Rheinland-Pfalz:Aufarbeitung mit prominenten Zeugen

Rheinland-Pfalz: Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, im Untersuchungsausschuss des Landtags von Rheinland-Pfalz zur Flutkatastrophe im Ahrtal.

Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, im Untersuchungsausschuss des Landtags von Rheinland-Pfalz zur Flutkatastrophe im Ahrtal.

(Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

In Mainz saßen am Freitagabend Innenminister Roger Lewentz und Ministerpräsidentin Malu Dreyer vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe. Die Opposition wirft der Landesregierung "Untätigkeit und Passivität" vor.

Von Gianna Niewel, Mainz

Es ist dunkel vor den Fenstern des Mainzer Landtags, als sich drinnen noch mal die Journalisten aufstellen, als Mikrofone zurechtgeschoben werden, Fotokameras blitzen, Fernsehkameras laufen, als alle auf einen Stuhl schauen.

Seit Oktober tagt der Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe, auf dem Stuhl haben schon Staatssekretäre gesessen, Bürgermeister, Klimaexpertinnen, Menschen, die erklären sollten, wieso der kleine Fluss Ahr im vergangenen Sommer zu einem reißenden Strom werden konnte, was sie wann wussten über Pegelstände, Prognosen, das Ausmaß der Zerstörung.

An diesem Freitag stellten sich besonders viele Journalisten auf, weil die Zeuginnen und Zeugen so bekannt waren: Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Innenminister Roger Lewentz (beide SPD). Wann hatten sie welche Informationen? Was haben sie damit angefangen?

"Ich höre, dass der Höchststand Hochwasser erst morgen Mittag erreicht ist?"

Ministerpräsidentin Malu Dreyer nimmt um kurz nach 22 Uhr Platz, da haben die Abgeordneten seit 13 Stunden Zeuginnen und Zeugen gehört. Sie legt ihre Notizen vor sich auf den Tisch, eng beschriebene Blätter, einige unterstrichene Stellen.

Am 14. Juli 2021, am Tag der Flut, habe sie ein schweres Hochwasser erwartet, es habe allerdings keine Hinweise darauf gegeben, "dass es zu einer solchen nie da gewesenen Flutkatastrophe kommen würde". Nicht am Nachmittag, als der Innenminister ein gemeinsames Plenum verließ, um in die Region zu fahren, nicht am Abend, als er ihr auf dem Rückweg von dort berichtete, er habe einen "ruhig und konzentriert arbeitenden" Krisenstab erlebt. Noch um 21.42 Uhr - da hatte die Ahr schon Häuser zerstört - schrieb sie ihm eine SMS: "Ich höre, dass der Höchststand Hochwasser erst morgen Mittag erreicht ist? Ist ja wirklich schlimm."

Woher sie diese falsche Information hatte?

Dreyer sagt, sie könne sich nicht mehr erinnern.

Ob sie wusste, dass die Leiterin der Landesamts für Umwelt bereits um 18.44 Uhr in einer Mail an mehrere Staatssekretäre schrieb: "Hier bahnt sich eine Katastrophe an"?

Dreyer sagte, darüber sei sie nicht informiert worden.

Um 0.58 Uhr schrieb ihr der Innenminister: "Die Lage eskaliert (...) es kann Tote geben / gegeben haben. Unsere Hubschrauben flogen drüber, bekamen Lichtzeichen mit Taschenlampen, konnten aber nicht runter gehen. Es gab wohl ganz traurige Szenen."

Dreyer sagte, diese SMS habe sie erst gegen 5 Uhr am nächsten Morgen gesehen.

Dreyer sagt, sie habe dem Katastrophenschutz vertraut

Und so bleibt sie bei ihren Kernaussagen, auch wenn die Abgeordneten weiter fragen. Die erste: Am 14. Juli sei das Ausmaß der Katastrophe nicht absehbar gewesen. Die zweite: Es habe in Rheinland-Pfalz immer wieder Hochwasser gegeben, am Rhein, an kleineren Flüssen, an Hornbach und Schwarzbach. Der Katastrophenschutz vor Ort sei erfahren, sie habe ihm vertraut, zusätzlich habe die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion den Kreisen Hilfe angeboten.

Ähnlich hatte auch schon Roger Lewentz auf Fragen der Abgeordneten geantwortet, ihr Innenminister und Vertrauter. Auch er sei von einem "starken, aber beherrschbaren Hochwasser" ausgegangen, auf dem Weg in den Landkreis Ahrweiler seien die Straßen befahrbar gewesen, die Brücken intakt.

Als er gegen 19.20 Uhr in der Einsatzzentrale ankam, habe er Landrat Jürgen Pföhler (CDU) getroffen, sie hätten sich über den Ort Dorsel unterhalten, wo am Campingplatz Menschen auf ihre Wohnmobile geklettert waren und darauf warteten, von einem Hubschrauber gerettet zu werden, aber Campingplätze, sagte Lewentz am Freitag, lägen oft am Fluss, seien oft überflutet, auch dieser. Ansonsten habe er einen konzentriert arbeitenden Krisenstab erlebt, alle Plätze seien besetzt gewesen, die Computer hätten funktioniert, niemand habe um Unterstützung gebeten.

Dass Jürgen Pföhler an diesem Abend nur kurz im Krisenstab war? Lewentz sagte, das habe er nicht gewusst. Dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krisenstabs im Keller des Landratsamts keinen Handyempfang hatten? Lewentz sagte, das habe er nicht bemerkt. Auch Wörter wie Flut oder Sturzflut seien nicht gefallen. Gegen 19.45 Uhr verabschiedete er sich wieder.

Wieso hat Lewentz die Einsatzleitung nicht an sich gezogen?

Roger Lewentz redete ausführlich an diesem Freitag, er listete Telefonate, die er geführt hat, SMS, die er geschrieben hat, er wollte der Frage zuvorkommen, die in den Wochen nach der Flut immer wieder gestellt wurde: Wieso er nicht die Einsatzleitung an sich gezogen habe, statt sie dem Landrat zu überlassen. Lewentz sagte, er habe dieses Angebot gemacht, der Landrat habe dem Land aber erst am 17. Juli die Leitung übertragen.

Gegen Jürgen Pföhler und ein weiteres Mitglied des Krisenstabs ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft Koblenz. Der Vorwurf: fahrlässige Tötung durch Unterlassen. Sie hätten viel zu spät den Katastrophenfall ausgelöst, in einem Heim der Lebenshilfe in Sinzig seien Menschen ertrunken, weil sie nicht mehr in höher gelegene Stockwerke gebracht werden konnten.

Vor dem Mainzer Landtag ist es kurz vor Mitternacht, als alle Zeuginnen und Zeugen vernommen sind, als der Stuhl im Plenarsaal leer ist und auch leer bleibt. Die Opposition verabschiedet sich mit zwei Forderungen: Die Freien Wähler wollen noch einmal den Rücktritt von Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne). Sie war im vergangenen Sommer Umweltministerin in Mainz und als solche zuständig für den Hochwasserschutz und die Prognose der Pegel. Noch am Nachmittag des 14. Juli aber ließ sie eine Pressemitteilung verschicken, in der stand, es drohe "kein Extremhochwasser" - auch später am Abend korrigierte ihr Ministerium die nicht. Am Freitag warf ihr ein Krisenforscher vor, sie habe damit ein "kommunikatives Chaos" ausgelöst.

Aus der CDU hieß es, die zuständigen Ministerien hätten sich nur unzureichend ausgetauscht, der parlamentarische Geschäftsführer sprach von "Untätigkeit und Passivität" der Landesregierung. Sowohl die Ministerpräsidentin als auch den Innenminister sollten noch einmal vorgeladen werden, wenn alle Akten ausgewertet seien.

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