Flugzeugabsturz in Iran:Was wir wissen - und was nicht

Boeing Co. 737 Bound for Ukraine Crashes In Iran

Die Absturzstelle der Boeing 737-800 der Ukraine International Airlines nahe Teheran.

(Foto: Ali Mohammadi/Bloomberg)

Welche Indizien legen nahe, dass Iran das Passagierflugzeug abgeschossen hat? Und wie soll die weitere Aufarbeitung ablaufen? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Leila Al-Serori, Florian Hassel, Paul-Anton Krüger und Markus C. Schulte von Drach

Eine Luftabwehrrakete könnte für die Zerstörung der ukrainischen Linienmaschine bei Teheran verantwortlich sein - möglicherweise war der Abschuss ein Versehen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was ist passiert?

Am frühen Morgen des 8. Januar startet eine Boeing 737-800 der Ukraine International Airlines (UIA) vom Imam Khomeini International Airport in Teheran. Ziel ist Kiew. Die Maschine erreicht eine Höhe von 2400 Metern, dann stürzt sie brennend ab und explodiert südwestlich von Teheran bei der Ortschaft Parand am Boden. Alle 167 Passagiere und neun Besatzungsmitglieder kommen ums Leben. Es handelt sich vor allem um Iraner und Kanadier, aber auch einige Ukrainer, Afghanen, Schweden und Briten waren an Bord.

In der Nacht hatte das iranische Militär zuvor Raketen auf einige Militärstützpunkte im Irak abgefeuert, auf denen US-Soldaten und Truppen anderer westlicher Staaten stationiert sind. Es ist eine Reaktion auf die Tötung des iranischen Generals Qassim Soleimani durch die Amerikaner. Zu diesem Zeitpunkt ist unklar, wie die USA auf die Angriffe reagieren werden. Iran kann nicht ausschließen, dass US-Präsident Donald Trump die Drohung wahr macht, Ziele im Iran angreifen zu wollen. Die New York Times berichtet, dass Iran deshalb am Flughafen von Teheran die Flugabwehr verstärkt habe.

Was sagen die USA und andere westliche Staaten?

Zuerst wird von einem technischen Defekt als Ursache für das Unglück ausgegangen, doch dann ändert sich die Einschätzung. Namentlich nicht genannte Vertreter der US-Regierung äußern am Donnerstag den Verdacht, dass eine iranische Luftabwehrrakete den Absturz verursacht haben dürfte - die allerdings versehentlich auf die Linienmaschine abgefeuert worden sei. US-Präsident Trump sagt, "jemand auf der anderen Seite könnte einen Fehler gemacht haben". Das Pentagon äußert sich bisher nicht.

Auch Kanadas Premierminister Justin Trudeau erklärt, dass es sich womöglich um einen versehentlichen Abschuss durch Iran handele. Seine Regierung habe "Informationen aus vielfachen Quellen, sowohl von unseren Alliierten wie von unseren eigenen Diensten, die zeigen, dass das Flugzeug von einer iranischen Boden-Luft-Rakete abgeschossen wurde." Allerdings, so Trudeau, wäre das vielleicht unabsichtlich geschehen.

Der britische Premier Boris Johnson und sein australischer Amtskollege Scott Morrison weisen ebenfalls darauf hin, es gebe Informationen, die diesen Verdacht nahelegten. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij schließt einen Abschuss zumindest nicht aus, warnt aber vor Spekulationen. Die EU-Kommission, die sich erst am Nachmittag geäußert hat, fordert nun eine unabhängige und glaubwürdige Untersuchung.

Was sagt Teheran zu den Vorwürfen?

Der Chef der Zivilen Luftfahrtbehörde Irans (CAO.IRI), Ali Abedzadeh, hat mehrfach den Verdacht kategorisch zurückgewiesen, dass Iran die Boeing 737-800 versehentlich abgeschossen hat. Von einem wissenschaftlichen Standpunkt gesehen sei es unmöglich, dass eine Rakete das ukrainische Flugzeug getroffen habe, sagt er dem englischsprachigen Staatssender Press TV. Das Flugzeug habe drei Minuten nach dem Start Feuer gefangen, das hätten Zeugen ausgesagt und eine Auswertung von Wrackteilen ergeben. "Der Pilot versuchte in einer Höhe von 8000 Fuß umzudrehen und zum Flughafen zurückzukehren, aber wegen des Feuers stürzte die Maschine ab und explodierte."

Irans Regierungssprecher Ali Rabiei beschuldigt die USA einer "großen Lüge, die Teil der psychologischen Kriegsführung gegen Iran" sei. Abedzadeh fügte aus einer Pressekonferenz am Freitagmorgen in Teheran hinzu, die Auswertung der Flugdatenschreiber werde die wahre Ursache des Absturzes ans Licht bringen.

Allerdings legt das relativ große Trümmerfeld nahe, dass die Maschine, anders als von Abedzadeh dargestellt, bereits in der Luft auseinandergebrochen sein könnte, womöglich durch eine Explosion.

Was spricht für einen Raketenabschuss?

Es gibt eine Reihe von Indizien, die einen Abschuss von Flug PS752 durch eine Rakete plausibel erscheinen lassen oder sogar nahelegen - auch wenn eine Bestätigung zunächst nicht möglich ist. Ein Video, dessen Echtheit inzwischen verifiziert ist, zeigt, wie die abgestürzte Maschine in der Luft getroffen wird. Noch vor der großen Explosion beim Aufprall des Flugzeugs ist eine weitere zu erkennen - kurz vor dem Absturz, als die Maschine noch in der Luft war. Auf weiteren Videos ist zu erkennen, dass es vor dem Aufprall des Flugzeugs noch eine Explosion gibt. Das könnte auf ein Auseinanderbrechen der Maschine noch in der Luft hindeuten und das relativ große Trümmerfeld erklären, das untypisch ist für den Aufschlag einer intakten Maschine am Boden.

Ein solcher Hergang würde sich decken mit Geheimdienstinformationen aus den USA. Demnach haben US-Satelliten die Hitzesignatur von zwei Raketenstarts in der fraglichen Gegend und Zeit registriert. Einige Fotos von den Trümmerteilen zeigen zudem Löcher, wie sie von dem Gefechtskopf einer Luftabwehrrakete stammen könnten. Solche Raketen zünden ihren Gefechtskopf gesteuert von einem Radar bei Annäherung an das Ziel. Die Ladung zerlegt dann einen Metallmantel, dessen Fragmente eine sich ausdehnende Wolke bilden. Die Fragmente sollen die Struktur des Flugzeugs und wichtige Aggregate und Leitungen zerstören.

Ein Verkehrsflugzeug wie die Boeing 737 ist redundant ausgelegt, sodass sie auch beim Brand eines Triebwerks noch weiterfliegen und nach Aussagen von Piloten sogar weiter steigen kann. Sofern es nicht zu weiteren Schäden an der Maschine kommt, sollte sie der Auslegung nach in der Lage sein, trotzdem sicher zu landen.

Gegen ein technisches Problem spricht auch, dass die Piloten nach iranischen Angaben keinen Notruf abgesetzt haben. Allerdings fiel der Transponder der Maschine demnach schon Minuten vor dem Aufprall aus - was für weit größere Probleme als einen Triebwerksbrand spricht.

Die Amerikaner haben überdies laut US-Medien Kommunikation in Iran abgehört, in der es darum ging, dass ein iranisches Luftabwehrsystem die Maschine abgeschossen habe.

Kann der Abschuss aus Versehen passiert sein?

Kanadas Regierungschef Justin Trudeau sprach davon, dass "wir anerkennen, dass dies womöglich versehentlich getan wurde". Auch bei früheren Fällen, in denen zivile Maschinen abgeschossen wurden, wurde dies meist auf menschliches Versagen zurückgeführt. Moderne Luftabwehrsysteme haben Sicherungsmechanismen wie etwa Bestätigungstasten, die den Abschuss von Zivilmaschinen verhindern sollen, die über Transponder - also per Funksignal - zu identifizieren sind. Auch wirft eine im Steigflug befindliche Passagiermaschine ein Radar-Echo mit völlig anderen Charakteristiken als ein schnell fliegendes Kampffluggzeug.

Eine Verwechslung mit einer langsam fliegenden Drohne oder einem tieffliegenden Marschflugkörper erscheint aber zumindest denkbar. Irans Revolutionsgarden hatten kurz zuvor ballistische Raketen auf zwei von den Amerikanern genutzte Stützpunkte im Irak abgefeuert. Die Luftabwehr des Landes dürfte in erhöhter Alarmbereitschaft gewesen sein, weil Vergeltungsangriffe der USA bei der Führung in Iran als möglich gegolten haben dürften.

Was für Waffensysteme könnten im Einsatz gewesen sein?

Nicht sicher sagen lässt sich, mit welchem System das Flugzeug abgeschossen worden sein könnte. Es gibt Bilder, die Teile einer Luftabwehrrakete zeigen, wie sie von dem in Russland produzierten System Tor M1 abgeschossen werden können, in der Nato als SA-15 Gauntlet bezeichnet. Die Aufnahmen lassen sich aber nicht eindeutig in Iran verorten, auch ist die Echtheit nicht unabhängig bestätigt.

Russland hat zwischen November 2006 und Januar 2007 29 solche Luftabwehrsysteme an Iran geliefert, aufgrund eines Vertrages von 2005. Es dient zur Verteidigung gegen Angriffe von Flugzeugen, Hubschraubern, aber auch Marschflugkörpern und Drohnen im Tiefflug bis etwa sechs Kilometer Höhe. Es erscheint plausibel, dass nach den Raketenangriffen der Revolutionsgarden auf die von den USA genutzten Stützpunkte im Irak solche Systeme in Iran aktiv waren. Denn die Iraner könnten mit möglichen Vergeltungsschlägen der Amerikaner mit Marschflugkörpern oder Drohen gerechnet haben.

Wie werden die Ermittlungen zur Abschussursache geführt?

Der Flugschreiber kann einem Bericht des iranischen Staatsfernsehens zufolge ausgewertet werden. Allerdings sei diese sogenannte Black Box ebenso beschädigt wie der Voice Recorder, der Stimmen aus dem Cockpit aufzeichnet. Dennoch könnte der Flugschreiber den Unfallermittlern wichtige Informationen über den Zustand der Maschine geben. Nach dem Chicagoer Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt wird Iran die Ermittlungen federführend leiten. Hinzuziehen muss Iran aber dem Abkommen nach auch Experten der Ukraine als Ursprungsland der abgestürzten Maschine. Üblich ist zudem, dass die Flugschreiber zur Auswertung an den Flugzeughersteller übergeben werden - in diesem Fall an Boeing im US-Bundesstaat Washington. Dies schloss Iran zuerst aus. Die US-Verkehrssicherheitsbehörde NTSB teilte aber mittlerweile mit, sie habe von Iran eine förmliche Einladung zur Teilnahme an der Untersuchung erhalten und werde dieser Einladung nachkommen.

Weil zehn der toten Passagiere Schweden waren und 63 die kanadische Staatsbürgerschaft hatten, will Iran auch Experten aus diesen Ländern an der Untersuchung teilhaben lassen. Üblicherweise entsteht ein vorläufiger Bericht nach etwa 30 Tagen.

Gibt es Parallelen zum Abschuss des Fluges MH17 über der Ukraine 2014?

Zumindest den gegenwärtigen Informationen zufolge ja: Ein Passagierflugzeug wird in einer Region, in der Soldaten am Boden mit Angriffen aus der Luft rechnen, abgeschossen.

Was war damals passiert? Die Soldaten der 53. Luftabwehrbrigade aus dem russischen Kursk hatten eine klare Aufgabe, als sie im Juli 2014 mit einem mobilen Buk-332-Flugabwehrgeschütz insgeheim und illegal über die Grenze in die Ostukraine geschickt wurden: Sie sollten Flugzeuge der ukrainischen Luftwaffe abschießen, die den Soldaten Moskaus und den von ihnen organisierten Separatisten im unerklärten Krieg im Donbass zu schaffen machten.

Am 17. Juli 2014 hielt die Mannschaft das in zehn Kilometer Höhe fliegende Passagierflugzeug von Malaysia Airlines (MH17) für eine ebensolche ukrainische Militärmaschine - und schoss sie ab, wie sich der von Moskau in den Donbass geschickte Kommandeur Igor Girkin brüstete, bevor er seinen Irrtum bemerkte. Alle 298 Menschen an Bord starben.

Ein von den Niederlanden geführtes Ermittlerteam und die britische Gruppe Bellingcat zeichneten das Geschehen nach, an dem mehr als 100 russische Soldaten beteiligt waren und das vom Kreml-Ratgeber Wladislaw Surkow koordiniert wurde. Russland verweigert bis heute jede Mitwirkung und streitet seine Verantwortung ab.

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