handwerker, Material. Dreyer sagte, sie arbeite hart daran, dass der Wiederaufbau gelinge. Allein hier im Ahrtal sind 42000 Menschen von der Flut betroffen, 9000 Häuser zerstört oder beschädigt. 134 Menschen sind gestorben. Die Verantwortung bestehe jetzt darin, "alles zu überprüfen und Schlüsse zu ziehen, um Extremwetterereignissen besser begegnen zu können".

Nur, welche?

Die politische Aufarbeitung der Flutkatastrophe steht noch am Anfang, vor allem in Rheinland-Pfalz. Dort ermittelt die Staatsanwaltschaft Koblenz gegen den ehemaligen Landrat des Landkreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), und ein weiteres Mitglied des Krisenstabs. Der Verdacht: fahrlässige Tötung durch Unterlassen. Die beiden sollen die Menschen zu spät gewarnt haben. Erst gegen 23.09 Uhr wurde der Katastrophenfall ausgelöst und evakuiert, da waren an der oberen Ahr schon Häuser zusammengebrochen.

Nun mag der Landrat ein besonders krasses Beispiel dafür sein, wie ein Verantwortlicher versagt hat. Aber es versagten wohl auch die Behörden, die Systeme. Schon Tage vor der Flut wurden die Warnungen der Wetterdienste nicht ernst genommen, am Tag selbst funktionierten die Warnketten nicht. Sirenen gingen nicht los, Hubschrauber waren nicht einsatzbereit, im Landkreis Ahrweiler saß die Einsatzleitung in einem Kellerraum ohne Handyempfang. Der Katastrophenschutz wird verändert werden, und die Menschen hoffen darauf, dass es schnell geschieht.

Im Kurpark in Bad Neuenahr-Ahrweiler spricht jetzt ein Ehepaar, sie hatten eine Bäckerei. Am Morgen nach der Flut mussten sie all die Lebensmittel wegwerfen, das Mehl, die Maschinen, aber sie hatten Hilfe von Menschen, die sie nicht kannten, von einem Bäcker aus Leipzig. Und mit diesem Gefühl, nicht allein gewesen zu sein, möchten sie weitermachen.

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