Flugsicherheit und Terror:Wenn der Staat zu weit geht

Das Nacktscanning heißt jetzt Körperscanning - doch Tatsache bleibt: Wer künftig fliegen will, darf kein Schamgefühl haben. Die Bürger haben sich viel gefallen lassen - aber es gibt Grenzen.

Heribert Prantl

Das liest sich wie eine burleske Petitesse, ist aber keine. Nach dem verhinderten Anschlag von Amsterdam/Detroit wird immer wahrscheinlicher, dass es in naher Zukunft allen Flugpassagieren so ähnlich ergehen wird wie dem Clown.

Nacktscanner, Reuters

Nacktscanner durchleuchten mit Terahertzwellen. Deren Wellenlänge ist so klein, dass es möglich ist, auch Details von einem Millimeter sichtbar zu machen - also fast alles. Neue Scanner sollen den Intimbereich besser schützen.

(Foto: Foto: Reuters)

Wer fliegen will, darf kein Schamgefühl mehr haben. Die Fluggäste werden zwar nicht, wie der Clown, leibhaftig ausgezogen, aber doch elektronisch: Die Nacktscanner durchleuchten bis auf die Haut, man sieht auf den Schirmen ein Bild des nackten Körpers. Das funktioniert auf der Basis von Terahertzwellen. Die Wellenlänge ist so klein, dass es möglich ist, auch Details von einem Millimeter sichtbar zu machen, also fast alles.

Als vor einem guten Jahr erstmals bekannt geworden war, dass die EU-Kommission den Fluggästen nicht nur den Gürtel aus der Hose ziehen, sondern das Nackt-Scanning in ganz Europa vorschreiben will, ging eine Welle der Empörung durchs Land. Es fand sich kein einziger deutscher Politiker, der dem EU-Verkehrskommissar Antonio Tajani zugestimmt hätte.

Der hatte gemeint, die Beeinträchtigung der Intimsphäre sei ja nicht so groß, die Flugsicherheit jedenfalls wichtiger. Nicht nur die Datenschützer protestierten, sondern auch die Polizeigewerkschaft und die deutsche Bischofskonferenz. Und der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble erklärte: "Ich kann Ihnen in aller Deutlichkeit sagen, dass wir diesen Unfug nicht mitmachen." Er fürchtete wohl, die Öffentlichkeit könnte die Sicherheitspolitik als schamlos und maßlos betrachten.

Man konnte den Eindruck haben, als würde es wegen des öffentlichen Widerstands in Deutschland kein Nackt-Scanning auf Flughäfen geben. Währenddessen gingen aber, gefördert von der Bundesregierung, die Forschungen für die neue Technologie weiter.

Der verhinderte terroristische Anschlag ist jetzt Anlass, erste Ergebnisse vorzustellen. Aus dem Nacktscanner wird, angeblich, dank des Fortschrittes der Technik, ein Halbnacktscanner. Der Halbnacktscanner ist angeblich allenfalls noch halb so schlimm, womöglich völlig harmlos. Die Intimbereiche des Fluggastes können angeblich automatisch irgendwie verdeckt werden. Man sieht jetzt angeblich alles nur noch schemen- und umrisshaft.

Die terminologische Verharmlosung

Wenn sich aber dann unter dem elektronischen Schleier Verdächtiges befindet, blinkt es angeblich auf dem Bildschirm auf. Der Kontrolleur kann dann wohl mit ein, zwei Mausklicks den elektronischen Lendenschurz hochheben - oder auch selber handgreiflich werden.

Wie auch immer das funktionieren soll: Das Scanner-Gerät wird jedenfalls, so verspricht es der Bundesinnenminister, auf die Persönlichkeitsrechte achten. Wenn das Gerät das wirklich kann, ist es besser als der Deutsche Bundestag.

Der Bundestag hat nämlich bei seinen Sicherheitsgesetzen, wie das Bundesverfassungsgericht in einer ganzen Reihe von Urteilen gesagt hat, die Persönlichkeitsrechte gar nicht oder nicht ausreichend geachtet. Nun ist die elektronische Visitation sicher weniger beeinträchtigend als eine handgreifliche. Das Anschauen ist weniger schlimm als ein Tasten und Greifen. Das Entwürdigende am elektronischen Entkleidungs-Verfahren ist aber seine Massenhaftigkeit. Es findet statt ohne jeglichen Verdacht, es trifft jeden.

Die Erregung in der Politik über die geplante Scannerei ist nur noch halb so groß wie vor einem Jahr. Aus der einhelligen Ablehnung ist ein "Schaun mer mal" geworden. Das Wort "nackt" wird von den Sicherheitspolitikern zunehmend vermieden.

Es findet eine terminologische Verharmlosung statt - zur Vorbereitung der Einführung der Geräte. Das Nacktscanning heißt jetzt Körperscanning; die Intimität soll, heißt es, gar nicht mehr gezeigt werden. Man hört die Botschaft, es fehlt der Glaube. Mit solchen Ankündigungen wird der Eingriff bagatellisiert. Ähnliches geschah seinerzeit beim Lauschangriff: Zur Vorbereitung der Zustimmung wurde er in "akustische Wohnraumüberwachung" umgetauft.

Es gibt in der Sicherheitspolitik eine Veralltäglichung des zunächst Unvorstellbaren: Wer hätte vor 25 Jahren geglaubt, dass die Polizei eines Tages ganz legal in Wohnungen einbrechen und dort elektronische Wanzen anbringen darf? Wer hätte gedacht, dass dem Lausch- der Spähangriff und dann auch noch der Zugriff auf die Computer folgen würde?

Nirgendwo werden aus Absurditäten so schnell Normalitäten wie auf dem Gebiet der inneren Sicherheit. Präventive Logik ist expansiv. Sie nimmt auch auf Schamgefühle wenig Rücksicht. Die Bürger haben sich, weil ihnen Sicherheit mit Recht wichtig ist, bisher viel gefallen lassen. Es gibt Grenzen. Wenn der Staat zu weit geht, geht er zu weit.

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