Flutkatastrophe in Pakistan:Poker um die Herzen

Der Westen hat erkannt, dass er mit humanitärer Hilfe die Pakistaner gewinnen kann - die Taliban reagieren darauf nervös. Es ist ein Spiel mit Einsätzen in Millionenhöhe.

Janek Schmidt

Es hat mehr als drei Wochen gedauert, Wochen des dauerhaften Regens und menschlichen Leidens in Pakistan. Doch nun hat der Druck der Wassermassen ein solches Ausmaß erreicht, dass auch in westlichen Hauptstädten die Erkenntnis durchsickerte: Die Überschwemmungen sind mehr als eine menschliche Katastrophe.

Flutkatastrophe in Pakistan - Soldaten helfen Flutopfern

Ein pakistanischer Hubschrauber auf dem Weg zu den Opfern der Flut. An Bord sind Lebensmittel.

(Foto: dpa)

Sie sind auch eine politische Chance, jene Menschen zu erreichen, deren Herzen in einem bald zehnjährigen Krieg gegen den Terrorismus nicht gewonnen werden konnten. Damit ist die humanitäre Hilfe zum strategischen Schaukampf geworden, den der Westen nun mit den Taliban eröffnet hat.

Bereits am Mittwoch hatten mehrere Staaten mit dieser Erkenntnis ihre Hilfszusagen nach oben geschraubt. Deutschland verfünffachte seine zugesagte Unterstützung von zwei auf zehn Millionen Euro. Die EU-Kommission erhöhte ihre Hilfe von 30 auf 40 Millionen Euro und die USA übertrafen sogar die europäischen Partner, indem sie ihre Zusage von umgerechnet 27 Millionen Euro um weitere 15 Millionen Euro aufstockten.

Taliban lehnen Hilfe aus den USA ab

Wie politisch bedeutend diese Vorstöße waren, erkannten auch die pakistanischen Taliban. Aus Sorge, ihren Einfluss an westliche Helfer zu verlieren, forderten sie Pakistans Regierung und die Menschen dazu auf, die Hilfe aus den USA auszuschlagen. Stattdessen würden die Extremisten für die von Washington zunächst in Aussicht gestellten 15 Millionen Euro aufkommen. "Für die Taliban wäre eine solche Summe schwer zusammenzubekommen", sagt jedoch Vanda Felbab- Brown vom amerikanischen Institut Brookings.

Schätzungen zufolge verzeichneten die afghanischen Taliban vergangenes Jahr Einnahmen von etwa 80 Millionen Euro - die Hälfte davon aus dem Verkauf von Mohn für Heroin und den Rest durch Spenden von Sympathisanten sowie dem Eintreiben von Straßenmaut und Steuern auf örtlich gewonnene Rohstoffe wie Holz oder Marmor.

Die pakistanischen Taliban verfügten über weniger Geld, da in Pakistan mehrere islamistische Organisationen um die Einkünfte konkurrierten, sagt Felbab-Brown. "Es ging den Extremisten bei ihrer Ankündigung aber auch mehr um ein politisches Zeichen, und sie könnten schon einen Erfolg vorweisen, wenn tatsächlich einige Dörfer Hilfe aus dem Westen ablehnten."

Humanitäres Wettrüsten

In diesem Poker um die Herzen der Pakistaner konterten die USA umgehend und erhöhten ihrerseits den Einsatz. "Die internationale Gemeinschaft hat noch nicht erkannt, welche Dimension diese Katastrophe hat", sagte der US-Sondergesandte Richard Holbrooke in der Nacht zum Donnerstag. "Überschwemmungen sind keine plötzlichen Krisen wie Erdbeben, sondern wachsen und werden zunächst unterschätzt, das ist auch in Pakistan passiert." Folglich erhöhte seine Regierung ihre Hilfszusage um umgerechnet 13 Millionen auf mittlerweile 55 Millionen Euro.

Essen gegen Ansehen

Die weitaus brisantere Entscheidung musste allerdings US-Verteidigungsminister Robert Gates treffen. Bereits Anfang der Woche hatte der Chef der pakistanischen Luftstreitkräfte, Marschall Rao Qamar Suleman, die Lieferung von 40 weiteren Helikoptern von den USA gefordert, nachdem die amerikanische Air Force zunächst sechs Chinook-Transporthubschrauber aus Afghanistan nach Pakistan gebracht hatte.

Flutkatastrophe in Pakistan: Haseena Begum hat überlebt. Das ist alles. Ihr Haus haben die Wassermassen mitgerissen.

Haseena Begum hat überlebt. Das ist alles. Ihr Haus haben die Wassermassen mitgerissen.

(Foto: AP)

"Solche Hilfe wie Essenslieferungen und Medizin aus der Luft sind für die Menschen in Pakistan die wichtigste Unterstützung", sagt Farzana Shaikh von der britischen Forschungsorganisation Chatham House. Schon nach dem Erdbeben in Kaschmir 2005 war Amerikas Ansehen in Pakistan gestiegen, nachdem Hubschrauber Notrationen in das Krisengebiet gebracht hatten und Pakistaner die Helikopter Angels of mercy ("Engel der Barmherzigkeit") nannten.

Hubschrauber sind begehrt - und schwer zu bekommen

Obwohl Fluggerät auch in Afghanistan eines der knappsten und militärisch wichtigsten Ausrüstungsgegenstände ist, kündigte Pentagon-Chef Gates in der Nacht zum Donnerstag an, die Zahl der Hubschrauber in Pakistan zu verdreifachen. Mittlerweile brachte das US-Kriegsschiff USS Peleliu 19 Helikopter in die pakistanische Hafenstadt Karatschi. Sie sollen die Chinooks ersetzen, die wieder nach Afghanistan transportiert werden, nachdem sie in Pakistan bereits 3000 Menschen in Sicherheit gebracht und 150 Tonnen Hilfsgüter im Land verteilt haben.

Zudem stellten die USA insgesamt mehr als 430.000 Mahlzeiten und zwölf vorgefertigte Stahlbrücken bereit, die weggeschwemmte Viadukte in den Stammesgebieten und in der Nordprovinz Khyber-Pakhtunkhwa ersetzen.

In diesem strategisch wichtigen Grenzgebiet zu Afghanistan ist der Wettstreit der westlichen Helfer mit den Islamisten besonders stark. So reagierte auch die islamistische Wohlfahrtsorganisation Jamaat ud Dawa umgehend auf die jüngsten amerikanischen Hilfsinitiativen. "Wir verteilen hier Essen, Kleidung, Medizin, Zelte, Werkzeuge und geben jeder Familie umgerechnet 40 Euro Bargeld", sagte ein Sprecher der pakistanischen Dawa in Khyber-Pakhtunkhwa der örtlichen Zeitung Express Tribune. Bislang habe seine Organisation 250.000 Menschen geholfen.

Hoffen auf die Islamisten

Die Unterstützung der Organisation ist besonders umstritten, da sie im Gegensatz zu einigen anderen islamistischen Hilfsorganisationen in Pakistan verboten ist. Auch die UN setzten die pakistanische Dawa im Dezember 2008 auf ihre Terrorliste, nachdem die mit ihr assoziierte Organisation Lashka-e-Taiba für die Anschläge in Mumbai verantwortlich gemacht worden war. "Die Aktivität von Dawa ist ein großes Problem", sagt auch Pakistan-Expertin Felbab-Brown. Die Organisation habe klare Verbindungen zu Extremisten und könne vermutlich mehr als 10.000 Aktivisten für ihren Rettungseinsatz mobilisieren. "Viele Betroffene bauen auf die Islamisten, weil die länger vor Ort sein werden als die ausländischen Helfer."

Diese Gefahr hat auch der US-Gesandte Holbrooke erkannt. Um den Menschen in Pakistan zu zeigen, wie fest die USA zu ihrer Hilfszusage stehen, hat er eine weitere Initiative vorgeschlagen: Im Oktober sollen die westlichen Staaten eine Hilfs-Konferenz für Pakistan in Brüssel abhalten.

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