Süddeutsche Zeitung

Wahlkampf nach der Flutkatastrophe:Wer will diesen Job?

Der Landkreis Ahrweiler wurde auch deshalb am heftigsten vom Hochwasser getroffen, weil der Landrat so spät warnte. Nun wird ein Nachfolger gesucht, der bereit ist, eine ganze Region aufzubauen.

Von Gianna Niewel, Frankfurt

Der Landkreis Ahrweiler ist einer von knapp 300 Landkreisen in Deutschland und einer von 24 in Rheinland-Pfalz, und dass dort am Sonntag ein neuer Landrat oder eine neue Landrätin gewählt wird, stünde normalerweise in der Regionalzeitung. Aber seit dem 14. Juli ist in Ahrweiler nichts mehr normal.

Zum Landkreis gehören Orte wie Dümpelfeld, Dernau, Mayschoß, die vom Hochwasser in weiten Teilen zerstört wurden und in denen noch immer Häuser stehen wie Rohbauten. 134 Tote, 766 Verletzte, Tausende Traumatisierte. Wer hier die Wahl gewinnt, muss eine ganze Region aufbauen.

Nur: Wie soll das gehen? Und wer tut sich das an?

Dass jetzt schon gewählt wird - und nicht erst 2023 -, liegt daran, dass der bisherige Landrat auf eigenen Wunsch in den Ruhestand versetzt wurde. Jürgen Pföhler (CDU) war am Abend der Flut oberster Katastrophenschützer, oder besser, er hätte es sein sollen. Obwohl bereits Tage vorher die ersten Dienste vor Überflutungen gewarnt hatten, obwohl dann am Nachmittag in mehreren Gemeinden an der Ahr Höchstpegelstände gemessen wurden, rief er erst um 23.09 Uhr den Katastrophenfall aus. Viel zu spät.

Der bisherige Landrat ließ sich krankschreiben

Nach der Flut war er kaum zu erreichen, dem General-Anzeiger sagte er, "gegenseitige Schuldzuweisungen" würden "den Ernst der Lage" verkennen. Dann ließ er sich krankschreiben.

Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft Koblenz gegen ihn und einen weiteren Mitarbeiter des Krisenstabs. Der Verdacht: fahrlässige Tötung und Körperverletzung durch Unterlassen. Allein in Sinzig starben im Haus der Lebenshilfe zwölf Menschen, die wohl hätten gerettet werden können, wenn sie früher gewarnt worden wären.

An diesem Sonntag wird nun ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin gesucht und obwohl vier Namen auf dem Wahlzettel stehen, dürfte es auf zwei hinauslaufen. Chancen hätte zunächst einmal Horst Gies (CDU), der das Amt übergangsweise übernommen hat. Er will ein modernes Lagezentrum bauen, digitale Sirenen, katastrophensichere Stromtrassen. Was passiert ist, soll sich in der Form nicht mehr wiederholen können.

Ebenfalls Chancen hat Cornelia Weigand, die parteilos antritt. Sie ist Bürgermeisterin in einer Verbandsgemeinde im Kreis und selbst von der Flut betroffen. Sie dürfte die bekannteste Kandidatin sein, seit sie von Land und Bund immer wieder Unterstützung für den Wiederaufbau gefordert hat, seit sie bei einem Besuch der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür warb, die Ahr als Modell zu sehen. Wie können Menschen sicher an Flüssen leben? Wie sich dem Klimawandel anpassen?

103 000 Wahlberechtigte können ihr Kreuz machen, und natürlich wird die Flut ein entscheidendes Thema sein. Aber zwei Drittel des Kreises sind nicht betroffen, da brauchen die Menschen vielleicht keinen obersten Katastrophenschützer, keine oberste Katastrophenschützerin - aber auch sie haben Nöte. Vielleicht kommen zu selten Busse in ihren Ort, vielleicht gehen ihre Kinder auf das Gymnasium Nonnenwerth, das zum Schuljahresende geschlossen werden soll. Wem trauen sie zu, sich auch darum zu kümmern?

Wenn am Sonntag keiner der Kandidierenden mehr als 50 Prozent der Stimmen bekommt, findet zwei Wochen später eine Stichwahl statt.

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