Süddeutsche Zeitung

Smolensk: Ein Jahr nach dem Flugzeugabsturz:Zwischen Erinnerung und Empörung

In Russland wird der polnischen Politiker und Militärs gedacht, die in Smolensk bei einem Flugzeugabsturz starben. Der Zwillingsbruder des verunglückten Präsidenten Lech Kaczynski boykottiert indes die Veranstaltung - und eine Gedenktafel sorgt für Empörung.

Thomas Urban

Einen Tag vor dem ersten Jahrestag des Flugzeugabsturzes von Smolensk fand am Unglücksort eine private Feier von Angehörigen statt. Begleitet wurde die polnische Delegation von der Präsidentengattin Anna Komorowska. Am Montag trifft dort ihr Mann, Staatspräsident Bronislaw Komorowski, mit seinem russischen Amtskollegen Dmitrij Medwedjew zusammen.

Bei dem Absturz der Tupolew der polnischen Luftwaffe am 10. April 2010 beim Landeanflug in dichten Nebel waren Komorowskis Vorgänger Lech Kaczynski, hohe Vertreter der Regierung und des Parlaments, mehrere Behördenchefs sowie die fünf höchsten polnischen Generäle ums Leben gekommen. An der jetzigen Feier nahmen allerdings nur die Angehörigen von 30 der insgesamt 96 Opfer teil. Die Vertreter und Sympathisanten des nationalkonsevativen Lagers um Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski, den Zwillungsbruder des verunglückten Präsidenten, boykottieren die offiziellen Feiern. Kaczynski hat Komorowski und Tusk wiedeholt vorgeworfen, der Opfer nicht angemessen zu gedenken und eine rückhaltlose Aufklärung der Unglücksursache zu verschleppen.

Streit um Gedenktafel

Bei dichtem Schneetreiben legten die Angehörigen an der Stelle, an der das Flugzeug aufgeschlug, Blumengebinde und Kränze nieder. Dann zogen sie weiter zu einer mächtigen Birke, die die Tupolew sechs Sekunden vor dem Absturz mit dem Flügel gestreift hatte. Dort wurden die Namen aller Opfer verlesen. Für Empörung sorgte allerdings, dass in der Nacht vor der Gedenkfeier die dort im vergangenen Frühjahr angebrachte polnischsprachige Gedenktafel durch eine neue ersetzt worden ist.

Im Text der neuen Tafel fehlt der Hinweis, dass die verunglückte polnische Delegation auf dem Weg nach Katyn war, wo 1940 die sowjetische Geheimpolizei auf Befehl des Politbüros unter Stalin mehr als 4000 polnische Offiziere und Intellektuelle erschossen hatte. Der Kreml hatte diesen und weitere an polnischen Offizieren begangene Massenmorde bis zum Ende der Sowjetunion den Deutschen angelastet.

Das polnische Außenministerium erfuhr auf Anfrage von den russischen Behörden, dass die Tafel ersetzt worden sei, weil sie nicht zweisprachig gewesen sei. Die Streichung des Hinweises auf Katyn bezeichneten allerdings mehrere der Teilnehmer der Feier als "erneuten Versuch, die Polen zu demütigen".

"Das Schicksal lässt sich nicht ändern, die Zeit kann nicht zurückgedreht werden", sagte die polnische First Lady in ihrer kurzen Ansprache. Doch wolle man sich gegenseitig unterstützen und gemeinsam beten. An dem Gedenkstein in der Nähe der Absturzstelle legten Vertreter der regionalen Behörden auch Kränze des russischen Präsidenten und des Premierministers Wladimir Putin nieder. Die von Anna Komorowska geführt Delegation fuhr anschließend zum Gräberfeld von Katyn, wo ein Gottesdienst stattfand.

Für Sonntag ist im Zentrum Warschaus ein katholisches Jahrgedächtnis unter freiem Himmel geplant, zu dem mehr als 100.000 Menschen erwartet werden.

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