Flugverkehr:Abgefertigt

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Warum das Bodenpersonal an deutschen Flughäfen streikt.

Von Detlef Esslinger

Wenn es einen Ort gibt, an dem man buchstäblich sagen kann: Die da oben und Wir da unten, so ist dies jeder Flughafen. Da oben falten die Passagiere im Flugzeug ihre Jacketts zurecht, lesen Papiere, bereiten sich auf den Termin in London vor. Da unten wuseln die Arbeiter in ihren dreckigen Anoraks herum und wuchten die Koffer aufs Band. Gehört man zur Klasse der Passagiere, so mag man ein noch so imponierendes sechs- oder siebenstelliges Gehalt beziehen - ohne die Elf-Euro-Jobber da unten kommt kein London-Trip zustande. "Alle Räder stehen still", lautet die berühmte Zeile aus dem 19. Jahrhundert, "wenn dein starker Arm es will." In Berlin ist genau dies seit Montag der Fall. 660 Flüge fielen aus, weil die Gepäckabfertiger und ihre anderen Kollegen von den sogenannten Bodenverkehrsdiensten sich nicht länger mit ihren Löhnen abfinden wollen. Bis Mittwoch um fünf Uhr soll ihr Streik dauern.

Die Arbeitsniederlegung ist Teil einer Auseinandersetzung, die die Gewerkschaft Verdi seit Monaten an mehreren Flughäfen führt. Weil es keinen gemeinsamen Branchentarifvertrag für alle deutschen Flughäfen gibt, muss der Konflikt jeweils an jedem Airport einzeln ausgetragen werden. In Berlin fordert Verdi ein Plus von einem Euro pro Stunde.

In einem Brief an alle Arbeitgeber argumentiert die Gewerkschaft, das Wachstum der Luftfahrtbranche werde "auf Kosten des Einkommens und der Gesundheit der Beschäftigten erwirtschaftet". Sie zitiert aus einer Umfrage, die sie vor zwei Jahren bundesweit unter 2000 Beschäftigten gemacht hat: Acht von zehn Arbeitern sagen, ihr Job sei nicht existenzsichernd. Sieben von zehn gaben an, Sicherheitsvorgaben würden aufgrund des Arbeitsdrucks "nicht immer" eingehalten. Nur jeder Vierzehnte meint, diese Arbeit könne man bis zur Rente ausüben.

Was tun? Die Flughäfen argumentieren damit, unter welchem Druck sie stehen. Die Fluggesellschaften drohen jedem einzelnen von ihnen damit, auf andere Airports auszuweichen, sollten sie ihnen zu teuer werden. So lässt sich Düsseldorf gegen Münster-Osnabrück ausspielen, Berlin gegen Hamburg oder Dresden, et cetera. Das kennt man aus vielen Branchen: dass Kunden permanent Lieferanten suchen, die es noch etwas billiger machen. Dort gibt es oft jedoch ein Mittel dagegen: Branchentarifverträge. Sie bewirken, dass die Arbeitsbedingungen bei allen gleich sind - und der Wettbewerb über Qualität und Service statt über Löhne ausgetragen wird.

Warum ist das bei den Flughäfen nicht so? In dem Brief an die Arbeitgeber versucht die Gewerkschaft einen ungewohnt verbindlichen Ton: "Wir sind sicher, dass wir das gemeinsam schaffen können." Die Angesprochenen argumentieren, die heutigen niedrigen Löhne seien auch die Schuld von Verdi: Jahrelang habe die Gewerkschaft den Kommunen zu hohe Lohnsteigerungen für Un- und Angelernte abgetrotzt; darauf hätten sie in ihrer Eigenschaft als Flughafen-Eigner reagiert, indem sie Bodendienste an Billigfirmen vergaben oder Billigtöchter gründeten.

Was wiederum zu der jetzigen Situation führte. Außer in Berlin könnte es Streiks demnächst auch noch in Stuttgart, Frankfurt, Dresden und Leipzig geben.

© SZ vom 14.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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